Bildung Jahrelange Wartelisten: Warum Eltern ihre Kinder auf Freie Schulen schicken
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17. August 2023, 16:31 Uhr
16,6 Prozent aller Schulen in Thüringen sind Schulen in freier Trägerschaft, sogenannte Freie Schulen. Die Nachfrage nach Schulplätzen dort steigt kontinuierlich. Wir haben Elternvertretern gefragt, warum Freie Schulen bei manchen Familien so beliebt sind.
Wenn am 21. August das neue Schuljahr in Thüringen beginnt, werden die allermeisten Schülerinnen und Schüler eine staatliche Schule besuchen. Doch etwa 11,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen gehen laut Bildungsministerium auf eine Schule in freier Trägerschaft, das sind 29.981 von 262.988 Schülerinnen und Schülern.
Was sind Freie Schulen?
Schulen in freier Trägerschaft sind sogenannte Ersatzschulen. Das bedeutet, sie dienen als Ersatz für die öffentlichen Schulen. Deshalb müssen sie auch in ihren wesentlichen Merkmalen den öffentlichen Schulen gleichen.
Das heißt, Aufgaben wie Bildung und Erziehung müssen hier genau so erfüllt werden. Der Unterschied ist aber: Die Schulen können eigene Lehr- und Erziehungsmethoden einsetzen.
Beispiele hierfür sind reformpädagogische Ansätze, die in der großen Überzahl an freien Schulen angeboten werden – etwa an Montessori- und Waldorfschulen.
Träger von Freien Schulen sind häufig Sozialverbände wie die Awo, die Lebenshilfe und das DRK, Vereine oder kirchliche Organisationen.
"In den zurückliegenden zehn Jahren ist das freie Schulwesen hinsichtlich der Schülerzahlen um fast 20 Prozent gewachsen", sagt der Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Schulträger in Thüringen (LAG), Marco Eberl. "Aus unserer Sicht spricht dies für die gute Arbeit der freien Schulen und das Vertrauen der Eltern in die Arbeit der Kollegien."
Dass Freie Schulen von manchen Eltern bevorzugt werden, sei schon lange so, sagt Claudia Koch, die Landeselternvertreterin der staatlichen Schulen. "Generell suchen Eltern nach Auswegen und nach Schulen, die ein gutes Konzept anbieten, gut ausgestattet sind und in denen wenig Unterricht ausfällt", sagt sie. Das bestätigt auch Claudia Patzer, Landeselternvertreterin der Freien Schulen in Thüringen. Sie sagt: "Ich kenne genügend Eltern, die an Freie Schulen wechseln wollen."
Damit die Kinder dorthin gehen können, werden sie oft schon frühzeitig angemeldet.
Grundsätzlich kann jedes Kind an einer Freien Schule angemeldet werden, es gibt keine Zugangsvoraussetzungen. Doch häufig gibt es Wartelisten und Auswahlverfahren. Denn die Kapazitäten, so Claudia Patzer, seien begrenzter als an staatlichen Schulen. "Damit die Kinder dorthin gehen können, werden sie oft schon frühzeitig angemeldet", sagt die Elternvertreterin.
Je urbaner die Gebiete oder je spezieller die Schulkonzepte sind, desto länger sind die Wartelisten.
"Je urbaner die Gebiete oder je spezieller die Schulkonzepte sind, desto länger sind die Wartelisten", sagt auch Christian Werneburg, Geschäftsführer der LAG. "Anmeldungen jahrelang vorher sind gar nicht so selten, beispielsweise bei Geschwisterkindern oder von Eltern, denen ein christliches Profil wichtig ist."
Konfession spielt eine Rolle
Die Konfession kann bei dem Wunsch, sein Kind an einer Freien Schule unterrichten zu lassen, eine Rolle spielen. So sind viele der 157 Freien Schulen in christlicher Trägerschaft. Doch es sei bei den meisten Eltern durchaus so, dass die konfessionelle Bindung nicht im Vordergrund stehe, sagt Landeselternsprecherin Claudia Koch.
Vielmehr sind andere Überlegungen wichtig. Claudia Koch: "Was wir merken, ist, dass die Eltern bei der Schulwahl ganz stark darauf achten, wie die Schule ausgestattet ist mit Lehrkräften, Materialien und digitaler Technik." Es mache den Eindruck, dass Freie Schulen besser ausgestattet sind, gerade mit Digitaltechnik.
W-Lan in allen Räumen
Das stimmt zum Beispiel für die 18 Thüringer Schulen der Evangelischen Schulstiftung in Mitteldeutschland, erzählt Christian Werneburg. "All unsere Schulen haben flächendeckend W-Lan in allen Räumen." Doch per se seien Freie Schulen nicht besser ausgestattet. Werneburg: "Wir bekommen deutlich weniger Geld als staatliche Schulen." Doch er räumt ein: "Die Ausstattung von Freien Schulen ist manchmal etwas moderner."
Es ist schwierig, ein großes System mit kleinen Systemen zu vergleichen.
Das liege daran, dass einzelne Schulträger zum Beispiel Baumaßnahmen schneller umsetzen könnten, die Entscheidungswege seien kürzer. "Es ist leichter, drei Schulen als 30 Schulen auszustatten." Und Werneburg fügt hinzu: "Es ist schwierig, ein großes System mit kleinen Systemen zu vergleichen."
Ein weiterer Grund, weshalb Eltern ihre Kinder auf Freie Schulen schicken, liegt in den entsprechenden Konzepten begründet. LAG-Geschäftsführer Werneburg: "Freie Schulen machen immer ein besonderes Angebot. Und für unsere Grundschulen gilt: Freie Schulen sind viel weiter, was die Ganztagsangebote angeht."
Eltern schauen danach, wo der wenigste Unterricht ausfällt.
Aber es gibt auch einen ganz einfachen Grund für die Wahl der Schule: "Eltern schauen danach, wo der wenigste Unterricht ausfällt", so Claudia Koch. Dazu sagt Christian Werneburg: "Bei uns ist der Unterrichtsausfall nicht so extrem wie an staatlichen Schulen", auch wenn er keine Erklärung dafür habe. Denn "Freie Schulen haben den gleichen Lehrermangel wie die staatlichen Schulen", sagt Elternvertreterin Claudia Patzer.
Freie Schulen haben andere Lernkonzepte
Doch eines stimmt laut Patzer: Die Freien Schulen können anders agieren. "Sie haben andere Konzepte. Staatliche Schulen sind viel mehr an den Lehrplan gebunden." Das sei ein wichtiger Grund für Eltern, die weniger staatliche Reglementierung wünschen "und vielleicht auch Stress aus dem Schulalltag nehmen wollen."
Hinzu komme, dass Freie Schulen einen großen Teil der Schulen für Kinder mit Förderbedarf abdeckten. Claudia Patzer: "Das können die staatlichen Schulen gar nicht leisten, das würde dieses staatliche Schulsystem gar nicht schaffen." Und sie ergänzt: "Freie Schulen fangen schon sehr viel auf."
Ich finde es gut, wenn Eltern sich über die schulische Laufbahn ihrer Kinder aktiv Gedanken machen.
Christian Werneburg von der LAG kann nachvollziehen, dass Eltern ihre Kinder an Freien Schulen anmelden. "Ich finde es gut, wenn Eltern sich über die schulische Laufbahn ihrer Kinder aktiv Gedanken machen."
Dabei sei es keinesfalls so, dass die Freien Schulen den staatlichen Schulen Konkurrenz machten, so Claudia Koch. Im Gegenteil. Christian Werneburg: "Wir sind ein gutes Angebot und ein Teil des gesamten Schulwesens." Nur eines ärgert ihn: "Bei der Finanzierung muss unbedingt nachjustiert werden."
In Thüringen gibt es derzeit 964 Schulen. 157 davon sind sogenannte Freie Schulen, also Schulen in freier Trägerschaft. Das macht 16,6 Prozent aller Schulen in Thüringen aus.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 17. August 2023 | 15:00 Uhr
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