Analyse "Faule Ausländer" - "fleißige Deutsche"? So arbeiten Ausländer in Thüringen

16. Oktober 2024, 17:01 Uhr

Faule Ausländer, die den Staat Geld kosten, lautet ein rechtes Vorurteil. Die Analyse zeigt, wie viele Ausländer in Thüringen tatsächlich arbeiten. Und dass geflüchtete Männer langfristig häufiger arbeiten als deutsche.

Porträt von MDR THÜRINGEN-Regionalkorrespondentin Anna Hönig
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

Überraschung: Nicht Deutsche liegen in Thüringen auf Platz eins, sondern Polen. Die Beschäftigungsquote liegt bei Polen bei 80,1 Prozent, knapp dahinter folgen Rumänen mit 77,2 Prozent. Die Beschäftigungsquote der Deutschen liegt bei 70,2 Prozent. In diesem Bereich liegen auch Ungarn (69,6), Kroaten (68,7), Tschechen (67,9) und Slowaken (69,7).

Dass die Quoten bei Osteuropäern so hoch liegen, hat laut Markus Behrens, dem Geschäftsführer der Landesarbeitsagentur Sachsen-Anhalt-Thüringen, unter anderem mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu tun, die seit Mai 2011 gilt. Dadurch haben Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten das Recht, ihren Arbeitsplatz innerhalb der EU frei zu wählen. Sie brauchen keine Arbeitserlaubnis und haben gemeinsam mit ihren Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht, um ihre Arbeit auszuüben.

In Deutschland sind die Einkommensmöglichkeiten meist besser.

Markus Behrens Geschäftsführer der Landesarbeitsagentur Sachsen-Anhalt-Thüringen

"In Deutschland sind die Einkommensmöglichkeiten meist besser, deshalb pendeln beispielsweise Polen, um hier zu arbeiten und mit dem Geld ihre Familien zu ernähren", sagt Behrens. Die Menschen kommen also gezielt zum Arbeiten nach Thüringen - deshalb die auffällig hohen Beschäftigungsquoten. Niedrigere Quoten gibt es bei den eher wohlhabenden westeuropäischen Nationalitäten wie Briten (45,7 Prozent), Franzosen (47,5), Italienern (53,2), Niederländern (42,8) und Österreichern (49,3).

Markus Behrens, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Sachsen-Anhalt/Thüringen
Markus Behrens von der Arbeitsagentur Bildrechte: Arbeitsagentur Sachsen-Anhalt/Thüringen

Niedrigste Beschäftigungsquote bei Ukrainern

Ganz hinten auf der Skala liegen aktuell Ukrainer mit einer Beschäftigungsquote von 22,9 Prozent. Diese niedrige Zahl hat laut Markus Behrens unter anderem mit der hohen Zahl der ukrainischen Flüchtlinge zu tun. Seit Beginn des Ukrainekriegs kamen über eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland. Im Moment hängt es Behrens zufolge vor allem an der Anerkennung des Bildungsabschlusses.

Durch die Massenzustrom-Richtlinie der EU müssen Ukrainer keinen Asylantrag stellen, sondern sind seit Juli 2022 bei den Arbeitsagenturen angegliedert und haben Anspruch auf Bürgergeld. Dementsprechend sollen sie von den Agenturen auch wieder im Arbeitsmarkt eingegliedert werden.

Mehrere Schritte braucht es bis zur Beschäftigung

"In der ersten Phase absolvieren Ukrainer einen Integrationskurs, um die Sprache zu lernen. Im zweiten Schritt versuchen wir sie in Arbeit zu bringen. Parallel dazu laufen die Anerkennungsverfahren für die Bildungsabschlüsse. Solange die Abschlüsse nicht anerkannt sind, dürfen die Menschen nur in Helferfunktionen arbeiten und nicht in ihrem eigentlichen Job", erklärt Behrens.

So ein Anerkennungsverfahren könne je nach Beruf zwischen sechs und 18 Monate dauern. Hinzu kommt, dass die nötigen Nachweise bei der Flucht häufig nicht mitgebracht und erst aus den Kriegsgebieten angefordert werden müssen. "In der dritten Phase, wenn die Abschlüsse anerkannt sind, versuchen wir die Ukrainer ausbildungsadäquat zu beschäftigen", sagt Behrens. Doch aktuell stecke man größtenteils noch im zweiten Schritt - deshalb die geringen Beschäftigungsquoten.

Arbeitsmarktintegration von Asylbewerbern langwieriger

Anders läuft es bei Ausländern, die aus Asylherkunftsländern nach Thüringen kommen. So liegen die Beschäftigungsquoten bei Menschen aus Syrien (38,7 Prozent), dem Irak (41,3) und Afghanistan (37,7) im Schnitt bei 40 Prozent und damit deutlich unter dem Durchschnitt der Einheimischen.

Da diese Geflüchteten einen Asylantrag stellen müssen, sind die Hürden, um in Arbeit zu kommen, höher. In den ersten drei Monaten nach Antragstellung gibt es ein Beschäftigungsverbot, dass darüber hinaus grundsätzlich bis zur Entscheidung über den Asylantrag gilt.

Nach drei Monaten kann eine Beschäftigung von der Ausländerbehörde erlaubt werden, sofern die Bundesagentur für Arbeit zustimmt. Laut dem Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom Oktober dieses Jahres liegt die Erwerbsquote von Geflüchteten im ersten Jahr nach ihrer Ankunft in Deutschland bei weniger als zehn Prozent.

Nach acht und mehr Jahren steigt sie auf 68 Prozent an und ist laut IAB damit genauso hoch wie die durchschnittliche Quote der Migrationsbevölkerung. Dabei sind es vor allem geflüchtete Männer, die einer Arbeit nachgehen. Die Quote liegt bei ihnen bei 86 Prozent, und damit fünf Prozentpunkte über der der deutschen männlichen Bevölkerung.

Die geflüchteten Frauen haben eine Erwerbsquote von 33 Prozent und sind der weiblichen deutschen Bevölkerung mit 72 Prozent noch deutlich hinterher. Laut Markus Behrens von der Landesarbeitsagentur liegt das vor allem an kulturellen Gründen. Diese zu ändern und auch mehr Frauen aus Asylherkunftsländern in Arbeit zu bringen, würde länger dauern.

Großteil der Ausländer arbeitet, studiert oder ist in Ausbildung

Aktuell leben 176.516 Ausländer in Thüringen, davon sind 135.115 im erwerbsfähigen Alter. 11.431 von ihnen studieren oder befinden sich in einer sozialversicherungspflichtigen Ausbildung - Auszubildende, die eine rein schulische Ausbildung machen, sind dabei nicht eingerechnet. Weitere 74.920 gehen einer Beschäftigung nach.

Diese Zahlen zeigen, dass rund zwei Drittel der in Thüringen lebenden Ausländer arbeiten, studieren oder eine Ausbildung machen. Dagegen stehen 15.494 arbeitslose Ausländer und 46.871 Ausländer die regelleistungsberechtigt sind, das heißt, sie beziehen Bürgergeld oder Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Damit liegt die Quote der SGB-II-Empfänger bei Ausländern in Thüringen bei 21,1 Prozent, die der Deutschen bei 5,3 Prozent.

Arbeitsagentur: Ausländer halten Wohlstand in Thüringen mit aufrecht

Die Aussage, Ausländer würden den deutschen Sozialstaat belasten, teilt Behrens nicht. "Wenn diese Menschen nicht in Thüringen arbeiten würden, könnten wir den Wohlstand, den wir haben, nicht in der Art und Weise vorhalten", sagt er. Die Menschen würden einen langen Prozess durchlaufen, um sich zu integrieren und in Deutschland und Thüringen zu arbeiten.

Diese Menschen belasten den Sozialstaat nicht.

Markus Behrens Geschäftsführer der Landesarbeitsagentur Sachsen-Anhalt-Thüringen

Laut Behrens werden nicht nur Fachkräfte gebraucht, sondern auch Menschen, die "auf Helferniveau" arbeiten und Jobs mit starker körperlicher Belastung ausüben können, wie bei der Spargelernte, als Gepäckdienst am Flughafen oder auch in der Pflege.

"Diese Menschen belasten den Sozialstaat nicht, sondern sorgen dafür, dass wir uns positiv weiterentwickeln", sagt der Geschäftsführer der Landesarbeitsagentur.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 16. Oktober 2024 | 19:00 Uhr

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