Bewohnerinnen eines Pflegeheims sitzen an einem Tisch.
Nicht nur der Gang ins Wahllokal kann für Senioren zur Herausforderung werden, sondern auch eine Briefwahl zu beantragen. Den Pflegeheimen sind bei der Hilfe jedoch enge rechtliche Grenzen gesetzt. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Marijan Murat

Vor der Bundestagswahl Briefwahl im Seniorenheim: Alles nur gefälscht?

09. Februar 2025, 12:00 Uhr

Die Wahlfälschungen bei der Briefwahl in Dresden im vergangenen Jahr zur Kommunal- und zur Landtagswahl haben bundesweit für Aufsehen gesorgt. Wahlzettel wurden zugunsten der rechtsextremen "Freien Sachsen" manipuliert. Auch in Pflegeheimen sollen gefälschte Wahlzettel aufgetaucht sein. In der Folge wurden Briefwahlergebnisse aus diesen Einrichtungen durch Hörer- und Leserhinweise pauschal in Frage gestellt. Heimleiter halten dagegen. Die Landeswahlleitung verweist auf strenge Gesetze.

Der Dresdner Ortsteil Langebrück war im vergangenen Jahr bundesweit wegen gefälschter Briefwahlstimmen in den Schlagzeilen. Ein 44-Jähriger soll am 9. Juni insgesamt 151 Stimmzettel zur Kommunalwahl und am 1. September 126 Stimmzettel zugunsten der rechtsextremen Kleinstpartei "Freien Sachsen" manipuliert haben.

Vor allem in Langebrück waren die gefälschten Stimmzettel aufgetaucht, aber auch in anderen Stadtteilen Dresdens und außerhalb davon. Auf den Stimmzetteln wurden bereits gesetzte Kreuze für andere Parteien überklebt und zugunsten der "Freie Sachsen" verfälscht worden.

Vorwürfe gegen Seniorenheime: Wahlergebnissen nicht zu trauen

Ins Blickfeld der Ermittler gerieten im Rahmen der Wahlfälschungen im vergangenen Jahr auch Seniorenheime. In der Folge der Berichterstattung häuften sich Leser- und Hörerhinweise beim MDR, die Pflegeheime beim Thema Wahlen unter Generalverdacht stellten. Die Behauptung: Briefwahlergebnissen aus Seniorenheimen könne nicht vertraut werden, weil diese dort per se manipuliert würden.

Zwei mutmaßliche Fälle von Wahlfälschung im Altenheim

Doch kommen Wahlfälschungen in Sachsen generell häufig vor und speziell in Altenheimen wirklich gehäuft vor? Laut Landeskriminalamt (LKA) handelt es sich generell um Einzelfälle. Demnach hat es bei den Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen seit 2019 insgesamt 17 mutmaßliche Fälle von Wahlfälschung in Sachsen gegeben. Eine LKA-Sprecherin betont, dass es sich jedoch teilweise um nicht abgeschlossene Verfahren handelt.

Neben dem Vorfall in Dresden-Langebrück gibt es laut LKA nur einen weiteren mutmaßlichen Fall von Wahlfälschung im Zusammenhang mit einem Seniorenheim. Demnach hat eine Tatverdächtige zur Landtagswahl im vergangenen Jahr zusammen mit 14 Bewohnern eines Fachpflegezentrums in Dresden-Leuben Wahlbriefe ausgefüllt und diese versendet.

Wahlfälschungen in Deutschland sehr selten

Auch Maximilian Kreter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden, spricht im Zusammenhang von Wahlfälschungen allgemein von "Einzelfällen". Theoretisch seien Seniorenheime jedoch anfälliger dafür. Kreter zufolge gibt es in Seniorenheimen mehr "Einfallstore" für Wahlmanipulationen. Zu diesen könne es kommen, wenn älteren Menschen beim Beantragen und Versenden der Briefwahlunterlagen geholfen werde.

Vergleichsweise hohe Strafen schrecken ab

Kreter betont, dass die nachweisbaren Fälle von Wahlfälschungen gering seien. Hohe Strafen seien abschreckend. Die Wahlen in Deutschland weisen laut Kreter ohnehin eine hohe Integrität und Sicherheit auf. Er bezieht sich dabei auf Bewertungen des Election Vulnerability Index der NGO Freedom House sowie des Election Integrity Index eines kanadisch-britischen Forschungsverbunds.

Die Anzahl der nachweisbaren Fälle, wo es zu Anklagen und Verurteilungen kam, ist sehr sehr gering.

Maximilian Kreter Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden

Welche Strafen drohen bei Wahlfälschung? Laut Strafgesetzbuch, Paragraf 107 a, droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren für unbefugtes Wählen, das Herbeiführen eines falschen Wahlergebnisses oder das Verfälschen des Ergebnisses. Quelle: Landeskriminalamt Sachsen

Landeswahlleitung: Strenge Vorschriften für Briefwahl

Auch rechtlich hat der Gesetzgeber strenge Regeln insbesondere für die Briefwahl eingeführt. Wie das Büro des Sächsischen Wahleiters mitteilt, soll dadurch der Missbrauch bei der Briefwahl möglichst ausgeschlossen werden. So muss der Briefwähler per Eides statt versichern, dass er den Wahlzettel persönlich ausgefüllt hat. Eine Missachtung ist strafbar.

Eine Straftat begehe auch derjenige, der für jemanden anderen einen Stimmzettel ausfüllt. Ausgenommen davon seien nur Hilfspersonen, wenn der Wähler körperlich zum Ausfüllen des Stimmzettels nicht in der Lage ist.

Wahlbrief vor einem Briefkasten
Für die Briefwahl gibt es strenge gesetzliche Richtlinien. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / BeckerBredel

Pflegeheimleiter: Generalverdacht völlig absurd

Die Befugnisse bei der Briefwahl sind in Altenheimen ohnehin sehr begrenzt, teilt der Leiter des Altenpflegeheims "Neufriedstein" in Radebeul, Martin Oehmichen, auf Anfrage mit. Wahlergebnisse aus Seniorenheimen wegen der Vorfälle im vergangenen Jahr unter Generalverdacht zu stellen, hält er für vollkommen absurd.

"Unsere einzige Aufgabe ist es, die Wahlbenachrichtigungen den Bewohnern zukommen zu lassen", sagt Oehmichen. Die Briefe - ob Wahlbenachrichtigung oder Briefwahlunterlagen - würden verschlossen in einer Postmappe den Bewohnern beziehungsweise deren gesetzlichen Betreuern übergeben.

Dem Pflegepersonal sei bekannt, dass der Verstoß gegen das Postgeheimnis einen schweren Verstoß darstelle, betont Oehmichen: "Wir haben keine Chance, irgendwas in dem Kuvert anzukreuzen. Dafür gibt es das Postgeheimnis."

Altenpflegeheims "Neufriedstein" in Radebeul von außen
Im Altenpflegeheims "Neufriedstein" in Radebeul wird nach Aussagen des Heimleiters Martin Oehmichen genau darauf geachtet, dass das Postgeheimnis eingehalten wird. Bildrechte: Diakonie Dresden

Wir haben keine Chance, irgendwas in dem Kuvert anzukreuzen. Dafür gibt es das Postgeheimnis.

Martin Oehmichen Leiter des Altenpflegeheims "Neufriedstein" in Radebeul

Verallgemeinernde Rückschlüsse vermeiden

Auch im AWO-Seniorenzentrum Beerendorf in Delitzsch begrenzt man sich darauf, die Bewohner über Aushänge über die Wahlen zu informieren, teilt Einrichtungsleiter Christian Schulze mit. "Wir greifen in keinster Weise ins Wahlgeschehen ein. In dem Moment, wo wir die Wahlbenachrichtigungen übergeben, ist für uns der Job erledigt", erklärt Schulze.

Wahlbenachrichtigungen und Briefwahlunterlagen würden an Bewohner oder bevollmächtigte Angehörige und Betreuer weitergereicht. Kriminelle Handlungen eines Einzelnen sollten nicht zu verallgemeinernden Rückschlüssen auf den kompletten Pflegebereich führen, betont Schulze.

Viele Fragen zur Wahl: Leipziger Verein hilft Senioren

Dass Aufklärungsbedarf bei älteren Menschen beim Thema Wahlen besteht, kann der Geschäftsführer des Vereins Erich Zeigner Haus Leipzig, Henry Lewkowitz, bestätigen. Der Verein hat für Senioren in allen Leipziger Pflegeheimen eine Kampagne gestartet, um ältere Menschen über das Thema Wahlen aufzuklären. Erklärt werde etwa, wie man eine Briefwahl beantragt.

Fehlende Barrierefreiheit: Rentner meiden Wahl

Die Bewohner in den Pflegeheimen nehmen die Hilfe seines Vereins bisher dankbar an, sagt Lewkowitz. Denn viele hätten Fragen. Durch die Auswertung der Wahlstatistik der Kommunalwahl in Leipzig vergangenes Jahr und durch Alltagsbeobachtungen sei deutlich geworden: Der Anteil von Nichtwählern bei den über 60-Jährigen sei groß, sagt Lewkowitz.

Der Zugang zur Wahleinrichtung ist oftmals nicht gewährleistet. Viele ältere Menschen haben uns zurückgespiegelt, dass sie nicht verstehen, wie sie eine Briefwahl beantragen müssen.

Henry Lewkowitz Geschäftsführer des Vereins Erich Zeigner Haus Leipzig

Das habe verschiedene Gründe, habe aber allen voran mit fehlender Barrierefreiheit zu tun, erklärt er: "Der Zugang zur Wahleinrichtung ist oftmals nicht gewährleistet. Viele ältere Menschen haben uns zurückgespiegelt, dass sie nicht verstehen, wie sie eine Briefwahl beantragen müssen."

Pflegeschutzbund: Wahlrecht ist nicht auf Angehörige übertragbar

Fehlende Barrierefreiheit sei tatsächlich ein Problem, dass bei Wahlen für ältere Menschen immer wieder auftrete, sagt Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund. Dieser Verband ist Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen. Bürgerrechte ändern sich auch für ältere Menschen nicht, betont Kempchen: "Den Menschen, den das bewusst ist, die auch ihr Leben lang gewählt haben und das Wahlrecht auch ernst genommen haben, die fühlen sich abgehängt, wenn sie keinen Zugang zur Wahl bekommen."

Wahlrecht "ein höchst persönliches Recht"

Wahlrecht gilt ein Leben lang, außer es wird aberkannt, stellt Kempchen klar. "'Nur' weil jemand kognitive Einbußen hat, kann nicht automatisch das Wahlrecht aberkannt werden", erklärt Kempchen. Und: "Ein Wahlrecht ist ein höchst persönliches Recht. Es ist nicht übertragbar auf Angehörige oder gesetzliche Betreuer." Das Wahlrecht stehe nur den Betreffenden zu und könne nur durch diese ausgeübt werden.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 10. Februar 2025 | 10:30 Uhr

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