Polizei-Statistik seit 2022 Mehr als 1.400 Straftaten gegen Ukrainer in Sachsen
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07. März 2023, 22:01 Uhr
In Interviews mit MDR SACHSEN haben geflüchtete Ukrainerinnen über Beleidigungen berichtet, Reporter über Angriffe und Beschimpfungen bei Demos, die Polizeidirektionen listeten Schäden an Autos mit ukrainischen Kennzeichen auf. Darum die Frage ans Landeskriminalamt: Wie viele Straftaten im Zusammenhang mit geschädigten Ukrainern gibt es in Sachsen? Und wie hat sich die Zahl der Vorfälle seit Februar 2022 verändert?
"Ich habe das Gefühl, viele Deutsche sind böse auf uns", sagt die Ukrainerin Iryna F.-K. im Gespräch mit MDR SACHSEN in Meißen. Dabei berichtet sie über einen Streit, den ein älterer Mann auf einem Parkplatz mit ihr angefangen habe. Warum sie so ein teures Auto fahre, habe er sie "angeschrien und dass ich das Geld in die Ukraine schicken und abhauen" solle. Auch eine Ukrainierin in Radebeul erzählt, dass ihr Auto in Radebeul mehrfach beschädigt worden sei.
Autoreifen an ukrainischen Autos wurden wiederholt in Meißen, aber auch in Bischofswerda zerstochen. Bei Demonstrationen in Leipzig mussten sich Ukrainerinnen und Unterstützer teils üble Beschimpfungen anhören. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nannte die Beleidigungen "unmöglich und nicht akzeptabel". Wie lassen sich diese Fälle in Sachsen einordnen?
Mehr als 1.400 Straftaten mit ukrainischen Geschädigten
Von Januar 2022 bis 24. Februar 2023 erfasste das Landeskriminalamt Sachsen (LKA) insgesamt 1.402 Straftaten, bei denen Geflüchtete aus der Ukraine Geschädigte waren. Dazu gehören neben Diebstählen (242 Fälle in Sachsen) und besonders schweren Diebstählen (127) auch:
- 311 Körperverletzungen, am häufigsten bislang in den Bereichen der Polizeidirektionen (PD) Leipzig (100) und Dresden (84)
- 89 gefährliche Körperverletzungen, am häufigsten im PD-Bereich Leipzig (32 Straftaten) und Chemnitz (20)
- 68 Fälle von Bedrohungen, am häufigsten in den Bereichen der PD Dresden (24 Ermittlungen) und Leipzig (20)
- 47 Beleidigungen, am häufigsten im Bereich der PD Leipzig (19 Mal) und Dresden (13)
- 59 Sachbeschädigungen an Autos mit ukrainischen Kennzeichen, am häufigsten im Bereich der PD Dresden (16) und Chemnitz (13)
Zu den laufenden Ermittlungen bei Auto-Sachbeschädigungen sagte LKA-Sprecher Tom Bernhardt auf Nachfrage von MDR SACHSEN: Bis Anfang März "konnten zu sieben Vorgängen insgesamt sieben Tatverdächtige ermittelt werden". Dabei soll es sich um zwei deutsche sowie fünf nichtdeutsche Tatverdächtige handeln.
Wer sind die Verdächtigen?
Bei den 1.402 erfassten Straftaten im Zusammenhang mit geschädigten Ukrainerinnen und Ukrainern sind laut LKA-Sprecher Bernhardt bis Ende Februar zu 680 Vorgängen insgesamt 213 deutsche Tatverdächtige, 17 Tatverdächtige mit einer doppelten Staatsbürgerschaft und 383 nichtdeutsche Tatverdächtige ermittelt worden. Darunter seien auch 228 Tatverdächtige mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Laut LKA sind unter allen Tatverdächtigen auch jene, die mehrfach gehandelt haben sollen bzw. gibt es mehr als nur einen Tatverdächtigen zu einem Vorfall.
Blick auf Gesamtentwicklung seit Kriegsbeginn 2022
Dass es insgesamt mehr Straftaten und Übergriffe auf Menschen aus der Ukraine in Sachsen seit dem Kriegsangriff Russlands im Februar 2022 gibt, zeigt das vorläufige Bild der Polizeistatistik:
Im Januar 2022 zählte das LKA insgesamt 23 Straftaten zu Lasten von Ukrainern in Sachsen. Ein Jahr später im Januar 2023 waren es fünf Mal mehr: 118 Verfahren. Im Februar 2022 wurden 28 Straftaten Straftaten erfasst. Im Februar 2023 (bis 24. Februar) waren es 68.
Ob sich die Art und Weise der Straftaten gegenüber Ukrainern in Sachsen seit Kriegsbeginn verändert habe, darüber "kann keine Aussage getroffen werden, weil dies einer Einzelfallprüfung unterliegen würde", erklärte LKA-Sprecher Bernhardt zu den Zahlen.
In den Sommermonaten hatten viele Geschädigte Vorfälle gar nicht bei der Polizei angezeigt. Sie hatten Angst, dass alles nur noch schlimmer wird.
Skepsis beim Blick auf die Zahlen
Auf die vorläufigen Zahlen des LKA blickt der Geschäftsstellenleiter des Vereins "Buntes Meißen", Sören Skalicks, skeptisch. Nach seinen Angaben leben derzeit 650 ukrainische Geflüchtete in Meißen, für die der Verein eine Anlaufstelle ist. "Beschimpfungen und Beleidigungen gegen ukrainische Frauen, Ärger bei Demos, zerkratzte Autos kommen immer wieder zur Sprache." Und weiter: "In den Sommermonaten hatten viele Geschädigte Vorfälle gar nicht bei der Polizei angezeigt", sagt Skalicks. Es seien anfangs vor allem Frauen und Mütter betroffen gewesen. "Sie hatten Angst, dass alles nur noch schlimmer wird".
MDR (kk)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 08. März 2023 | 06:00 Uhr