Zahlen steigen Illegale Einreise nach Sachsen meist in Autos oder Kleinbussen

03. Mai 2023, 14:58 Uhr

Die Zahl der illegalen Grenzübertritte nach Sachsen hat sich im ersten Quartal dieses Jahres deutlich erhöht. Vor allem Menschen aus Syrien, der Türkei, Afghanistan und Venezuela kommen hierher, um Asyl zu erhalten. Der Flüchtlingsrat geht Vorwürfen nach, wonach Schutzsuchende an der Grenze unberechtigt zurückgewiesen worden sein sollen. Die Bundespolizei beruft sich auf den rechtlichen Rahmen.

Die Bundespolizei hat einen deutlichen Anstieg der unerlaubten Grenzübertritte nach Sachsen festgestellt. Im ersten Quartal dieses Jahres waren es fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum: Registrierte die Bundespolizei von Januar bis März 2022 noch knapp 1.500 illegale Einreisen, stellte sie im ersten Quartal dieses Jahres mehr als 2.700 fest. Das teilte die Bundespolizeidirektion Pirna auf Nachfrage von MDR SACHSEN mit.

Im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Jahres 2021 hat sich die Anzahl demnach sogar fast verdreifacht: Damals hatte die Bundespolizei 931 unerlaubte Grenzübertritte festgestellt. In den meisten Fällen würden die Betroffenen direkt oder wenige Kilometer nach dem Grenzübertritt aufgegriffen, hieß es. Darüberhinaus sind die Beamtinnen und Beamten auch in der sogenannten Binnengrenzfahndung bis 30 Kilometer ins Inland aktiv.

Schwerpunkt verlagert sich von tschechischer an polnische Grenze

Die Bundespolizei erklärte weiter: "Wurden in den Sommermonaten 2022 die meisten unerlaubt eingereisten Personen noch in Zügen aus Prag kommend am Hauptbahnhof in Dresden festgestellt, so hat sich der Schwerpunkt aktuell auf die grenzüberschreitenden Straßenverbindungen verschoben" - besonders viele an der polnisch-deutschen Grenze an der A4.

Die meisten Geflüchteten kämen in Pkw oder Kleinbussen über die Grenze. "Personen sitzen dabei teils übereinander und im Kofferraum." Schleusungen in Kleintransportern oder Sattelzügen - "sogenannte Behältnisschleusungen - sind im Vergleich selten" - aber "besonders gefährlich und zeugen von einer besonderen unmenschlichen Behandlung", so die Bundespolizei.

Mehr Schutzsuchende seit August 2022

Der Sächsische Flüchtlingsrat beobachtet eine steigende Zahl Schutzsuchender seit vergangenem August. Das liegt nach Aussage von Sprecher Dave Schmidtke an den "untragbaren Situationen in den Herkunftsregionen". So sei der Norden Syriens quasi unter Dauerbeschuss. Viele Kurden verließen das Gebiet und suchten Schutz in Europa. Hinzu kämen Kurden, die sich bereits in die Türkei gerettet hätten. Vielen von ihnen drohe aber im Zusammenhang mit dem Wahlkampf von Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Abschiebung. Erdogan wirbt laut Flüchtlingsrat mit der Abschiebung von Kurden und Geflüchteten um Wähler. Auch unterdrückte Kurden mit türkischem Pass, die in ihrer Heimat verfolgt würden, suchten Schutz in Deutschland.

Unklare Lage von ehemaligen Ortskräften in Afghanistan

Noch immer versuchten auch Menschen aus Afghanistan nach Deutschland zu kommen, so der Flüchtlingsrat. Insbesondere sogenannte Ortskräfte, die vor Ort für die Bundeswehr gearbeitet haben und nach deren Abzug 2021 zurückgeblieben waren, fürchten um ihr Leben und befinden sich mit ihren Familien ständig auf der Flucht, wie Schmidke zu berichten weiß. 14.000 Menschen hätten noch eine Zusage, in Deutschland Schutz zu finden, kommen aber - unter anderem wegen der gestoppten Visa-Vergabe durch die Bundesrepublik nach Hinweisen auf mutmaßliche Betrugsversuche - nicht aus dem Land.

Menschen flüchten auch aus Venezuela nach Europa

Bisher kaum für Aufmerksamkeit gesorgt haben die Geflüchteten aus Venezuela. Laut Flüchtlingsrat ist Venezuela "weiterhin eine autoritäre Diktatur, in der die Bevölkerung an einer humanitären Krise leidet und jegliche Kritik von der Regierung Nicolás Maduros gewaltsam unterdrückt wird". Die steigende Zahl Geflüchteter aus diesem lateinamerikanischen Land nach Europa sei auch eine Folge von Covid-19. Viele Venezuelaner, die in Nachbarländern ihrer Heimat gearbeitet haben, hätten ihre Jobs verloren und damit keine Perspektive mehr.

Pushback oder nicht: Die Sicht von Flüchtlingsrat und Bundespolizei

Der Flüchtlingsrat geht Vorwürfen nach, wonach die Bundespolizei offenbar wegen sprachlicher oder formaler Unstimmigkeiten nicht in jedem Fall das Schutzgesuch der Einreisenden erkannt hat und die Menschen beispielsweise nach Polen oder Tschechien zurück abgeschoben haben soll - in Fachjargon ist das auch als "Pushback" vor allem von EU-Außengrenzen bekannt.

In einem Fall sei einem jungen Kurden mit türkischem Pass die Einreise* verweigert worden, weil die Bundespolizei keinen Erfolg auf ein vorübergehendes Bleibeersuchen gesehen haben soll, so Schmidtke vom Flüchtlingsrat. Der Kurde sei einen Tag später vom Flughafen Leipzig/Halle zurück in die Türkei geschickt worden. Der Flüchtlingsrat stehe in Kontakt mit dem Mann.

* In einer früheren Version des Artikels hieß es, dem Kurden sei die Einreise am Flughafen Dresden verweigert worden. Da ist uns ein Fehler unterlaufen. Wir haben die Stelle entsprechend korrigiert. Laut Flüchtlingsrat kam der Kurde über den Landweg nach Sachsen und wurde am Bahnhof Chemnitz aufgegriffen.

So läuft die Einreisekontrolle ab "Besteht der Anfangsverdacht der unerlaubten Einreise, weil die Personen beispielsweise nicht über aufenthaltslegitimierende Dokumente verfügen, werden diese zur Klärung des Sachverhaltes und für die sich gegebenenfalls anschließende Sachbearbeitung in die Diensträume begleitet. Dort wird die Identität der Person festgestellt, die Person wird befragt und es werden, wenn erforderlich, erkennungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt (z.B. Fingerabdrücke und Lichtbilder).

Wenn die betroffene Person ein Schutzersuchen stellt, wird sie an die zuständige Erstaufnahmeeinrichtung des jeweiligen Bundeslandes weitergeleitet. Unbegleitete Minderjährige werden aus Gründen der Jugendfürsorge nicht in die Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet, sondern in die Obhut des Jugendamtes übergeben. Familien werden nicht getrennt, sondern ebenso wie unbegleitete Minderjährige beschleunigt bearbeitet, um die Aufenthaltsdauer in den Diensträumen so kurz wie möglich zu halten.

Entscheidend für grenzpolizeiliche Maßnahmen sind der aufenthaltsrechtliche Status und nicht das Erscheinungsbild der Person." Quelle: Bundespolizei Pirna

Die Bundespolizei erklärt das Verfahren grundsätzlich so: "Entscheidend für grenzpolizeiliche Maßnahmen, wie zum Beispiel die Zurückschiebung, ist der aufenthaltsrechtliche Status." Sobald die Identität der Personen an der Grenze festgestellt ist, könnten sie ihre Reise fortsetzen - "sofern keine einreiseverhindernden oder aufenthaltsbeendenden Maßnahmen rechtlich geboten sind". Anlaufstellen für Schutzsuchende sind demnach die Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer. "Die Entscheidung über ein Schutzersuchen obliegt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge."

Was ist eine unerlaubte Einreise? Unerlaubte Einreisen können grundsätzlich nur von Drittstaatsangehörigen begangen werden. Deutsche Staatsangehörige und Freizügigkeitsberechtigte können grundsätzlich nicht unerlaubt einreisen. Freizügigkeitsvereinbarungen gibt es innerhalb der EU, mit Norwegen, Island oder der Schweiz.

Die Bundespolizei hat unter anderem den gesetzlichen Auftrag, unerlaubte Einreisen zu verhindern. Dabei gilt: Jeder Reisende, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, muss bei Grenzübertritt ein gültiges Grenzübertrittsdokument wie einen Personalausweis, einen Reisepass (mit Visum) und gegebenenfalls einen sogenannten Aufenthaltstitel mit sich führen und auf Verlangen aushändigen. Quelle: Bundespolizei Pirna

Fluchtgründe reichen von Todesangst bis Armut durch Naturkatastrophen

Durch ihre Kontakte mit den Geflüchteten erfährt die Bundespolizei auch die Gründe für die Flucht: Allgemein lasse sich festhalten, dass die persönlichen, wirtschaftlichen beziehungsweise politischen Verhältnisse einer jeden einzelnen unerlaubt eingereisten Person in ihrem Herkunftsland wesentliche Faktoren seien, hieß es von der Bundespolizei. "Kriege, Unruhen, Naturkatastrophen sind ebenso Ursachen wie die eigene Perspektivlosigkeit."

Auch in Thüringen deutlich mehr unerlaubte Einreisen

Auch in Thüringen wurden deutlich mehr unerlaubte Einreisen festgestellt: Waren es im ersten Quartal des vergangenen Jahres noch 187, so registrierte die Bundespolizei im ersten Quartal dieses Jahres 341 unerlaubte Einreisen. In Sachsen-Anhalt blieb die Anzahl der illegalen Grenzübertritte hingegen fast gleich: 130 illegale Grenzübertritte stellte die Polizei von Januar bis März fest, im Vorjahreszeitraum waren es 126.

Der Trend, der sich in Sachsen und Thüringen feststellen lässt, entspricht der bundesweiten Entwicklung: Im ersten Quartal dieses Jahres stellte die Bundespolizei fast 20.000 illegale Grenzübertritte fest, im Jahr 2022 waren es knapp 13.000, 2021 waren es noch weniger als 10.000. Die Bundespolizei spricht von einem "kontinuierlich ansteigenden Trend" seit dem Jahr 2022.

MDR (jwi/lam)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 01. Mai 2023 | 19:00 Uhr

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