Obdachlosigkeit "Defensive Architektur": Wie Leipzigs Innenstadt Wohnungslose verdrängt
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12. September 2023, 10:05 Uhr
Am 11. September ist der Tag der Wohnungslosen. Dieser soll dazu dienen, auf die Probleme der Menschen aufmerksam zu machen, die auf der Straße leben. In Sachsen waren das im Januar dieses Jahres knapp 3.000 Personen, sagt das Statistische Landesamt. Viele Städte versuchen, Obdachlose aus dem Stadtbild zu verdrängen - mit "defensiver Architektur". Das ist ein Baustil, der darauf abzielt, dass Menschen sich so kurz wie möglich an öffentlichen Orten aufhalten. So auch in Leipzig.
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Norbert ist 65 Jahre alt und lebt seit eineinhalb Jahren auf der Straße. Jeden Tag ist er, gemeinsam mit seinem Hund Benni, auf dem Leipziger Markt zu finden - gleich gegenüber des Alten Rathauses.
Seit Anfang des Jahres sei er in Leipzig, erzählt Norbert. "Vorher habe ich in Bad Düben gelebt, war 25 Jahre verheiratet." Dann sei sein Kind verstorben, dann seine Frau. Dazu kam eine Erkrankung am Herzen. All das habe ihn aus der Bahn geworfen und in die Obdachlosigkeit getrieben.
Zahl der Obdachlosen gestiegen
Norbert ist einer von vielen. Wie hoch die Zahl der Obdachlosen in Leipzig wirklich ist, weiß keiner. Auch nicht Tom Hübner, Abteilungsleiter der Sozialen Wohnhilfen Leipzig. Nur, dass die Obdachlosigkeit in den letzten Jahren gestiegen ist, könne man sicher sagen, meint Hübner. "Vor allem bedingt durch den Einfluss von Corona haben mehr obdachlose Menschen unsere Einrichtungen aufgesucht, wir haben im vergangenen Jahr 800 Personen durchschnittlich pro Nacht untergebracht", erzählt er.
Kein Platz auf Bänken
Norbert gehört nicht dazu. Er verbringt seine Nächte im Freien, wegen seines Hundes. Er schlafe in einem Zelt, nicht auf Parkbänken, denn auf manchen könne man sich weder hinlegen, noch hinsetzen, sagt er. Defensive Architektur heißt das im Fachjargon. Auch am Park direkt am Wilhelm-Leuschner-Platz ist sie zu finden. Auf der steinernen Umrandung könnte man sich bequem hinlegen - wären da nicht kleine Stahlkugeln verbaut.
Kritik vom Jugendparlament
Das Stadtjugendparlament kritisiert diese Art der Architektur. Dessen Sprecher Oskar Teufert zählt weitere Bespiele auf. So hätten die noch nicht modernisierten Haltestellen der Verkehrsbetriebe "Plastikbänke mit der komischen Wölbung, die auch dafür da ist, dass sich da niemand hinlegen kann." Auch gäbe es eine Vielzahl von Sitzbänken in der Stadt, bei denen die Armlehne in der Mitte ist. "Alles dazu da, um das Verweilen möglichst unangenehm zu machen", sagt Teufert.
Das Jugendparlament wollte, dass die Stadt eine Satzung verabschiedet, die diese Art von Stadtmöbeln verbietet und zurückbaut. Die Verwaltung lehnte das ab - versprach aber bei künftigen Stadtmöbeln auf defensive Architektur zu verzichten.
Runter von der Straße
Für Norbert soll das in Zukunft eine untergeordnete Rolle spielen. Er will runter von der Straße, erzählt er, und sucht bereits nach einer Wohnung. "Ich kann nicht mit Benni im Winter auf der Straße leben. Er ist jetzt 14 Jahre alt und soll noch ein bisschen leben - genau wie ich", sagt Norbert. Einen Wunsch habe er: weniger Herablassung gegen Obdachlose. Denn so wie ihn könne es jeden treffen.
MDR (brb/ben)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Der Tag | 11. September 2023 | 16:10 Uhr