Tiermedizin "Bunter Hund": Hilfe für Tiere von Obdachlosen und Suchtkranken
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15. Mai 2023, 12:10 Uhr
Ob bei Einsamkeit oder wenn es einem mal nicht so gut geht: Haustiere helfen ihren Besitzern oft aus Tiefs heraus. Doch ein Tierarztbesuch kann allein wegen der gestiegenen Kosten für Medikamente teuer werden. Der Leipziger Verein "Bunter Hund" unterstützt Tierbesitzer, die obdachlos oder drogensüchtig sind. Doch längst nicht jedem kann geholfen werden.
- Der Verein "Bunter Hund" unterstützt Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer in prekären Lebenslagen wie Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit.
- Ein Besuch der kostenlosen Sprechstunden ist nur unter strengen Zugangsvoraussetzungen möglich.
- Der Verein geht davon aus, dass viele Tierarztpraxen sich nicht in dem Projekt engagieren, weil sie Vorbehalte gegenüber Bedürftigen haben und Kosten scheuen.
Sternchen steht ruhig auf dem Untersuchungstisch in der Tierarztpraxis von Patrick und seinem Vater Volker Jähnig in Leipzig, während Michelle Frieske die Hündin mit dem Stethoskop abhört. Danach steht Fiebermessen an. "39,0. Alles in Ordnung", sagt die 23 Jahre alte Veterinärmedizinstudentin. Zwischendurch versucht Sternchen vom Tisch zu springen. Doch ihre Besitzerin Renate streichelt und beruhigt die Mischlingshündin: "Wir gehen noch nicht, mein Schatz, aber bald." Die 45-Jährige kommt schon länger zu den kostenlosen Tierarztsprechstunden, die durch den Leipziger Verein "Bunter Hund" organisiert werden.
Die Leipzigerin ist froh über das Angebot, denn die Arthrosetabletten für Sternchen, die 42 Euro im Monat kosten, könne sie sich nicht leisten. Der Verein konnte schon bei einer Operation für die zehnjährige Hündin aushelfen, die 400 Euro kostete. Seit elf Jahren unterstützen die Vereinsmitglieder Menschen wie Obdachlose oder Drogenabhängige in ihren schweren Lebensphasen. Bei Renate war eine Alkoholentgiftung vor sieben Jahren ein einschneidendes Erlebnis: "Seitdem habe ich mich unter Kontrolle." Sternchen gebe ihr Halt und sei einfach wie eine gute Freundin.
Was macht der Leipziger Verein "Bunter Hund"?
Der Leipziger Verein "Bunter Hund" unterstützt seit elf Jahren Menschen und deren Haustiere in besonders prekären Lebenslagen, wie Drogenabhängikeit und Obdachlosigkeit. In Zusammenarbeit mit fünf Leipziger Tierarztpraxen, Veterinärstudierenden und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern werden kostenlose Tierarztsprechstunden angeboten. Anfallende Kosten für Medikamente, Behandlungen und Operationen übernimmt der Verein komplett oder anteilig.
Der Verein finanziert sich hauptsächlich über Spenden. Auch in anderen Tierarztpraxen gibt es die Möglichkeit über Spendenboxen bedürftigen Menschen einen Tierarztbesuch zu ermöglichen.
Verein "Bunter Hund"
Haustier als einziger Lebensbegleiter
Für diese Menschen seien die Tiere oft die einzigen verbliebenen Lebensbegleiter, sagt die Vereinsvorsitzende und Tierärztin Therese Helbig: "Sie sehen in den Tieren einen Freund, einen Familien- und Wegbegleiter. Ich habe selbst einen Hund und weiß, wie Tiere einen psychisch aufbauen können, wenn es einem mal nicht gut geht."
Sie sehen in den Tieren einen Freund, einen Familien- und Wegbegleiter. Ich habe selbst einen Hund und weiß, wie Tiere einen psychisch aufbauen können.
Strenge Zugangsvoraussetzungen für Besuch
Der Verein mit seinen sechzig Mitgliedern arbeitet mit fünf Leipziger Tierarztpraxen, Veterinärstudierenden und Sozialarbeitern zusammen. Immer mittwochs öffne einer der Tierärzte ab 12 Uhr für eine kostenfreie Sprechstunde, erklärt Helbig. Jede Tierarztpraxis sei somit alle sechs Woche einmal an der Reihe. Dabei entscheiden die Sozialarbeiter, die die bedürftigen Menschen begleiten, wer Anspruch auf einen Besuch hat.
Viele Leipziger, die in Armut leben, würden gerne in die Sprechstunden kommen. Doch es gibt harte Zugangsbedingungen wie eine Wohnungslosigkeit, eine Sucht oder Krankheit.
Denn nicht jeder, der als bedürftig gilt, kann zu den Sprechstunden kommen, erklärt Streetworkerin Becky Wehle: "Viele Leipziger, die in Armut leben, würden gerne in die Sprechstunden kommen. Doch es gibt harte Zugangsbedingungen wie eine Wohnungslosigkeit, eine Sucht oder Krankheit." Denn schon jetzt reiche die Zeit in den Sprechstunden gerade so für diese Menschen aus.
Gebührenpflicht sieht keine kostenfreie Arbeit vor
Die kostenlosen Sprechstunden seien nicht unproblematisch, erklärt Tierarzt Volker Jähnig, der zu den Gründungsmitgliedern des Vereins "Bunter Hund" gehört. Das Problem: Die gesetzlich vorgeschriebene Gebührenpflicht sieht keine kostenfreie Arbeit vor. "Wir müssen sehr strenge Regeln anlegen, um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen. Das schließt mit ein, dass nur Besitzer von Tieren, die unter Betreuung von Sozialarbeitern stehen, das Angebot nutzen können", so Jähnig. In Abstimmung mit der Sächsischen Landestierärztekammer werden Jähnig zufolge keine Gebühren für die Sprechstunden erhoben.
Die Tierärzte bieten dabei ihre Arbeit ehrenamtlich an. Die Kosten für Medikamente oder Operationen übernehme komplett oder anteilig der Verein, der sich hauptsächlich durch Spenden finanziere, erklärt Tierarzt Jähnig. Wer die Voraussetzungen nicht erfüllt, müsse abgelehnt werden, was oft ein moralisches Dilemma sei: "Es ist schwierig, wenn eine Mutter mit vier Kindern und einem kranken Hund kommt, die dann keine Chance hat, von diesem Verein zu profitieren."
Tierarzt: Es gibt Vorbehalte gegenüber Klientel
Von mehr als 40 Tierarztpraxen engagieren sich aktuell nur fünf Praxen in dem Projekt, zuvor seien es sechs gewesen, so Jähnig. "Das hängt auch damit zusammen, dass es Vorbehalte gegen diese Klientel gibt. Aber die sind genauso lieb zu ihren Tieren und hängen manchmal noch stärker an ihren Tieren." Zudem würden die Tierärzte die Umsatzeinbußen durch das kostenfreie Angebot nicht hinnehmen wollen.
Das hängt auch damit zusammen, dass es Vorbehalte gegen diese Klientel gibt. Aber die sind genauso lieb zu ihren Tieren und hängen manchmal noch stärker an ihren Tieren.
Ein Tier als Partner haben dürfen
Alex und Michelle Susann schauen zu ihrer Stella, während Veterinärstudentin Victoria Sägner der kleinen schwarzen Hauskatze eine Impfspritze verabreicht. Sie muss das Tier dabei gut festhalten. Für Stella steht auch noch eine Kastration für 200 Euro an. Das könne das Pärchen jedoch nicht komplett finanzieren. Beide seien aktuell noch arbeitssuchend. "Ich habe im Kinderheim und lange auf der Straße gelebt", erzählt Alex.
Der 28-Jährige sei bei seiner Ausbildung rausgeflogen. Nun wolle er bei einer Umzugsfirma anfangen. Er wohnt mit seiner Freundin Michelle Susann und Katze Stella zusammen: "Es ist cool, dass es den 'Bunten Hund' für Menschen gibt, die sich ein Tier nicht leisten können, aber gerne eines hätten."
Jeder sollte die Möglichkeit haben, einem Tier ein Partner zu sein und ein Zuhause zu geben.
Katze Stella hat es fast geschafft. Victoria Sägner streichelt sie ruhig über den Rücken und hebt sie dann in die Transportbox. Für die 19-Jährige Veterinärmedizinstudentin im zweiten Semester sind die Sprechstunden eine Möglichkeit, praktische Erfahrung zu sammeln. "Das findet sonst in den ersten Semestern im Studium gar nicht statt", sagt sie. Doch auch aus Überzeugung engagiert sich Victoria beim "Bunten Hund": "Jeder sollte die Möglichkeit haben, einem Tier ein Partner zu sein und ein Zuhause zu geben."
MDR (phb)