Rückblick auf den 05.06.2020 Fabrikabriss vor den Augen der Jungstörche in Mügeln
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05. Juni 2020, 16:25 Uhr
Ein Schandfleck verschwindet in Mügeln. Die Gebäude der ehemaligen Varia Color werden ab Montag abgerissen. Gefahr ist in Verzug. Die alte Fabrik droht einzustürzen. Ein Teil der Döbelner Straße ist schon gesperrt, weil Gebäudeteile herabfallen könnten. Und mittendrin im Verfall und dem anstehenden Abrisslärm: Ein Storchenpaar zieht auf einem Schornstein seine Jungen auf.
Seit Jahren brüten die Störche auf dem Schornstein in Mügeln. Seit Jahren haben sie Ruhe dabei. Seit Jahren können sie den Verfall der Gebäude unter ihrem Nest beobachten. Nun rollen die Abrissbagger an.
Ein Stück Mügelner Geschichte verschwindet
Was hier verschwindet ist nicht nur ein Schandfleck, es ist ein Stück Industriekultur, sagt der Chef des Heimatmuseums, Andreas Lobe.
Es ist der älteste Industriebetrieb hier in der Stadt, der noch vor der Schmalspurbahn gebaut wurde.
Einst wurden hier Schuhe produziert, später Schulfarbkästen, Plastelina, Försterkreide, Scherzartikel, Weihnachts- und Osterartikel aber auch Arbeitsschutzbrillen. Über Jahrzehnte sei ein Großteil der Mügelner Familien hier in Lohn und Brot gewesen. Was bleibt, sind Erinnerungen und Störche.
Keine Zukunft mehr
20 Jahre lang hatte die Kleinstadt versucht, einen neuen Nutzer für das Fabrikgelände zu finden. Nach der Wende verkaufte die Treuhand den Betrieb. Alle Bemühungen des neuen Eigentümers misslangen. Der Verfall begann. Inzwischen ist das Dach eingestürzt. Vom unteren Geschoss sieht man bis hoch in den Himmel. Der Schandfleck wird gefährlich und soll weggerissen werden. Ein erster Start Ende Mai kam nicht zustande.
Streit um Abrisskosten
Ein Gericht verhängte den Baustopp, weil ein ehemaliger Gesellschafter des Eigentümers gegen den Abriss in Widerspruch gegangen war. Kosten zwischen 150.000 und 200.000 Euro stehen im Raum, die keiner bezahlen möchte. Doch es muss gehandelt werden. Mauerteile drohen auf die Straße zu fallen. Nun springt das Landratsamt mit einer sogenannten Ersatzvornahme ein und hat den Abriss jener Gebäudeteile verfügt, von denen die Gefahr in erster Linie ausgeht. Am Montag soll es losgehen. Etwa sechs Wochen lang werden sich die Bagger durch die Ruine kämpfen. Am Ende wird vom ältesten Industriebetrieb der Stadt nur noch ein Berg Schutt übrig bleiben, wie Bürgermeister Ecke etwas erleichtert sagt.
Familie Adebar bleibt
Das Storchenpaar muss nicht um seinen Schornstein fürchten, aber um seine Ruhe. Heimatforscher Lobe nimmt jedoch nicht an, dass der Abrisslärm die Störche in die Flucht schlägt. Schon mehrfach habe man versucht, die Störche an den Rand der Stadt umzusiedeln. Sie hätten sich aber nicht von ihrem Stammsitz abbringen lassen, sondern immer wieder die Nähe zum Menschen gesucht. Wer so hartnäckig ist, lässt sich auch vom Baggerlärm nicht verjagen, hofft Lobe. Außerdem würden die Abrissarbeiten von der Unteren Naturschutzbehörde beobachtet und der Storchenbeauftragte schaut regelmäßig nach der Familie. Ihm hilft dabei die Storchen-Cam.
Kleine Störche werden groß
Am Freitag vor dem großen Abriss war für die Storchenkinder so etwas wie Konfirmation. Sie erhielten ihre Ringe und sind damit Teil der weltweiten ornithologischen Forschergemeinschaft geworden. Von nun an werden sie ein Leben lang über ihren Zug durch die Lüfte, über ihr Sommer- und Winterquartier Auskunft geben können. Bis sie das erste Mal gen Afrika aufbrechen, wird sich unter ihrem Nest die Welt verändert haben.
Quelle: MDR/gg
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 05.06.2020 | 17:30 Uhr