Bezahlkarte für Asylsuchende Migrationsforscherin: Kein Beleg vorhanden, dass Bargeld Geflüchtete anzieht

12. Oktober 2023, 20:08 Uhr

Auf der Suche nach Wegen, die derzeitige Zuwanderung zu begrenzen, will Sachsen kein Bargeld mehr an Asylbewerber auszahlen. Eine Chipkarte soll die Lösung sein, mit der die Dinge des täglichen Bedarfs bezahlt werden. Doch bringt das wirklich was? Der Städte- und Gemeindetag ist davon überzeugt. Die Koalitionspartner in Sachsen und eine Migrationsforscherin sind dagegen skeptisch.

Sachsen und andere Bundesländer wie Bayern oder Sachsen-Anhalt, die eine Bezahlkarte für Asylbewerber wollen, versprechen sich dadurch eine Entlastung bei der Zuwanderung. Der Anreiz, nach Deutschland zu kommen, falle dann weg, argumentiert Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), aber auch der Präsident des Sächsischen Städte und Gemeindetags, der Radebeuler Oberbürgermeister Bert Wendsche (CDU): "Ein Baustein ist, dass man zu dem Bezahlkartensystem kommt, wohl wissend, dass für einen Teilbetrag - die 'Taschengeld'-Leistungen - Barzahlungen weiterhin möglich sein müssen", sagte Wendsche MDR SACHSEN.

Der Vorteil einer Bezahlkarte sei auch, dass diese einmal im Monat aufgeladen werde und der große Aufwand in den Ausländerämtern damit minimiert werde. "Davon können sie den Taschengeldbetrag bar abheben und mit dem Rest können sie in Läden einkaufen," so Wendsche.

Migrationsforscherin: Geldleistungen kein Beleg für "Pull-Faktor"

Doch ist es wirklich so, dass Migranten durch Bargeldleistungen nach Deutschland gelockt werden? Die Migrationsforscherin Birgit Glorius von der TU Chemnitz, ist skeptisch. "Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die Höhe von Bargeldleistungen einen Einfluss darauf hat, in welchem Land Menschen Asyl suchen wollen", sagte Glorius MDR Sachsen. "Das sind zuvorderst Arbeitsmöglichkeiten, eine gute Unterbringung und Möglichkeiten, an Freunde oder Familienangehörige anzudocken."

Glorius, die im Sachverständigenrat für Migration und Integration die Bundesregierung berät, hält es auch nicht verwerflich, dass einzelne Asylbewerber, etwas von dem Geld in ihre Heimat schicken. "Man hat soziale Verpflichtungen, die löst man ein, indem man auch Geld zurücksendet." Für die Herkunftsländer seien die Geldsendungen von Arbeitsmigranten zum Teil ein sehr großer Beitrag zum Bruttosozialprodukt.

Man hat soziale Verpflichtungen, die löst man ein, indem man auch Geld zurücksendet.

Birgit Glorius Migrationsforscherin der TU Chemnitz

Die Menschen hätten zum Teil mehrere tausend Dollar oder Euro bezahlt, um nach Deutschland zu kommen. "Da ist das 'Taschengeld' ein minimaler Gegenwert." Dass Sachsen, wie angekündigt, die Chipkarte für Asylbewerber notfalls im Alleingang einführt, hält Glorius durchaus für machbar, wenn die digitale Infrastruktur vorhanden ist. Aber: "Es wird kein Mensch, der durch Polen kommt, deswegen nach Brandenburg abbiegen," sagt Glorius.

Sächsische Migrantenorganisationen lehnen Chipkarte ab

Der Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen spricht sich gegen die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber aus. Der Vorschlag sei kein Fortschritt, erklärte einer der Geschäftsführer des Verbandes, Emiliano Chaimite, am Donnerstag in Dresden. Die Umsetzung würde "einen riesigen Verwaltungsaufwand bedeuten und dazu noch Geflüchtete entmündigen".

Laut Chaimite kann Kommunen, Ehrenamtlichen und Geflüchteten vor Ort "nur geholfen werden, wenn Bund und Länder gemeinsam mehr Unterstützung in Form von Geld oder Liegenschaften bereitstellen". Zudem müssten Arbeitsverbote fallen und - zur Entlastung von Ämtern - eine elektronische Gesundheitskarte eingeführt werden.

Koalitionspartner SPD und Grüne zurückhaltend

Auch die Koalitionspartner SPD und Grüne in Sachsen sind skeptisch, ob die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber zu einer Verbesserung der Lage führt. Sozialministerin Petra Köpping (SPD) hatte bereits am Dienstag gesagt, wenn eine solche Chipkarte für Asylbewerber eingeführt werden solle, dann nur bundesweit. "Es darf keinen Flickenteppich bei Asylleistungen geben."

Für die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Petra Čagalj Sejdi, sind noch viele Fragen ungeklärt. Zudem befürchtet sie Diskriminierung und Ausgrenzung: "Also, dass nicht jemand an der Kasse steht, und dann herausgefiltert wird, weil er dort in dem Supermarkt nicht bezahlen kann mit seiner Karte. Und wie kann man es hinbekommen, dass eine wirkliche Teilhabe stattfinden kann am gesellschaftlichen Leben. Weil wir ja immer noch Bereiche haben, wo wir Bargeld brauchen."

Dresdner Ausländerbeauftragte: Von Unterstützung bleibt nicht viel übrig

Die Ausländerbauftragte der Stadt Dresden, Kristina Winkler, sieht eine Umstellung von Bargeld auf Sachleistungen für Asylbewerber ebenfalls kritisch. Die monatliche Unterstützung sei wenig attraktiv und es bleibe kaum etwas übrig, um es nach Hause zu schicken, sagte Winkler MDR SACHSEN. "Wenn man dann die Ausgaben dagegen setzt bis hin zur Ernährung, bleibt da meiner Meinung nach nicht so viel Übrig, als dass es attraktiv auf dieser Welt ist, unbedingt nach Deutschland zu kommen, um dann den Rest nach Hause zu schicken."

Noch bis Freitag beraten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer in Frankfurt zum Thema Migration. Hintergrund ist, dass Kommunen entlastet werden sollen. Auch über Begrenzungen der Einreise von Geflüchteten soll debattiert werden. Mit den Chipkarten für Geflüchtete sollen Bargeldzahlungen unterbunden werden. Ebenso gibt es die Forderung zur Umstellung von Barzahlung auf Sachleistungen.

MDR (kbe,Sachsenspiegel)/epd

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 12. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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