Herzgesundheit Kardiologin aus Dresden: "Herzkrankheiten sind seit Jahren auf dem Vormarsch"

03. Oktober 2023, 08:00 Uhr

Zehntausende Menschen sind in Mitteldeutschland am Herzen erkrankt oder haben zu hohen Blutdruck. Tendenz steigend. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Todesursache Nummer 1. Die moderne Medizin ermöglicht viel, doch geheilt sind Menschen nach einem Herzinfarkt nicht. Warum Prävention so wichtig ist, erklärt Stefanie Jellinghaus, Kardiologin und Oberärztin am Herzzentrum Dresden.

Frau Jellinghaus, werden aktuell mehr Menschen mit Herzproblemen in Ihr Krankenhaus eingeliefert?

Herzkrankheiten sind schon seit Jahren auf dem Vormarsch. In der westlichen Welt gelten Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems als die Todesursache Nummer 1. Einen kurzfristigen Trend zu mehr Aufnahmen im Krankenhaus sehen wir nicht, die Zahlen sind stabil und ähneln denen des Vorjahres.

Von wie vielen Patienten sprechen wir hier?

Wir im Herzzentrum Dresden gelten als Haus der Maximalversorgung, hier können alle Herzerkrankungen des Erwachsenenalters behandelt werden. Zu uns kommen Patienten aus der gesamten Region um Dresden, aus Ostsachsen und dem östlichen Erzgebirge. Das nächste Herzzentrum ist erst wieder in Leipzig und in Berlin. In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben wir etwa 19.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Nach unseren Prognosen werden es Ende des Jahres etwa 26.000 Patienten und Patientinnen sein.

Das ist viel. Warum sind Herzerkrankungen so häufig und führen so häufig zum Tod?

Erstens sind wir eine alternde Gesellschaft. Je älter wir werden, desto größer ist die Chance, am Herz oder am Herz-Kreislaufsystem zu erkranken. Gleichzeitig fallen in diesen Bereich viele verschiedene Diagnosen, es gibt also eine große Bandbreite von Erkrankungen. Dazu gehört die koronare Herzkrankheit mit dem klassischen Herzinfarkt, von dem jeder schon einmal gehört hat. Dazu zählen aber auch Herzschwäche, Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen und Erkrankungen der Hauptschlagader.

Akuter Herzinfarkt, das klingt nicht, als ob viel Zeit bleibt?

Nein, hier muss schnell gehandelt werden und der Rettungsdienst möglichst schnell vor Ort sein. Einige Menschen warten zu lange oder gehen über die Anzeichen ihres Körpers hinweg.

Wie macht sich denn ein Herzinfarkt bemerkbar?

Wenn Sie einen Schmerz oder ein Engegefühl in der Brust fühlen, welches in den Arm oder auch in den Kiefer ausstrahlt, sollten Sie aufmerksam werden. Häufig kündigen sich diese Beschwerden schon im Vorhinein unter Belastungssituationen an. Frauen spüren oft unspezifischere Symptome wie Oberbauch-oder Rückenschmerzen, kombiniert mit Schweißausbrüchen oder auch Übelkeit.

Wo liegen jetzt die Ursachen für die hohe Zahl der Krankheitsfälle?

Kurz zusammengefasst: Die alternde Gesellschaft und der Lebensstil in den westlichen Industriegesellschaften. Wenig Bewegung, ungesunde Ernährung, regelmäßiger Alkoholkonsum, Rauchen – all das kann zu einem hohen Blutdruck, hohen Blutfettwerten und Diabetes führen, welche Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen. Auch die genetische Veranlagung spielt eine Rolle. Doch es ist meist nicht nur eine Ursache, viele Risikofaktoren spielen ein.

Wenig Bewegung, ungesunde Ernährung, regelmäßiger Alkoholkonsum, Rauchen – all das kann zu einem hohen Blutdruck, hohen Blutfettwerten und Diabetes führen, welche Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen. 

Stefanie Jellinghaus Habilitierte Oberärztin und Kardiologin am Herzzentrum Dresden

Es ist also nicht so günstig, wenn ich in der Redaktion den ganzen Tag am Computer sitze, abends Pizza esse, dazu Weine trinke und eine Zigarette rauche?

Nein, auf keinen Fall, besonders falls Sie dies jeden Tag so machen. Das Wichtigste ist die Prävention, die beginnt schon im Kindesalter. Wenn Kinder lernen, dass sie sich bewegen und dass ihnen diese Bewegung guttut, übernehmen sie dieses Verhalten in den meisten Fällen später in ihren Lebensstil als Erwachsene. Ähnlich verhält es sich mit der Ernährung. Wer schon als Kind gewohnt ist zu kochen und vor allem unverarbeitete Lebensmittel zu essen, wird dies mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener mit einer höheren Wahrscheinlichkeit tun. Doch grundsätzlich haben Sie als junger Mensch den meisten Spielraum. Wenn Sie sportlich sind und öfter 100 Kilometer Rad fahren, können Sie bei der Ernährung mehr variieren als ein 70-Jähriger mit Diabetes.

Das Herzzentrum Dresden Das Herzzentrum Dresden wird von dem privaten Klinikbetreiber "Sana" betrieben und ist an das Uniklinikum Dresden angegliedert. Die Spezialklinik versorgt Menschen aus Ostsachsen, Dresden und auch dem Osterzgebirge. Im Herzzentrum Dresden stehen vier OP-Säle, drei Linksherzkathetermessplätze sowie ein Hybrid-OP, der die Vorteile eines konventionellen OP-Saals mit dem eines Linksherzkatheters verbindet, für Patienten zur Verfügung. Das Herzzentrum verfügt über 190 Betten, davon je 95 Betten in der Klinik für Innere Medizin und Kardiologie sowie in der Klinik für Herzchirurgie, die sich gemäß dem abgestuften Pflegekonzept auf Intensiv-, Intermediär- und Normalpflegebetten aufteilen.

Mit ungesunden Angewohnheiten habe ich also Pech gehabt?

Natürlich lässt sich der Lebensstil auch später als Erwachsener ändern. Es ist zwar schwierig, doch es lohnt sich. Jeder, der sich bewegt und sich wieder sportlich betätigt, erreicht etwas. Jeder, der auch als Erwachsener aufhört zu rauchen, verschafft sich selbst große Vorteile. Die sind zwar nicht so groß, als hätte man erst gar nicht angefangen oder schon mit 20 Jahren aufgehört, trotzdem lässt sich viel erreichen.

Besonders in Ostdeutschland sind viele Menschen über 65 Jahren am Herz erkrankt. Warum?

In den neuen Bundesländern leben überproportional viele ältere Menschen. Wie schon gesagt, je älter die Menschen sind, desto höher ist das Risiko zu erkranken. Hinzu kommen weitere soziodemographische Faktoren wie Einkommen, Familienstand oder Geschlecht. Krebs ist als relevante Erkrankung in der Gesellschaft angekommen. Es gibt gute Präventions- und Screening-Programme. Jetzt wird es Zeit, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen mehr in das Bewusstsein rücken. Dabei geht es nicht darum Angst zu machen, sondern zu motivieren, einem hohen Blutdruck vorzubeugen.

Jetzt wird es Zeit, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen mehr in das Bewusstsein rücken. Dabei geht es nicht darum Angst zu machen, sondern zu motivieren, einem hohen Blutdruck vorzubeugen.

Stefanie Jellinghaus Habilitierte Oberärztin und Kardiologin am Herzzentrum Dresden

Viele Menschen erkennen ihren hohen Blutdruck nicht.

Hier helfen der Kontakt zum Arzt und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen. Besonders junge Menschen nutzen ja Smartwatches, meistens für den Sport, welche teilweise auch den Blutdruck aufzeichnen. Mit der Telemedizin wird hier in Zukunft viel mehr möglich sein. Wichtig ist es, hohen Blutdruck zu senken, auch wenn sich Patienten oft damit wohl fühlen. Denn hoher Blutdruck schädigt über lange Sicht die Gefäßwände. Dafür können Medikamente Gold wert sein, doch auch eine Änderung des Lebensstils. Manchmal gelingt es sogar mit erfolgreichem Livestyle-Management, die Medikamente zu reduzieren oder sogar wieder abzusetzen.

Die Behandlung von Infarkten und anderen Herzerkrankungen sind meistens dringend. Wie kann sie im ländlichen Raum gelingen, wenn Spezialisten oft weit weg sind?

Das Wichtigste ist, schnellstmöglich einen Arzt oder den Rettungsdienst zu holen. Viele Menschen sitzen tagelang zu Hause, suchen sich keine Hilfe und gehen schlichtweg über Symptome hinweg. Bei einem Verdacht sollten Sie auf keinen Fall zögerlich sein. Zeit ist hier wirklich entscheidend. Die Rettungskräfte stellen dann per EKG fest, ob es sich um einen Herzinfarkt handelt.

In einem Herzkatheter-Labor kann in diesem Fall das verschlossene Herzkranzgefäß wieder geöffnet und mit einem Stent versorgt werden. Das sollte so schnell wie möglich passieren, damit das Herz wieder mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird. Je länger es dauert, bis das Gefäß wiedereröffnet ist, desto größer die Narbe des Herzmuskels die zurückbleibt und zu einer Herzschwäche führen kann. Genau das wollen wir verhindern.

Was wird in einem Herzkatheter-Labor gemacht? Ein Herzkatheter-Labor ist eine Art Operationssaal, in dem Kardiologen sogenannte minimalinvasive medizinische Untersuchungen am Herzen vornehmen. Das Besondere: Der operative Eingriff erfolgt über einen Katheter, der über venöse oder arterielle Adern der Leiste, der Ellenbeuge oder über das Handgelenk eingeführt wird. Die Patienten müssen für diese Eingriffe nicht zwingend unter Vollnarkose gestellt werden, das ermöglicht auch zum Beispiel den Einsatz einer neuen Herzklappe für ältere Menschen, die keine Narkose mehr vertragen würden. Fast alle größeren Krankenhäuser verfügen heute über Herzkatheter-Labore, in Sachsen neben den Unikliniken in Leipzig und Dresden unter anderem auch die Elblandkliniken in Riesa, die Zwickauer Paracelsus-Klinik oder auch das Klinikum Görlitz.

Die Patienten werden also bei guter Behandlung wieder gesund?

Ich würde nicht von "gesund" sprechen. Auch wer einen Herzinfarkt überstanden hat, leidet weiter an einer koronaren Herzerkrankung, die man aber in den Griff bekommen kann, um weitere Ereignisse zu verhindern. In jedem Falle ist Prävention wichtig und eine gesellschaftliche Aufgabe, damit Menschen entweder erst gar nicht an den Punkt kommen. Oder eben im Falle der Erkrankung gute Hilfe erhalten.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Brisant | 29. September 2023 | 17:15 Uhr

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