50. Todestag Kästner-Jubiläumsjahr: Neue Biografie und Ehrung in Dresden
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29. Juli 2024, 03:00 Uhr
Erich Kästners Todestag jährt sich am 29. Juli zum 50. Mal. Der weltbekannte Autor von Kinderbüchern wie "Emil und die Detektive" oder "Das fliegende Klassenzimmer" wurde vor 125 Jahren in Dresden geboren. Anlässlich des besonderen Jubiläumsjahres erinnert die Stadt mit zahlreichen Veranstaltungen an den großen Schriftsteller. Außerdem liefert Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek mit einer Biografie neue Erkenntnisse über Erich Kästner und seine umstrittene Rolle im Nationalsozialismus.
- Zum 125. Geburtstag und 50. Todestag von Erich Kästner erinnert die Stadt Dresden mit verschiedenen Aktionen an den Autor.
- Anlässlich des Jubiläumsjahres ist die maßgebliche Kästner-Biografie von Sven Hanuschek erweitert und neu aufgelegt worden.
- Kästner ist vor allem als Kinderbuchautor weltberühmt, war aber auch ein Chronist des "Dritten Reichs".
Dresden feiert in diesem Jahr den Schriftsteller Erich Kästner, der vor 125 Jahren in der Dresdner Neustadt geboren wurde. Außerdem jährt sich der Todestag des Autors am 29. Juli zum 50. Mal. Dieses Doppeljubiläum hat die Stadt zum Anlass genommen, das Jahr 2024 zum Kästner-Jahr zu erklären. Unter dem Motto "Alles Kästner" haben sich verschiedene Kulturinstitutionen zusammengetan, um den Autor von weltberühmten Werken wie "Emil und die Detektive" oder "Das fliegende Klassenzimmer" gebührend zu feiern.
Erich Kästner ist über das ganze Jahr hinweg in der Stadt präsent. Auf dem Programm standen und stehen Ausstellungen, Lesungen und Liederabende, eine Filmreihe sowie Theaterstücke und eine Audioguide-Führung, die sich auf die Spuren Erich Kästners begibt.
Biografie zu Erich Kästner mit neuen Erkenntnissen
Zum 125. Geburtstag von Erich Kästner hat der Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek eine erweiterte Neuauflage seiner maßgeblichen Biografie veröffentlicht. Darin steht natürlich auch, dass man Kästner lange vorgeworfen hat, dass er nach 1933 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht aus Deutschland emigrierte. Das ist bekannt. Hanuschek betonte im Gespräch bei MDR KULTUR aber, dass er von anderen Exilanten deswegen niemals angegriffen wurde. Kästner habe sehr früh gewusst, was in Deutschland seit der Machtergreifung der Nazis vor sich ging. Er war bei der Bücherverbrennung dabei, er fuhr während der Pogromnacht mit einem Taxi durch die Straßen und sah alles.
Was Kästner wohl unterschätzt habe, so Hanuschek, war, welche Dimensionen das "Dritte Reich" annehmen werde. Wie viele andere auch habe er gedacht, dass sich Hitler nicht lange halte. Dass Kästner von 1933 bis 1945 in Deutschland blieb, lag natürlich auch an seiner Mutter, die er nicht allein lassen wollte.
Erich Kästner als Chronist des "Dritten Reiches"
Ein weiterer Grund nicht zu emigrieren, war immer Kästners Anspruch, als Chronist in Deutschland zu bleiben, um später darüber schreiben zu können. Laut Hanuschek begann Kästner ab 1939 Notizen zu sammeln: Zeitungsausschnitte, Flüsterwitze, Karikaturen. Ab 1941 führte er sein geheimes Kriegstagebuch ("Das Blaue Buch") in Gabelsberger Kurzschrift, das er auch bei Bombenalarm mit in den Luftschutzkeller nahm.
Im Juli 1945 traf Kästner den Auschwitz-Überlebenden Männe Kratz, der ihm detailliert von der Tötungsmaschinerie im Lager berichtete. Schockiert nahm Kästner die Schilderungen in sein "Blaues Buch" auf. Er erkannte, dass alles, was er während des Krieges zusammengetragen hatte, dem, was wirklich passiert war, niemals gerecht wurde.
Er habe in diesem Moment gutes Urteilsvermögen bewiesen, so Hanuschek, einzusehen, dass er einfach keinen "Sittenroman über das 'Dritte Reich'" schreiben könne. Und wer hätte auch damals so einen Roman lesen wollen? Es gab laut Hanuschek keinen Roman in den 1950er-Jahren, der adäquat mit der Shoa umging: "Es gab noch keine Sprache dafür, keine ästhetische Strategie, – das kam erst viel später." Man könne also dem Schriftsteller nicht vorwerfen, dass er diesen lange angekündigten Roman nie geschrieben habe, nur, dass er die Gründe dafür sehr lange und nicht öffentlich verhandelt habe.
Kästner rüttelte mit seinem Kriegstagebuch auf
Interessant ist, wann und aus welchem Grund Kästner sich schließlich entschloss, "Das Blaue Buch" zu veröffentlichen. Das geheime Kriegstagebuch sei ein problematisches Buch, so Biograf Hanuschek. Kästner habe seinen eigenen, ursprünglichen Text stark bearbeitet, teilweise geglättet oder Scherze eingefügt – als ob er seinem Dokument nicht mehr getraut habe. Veröffentlicht hat es Kästner dann schließlich 1961. Warum erst so spät? Sven Hanuschek hat seine Einstellung dazu in der erweiterten Neuausgabe seiner Biografie geändert: Denn das Schwierige an der Deutung solcher Texte sei, dass man erst alle Kontexte sehr gut kennen müsse, um das Überlieferte richtig einzuschätzen.
1960 führte man in der BRD eine Verjährungsdebatte darüber, wie lange während der NS-Zeit verübte Verbrechen verfolgbar bleiben, wie Hanuschek weiter erläutert. Genau in diese Debatte hinein kam Erich Kästner – der beliebte Schriftsteller, PEN-Präsident, Büchner-Preisträger und Mann des öffentlichen Lebens – mit so einem Buch. Hatte er zwar an vielen Stellen Hand angelegt – den Bericht des Auschwitz-Überlebenden Männe Kratz beließ er in seiner Länge und Deutlichkeit. Kästners Buch war sein Kommentar zur Debatte.
Quellen: MDR KULTUR (Jörg Schieke, Eva Gaeding), Stadt Dresden/redaktionelle Bearbeitung: jb, vp, lig
Angaben zum Buch
Sven Hanuschek
Keiner blickt dir hinter das Gesicht
Das Leben Erich Kästners
528 Seiten
Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-27987-2
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Werkstatt | 27. Februar 2024 | 19:00 Uhr