
Unfall-Forschung Weder Mann, noch Frau, aber unendlich belastbare Trainingspuppen
Hauptinhalt
22. März 2025, 12:00 Uhr
Die HTW Dresden hat eine neue Generation Crashtest-Dummies entwickelt: sogenannte Biofidel-Dummies. Das sind menschenähnliche Testpuppen, an denen sich Verletzungen bei Unfällen viel präziser als bisher darstellen und analysieren lassen.
In einem unscheinbaren Labor an der Fakultät Maschinenwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Dresden sitzen menschenähnliche Wesen. Sie haben Skelette aus künstlichen Knochen, mit Muskeln und Weichteilen aus verschiedenen Silikonmischungen, mit Gelenken und Sehnen, die von Sensoren durchzogen sind. Die voll beweglichen Testpuppen verkörpern einen Durchschnittsmenschen von 1,75 Meter Größe und einem Gewicht von 79 Kilogramm. Sie sind weder Frau noch Mann.
Unsanfter Arbeitsalltag
Sie werden an der HTW gegen Hindernisse geprallt und auch schon mal überrollt – um die Unfallsicherheit von uns Menschen zu verbessern und die Autos der Zukunft sicherer zu machen. Biofidel heißen die Puppen, weil sie sich bewegen wie Menschen. Sie ist genauso wie wir durchzogen von Knochen und Gelenken, die brechen können. "Wir haben versucht, dem menschlichen Vorbild so nah wie möglich zu kommen," erklären Professor Lars Hannawald. Er und sein Kollege Benjamin Härtel beschäftigen sich seit acht Jahren mit dem Projekt Biofidel-Dummy.
Biofidel heißt er, weil er sich bewegt wie ein Mensch.
Die Biofidel-Dummies wurden an der HTW Dresden gemeinsam mit Partnern entwickelt und in Münster in Nordrhein-Westfalen von der Firma CTS gebaut. Sie kosten etwa 20.000 Euro. Die Dresdner haben eine jahrzehntealte Expertise in der Verkehrsunfallforschung, die Professor Lars Hannawald lange Zeit geleitet hatte. Ihm war schon lange bewusst, dass sich mit klassischen Crashtest-Dummies längst nicht alle Verletzungen im Straßenverkehr darstellen lassen. Der biofidele Dummy eröffnet deshalb ganz neue Möglichkeiten. Dummy (engl.): bedeutet Attrappe, Leer-, Schaupackung, Kleider-, Schaufensterpuppe.
Hannawald: Dummies mit Muskulatur großer Fortschritt
So wurde eine menschenähnliche Testpuppe mit künstlicher Muskulatur speziell für den Halsbereich entwickelt, mit dem die Verletzungen von Autoinsassen darstellbar sind, je nachdem ob sie beim Unfall wach sind oder schlafen, die Halsmuskeln also angespannt oder entspannt sind. Das wird auch einmal wichtig fürs autonome Fahren, wenn Fahrer nicht mehr konzentriert sein müssen und einschlafen, sagen die Wissenschaftler. Sie wollen dabei sehen, ob Gurt und Airbag dann noch ihre Aufgaben erfüllen.
Crashtest-Dummies
- Dummies wurden ursprünglich in den USA für militärische Zwecke gebaut, und spielen seit den 1970er Jahren auch in der Unfallforschung eine wichtige Rolle.
- Weil sich mit den herkömmlichen Modellen jedoch nur physikalische Parameter messen lassen, begannen Forschungen zu innovativen Biofidel-Dummies.
- Diese sind flexibel, können für verschiedene Anprallpositionen genutzt werden und haben skelettähnliche Strukturen, die genauso brechen können wie menschliche Knochen.
Für Hannawald sind die neuen Testobjekte ein enormer Fortschritt gegenüber klassischen Dummies. "Die Muskulatur hat extremen Einfluss darauf, was beim Crash mit dem Kopf passiert. Wir können die Muskeln des Dummy anspannen und entspannen, so als wäre er wach oder würde schlafen."
Die Muskulatur hat extremen Einfluss darauf, was beim Crash mit dem Kopf passiert.
Crashtest mit Tempo 20
Bei den Crashtests wird die menschenähnliche Testpuppe mit 20 Stundenkilometern gegen ein Hindernis gefahren. Dabei sitzt er in der "lässigen" Sitzposition, mit übergeschlagenen Beinen oder sogar mit den Beinen auf dem Armaturenbrett. Trotz Gurt und nur geringen Geschwindigkeiten kommt es zu schweren Verletzungen, wie einem Unterschenkelbruch.
Nach den Tests wird ausgewertet. Der Unterschenkelbruch ist schnell diagnostiziert. "Eine Unterschenkelfraktur sehe ich meist schon von außen, bei den Rippen sehe ich das nicht so. Dann muss ich den Dummy künstlich obduzieren, muss ihn aufschneiden, um die Knochenfragmente anzuschauen," so Professor Hannawald. Meist werden die Dummies für Verletzungen des Oberkörpers auch noch geröntgt. Künftig will man sie auch im Computertomographen (CT) untersuchen.
Mit künstlichen Bandscheiben auf schlechten Straßen fahren
Die neuartigen Dummies weit mehr als nur gegen Wände prallen, und sich dabei Verletzungen zuzuziehen. In einem benachbarten Labor sitzt ein Biofidel-Dummy in einem PKW, der ständig durchgerüttelt wird, wie auf einer schlechten Straße. Die Bandscheiben des Dummies sind durch Messsensoren ersetzt, die diese Dauerbelastung aufzeichnen. "Ich kann die Wirbelsäule vermessen, indem ich einige Bandscheiben durch Kraftmessdosen ersetze, und die Belastung der Wirbelsäule über einen längeren Zeitraum - also acht Stunden Fahrt auf einer schlechten Straße wie stark ist denn die Bandscheibe belastet."
Weil sie nicht nur Crashs sondern auch Dauerbelastungen menschenähnlich überstehen, werden sich biofidele Dummies mehr und mehr durchsetzen, glauben die Dresdner Wissenschaftler. Biofidel-Dummys lassen sich in verschiedenen Bereichen für alle Belastungsformen einsetzen, in der Unfallforschung ebenso wie bei Stürzen aus großer Höhe oder als Trainingspuppe für Rettungsübungen.
Neues Projekt für Fußgänger: PedDu
Anfang Februar 2025 wurde auf diesem Forschungsgebiet ein neues Projekt gestartet, bei dem es nicht um die Fahrzeuginsassen, sondern um die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer geht. Ziel ist die Entwicklung eines Fußgänger-Dummys mit einer innovativen Unterleibskonstruktion, die dme menschlichen Vorbild möglichst nahe kommt. Einen Namen dafür gibt es schon: Pedestrian Dummy – kurz PedDu.
MDR (kbe)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 19. März 2025 | 19:00 Uhr