200 Jahre Blindenschrift Sehbehinderter aus Dresden: Warum die Braille-Schrift unverzichtbar bleibt
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04. Januar 2025, 16:43 Uhr
Heute feiert die Blindenschrift, auch Brailleschrift oder Braille genannt, ihr 200-jähriges Bestehen. 1825 wurde die Punktschrift für sehbehinderte und blinde Menschen vom Franzosen Louis Braille entwickelt. Marco Rademann aus Dresden ist seit seiner Kindheit sehbehindert. Der 49-Jährige erzählt, welche Rolle die Brailleschrift für ihn spielt und warum er sie im Alltag noch oft vermisst.
- Der Sehbehinderte Marco Rademann will seiner DDR-Braille-Schreibmaschine treu bleiben.
- Neue technische Finessen können die Braille-Schrift an vielen Stellen nicht ersetzen.
- Die Brailleschrift ist längst noch nicht überall im Alltag angekommen.
Ein Mann sitzt an einem Tisch und tippt auf einer Schreibmaschine. Diese hat ungewöhnlich wenig Tasten. "Das ist eine Punktschriftmaschine, mit der man Braille-Schrift erzeugen kann", erklärt Marco Rademann. Der 49-Jährige sei seit seiner Kindheit sehbehindert, erzählt er. Rademann nehme seine Umwelt nur noch sehr eingeschränkt wahr. "Nur noch ein kleiner Sehrest ist vorhanden", erklärt der Dresdner.
Obwohl die Technik zum Beispiel durch Sprachassistenzsysteme den Alltag von blinden und sehbehinderten Menschen einfacher gemacht haben, ist Rademann seiner Braille-Schreibmaschine aus DDR-Fabrikation treu geblieben. "Ich benutze sie, um Einkaufslisten und Notizen zu schreiben. Für mich geht das am schnellsten", sagt der 49-Jährige.
Wie erfand Louis Braille die Brailleschrift vor 200 Jahren?
Durch ein Unglück in der Werkstatt seines Vaters erblindete der Franzose Louis Braille im Alter von nur drei Jahren. Eine besondere Schrift, mit der Soldaten im Dunkeln lesen konnten, entwickelte er als Jugendlicher weiter. Am 4.1.1825 mit 16 Jahren erfand er die nach ihm benannte Punktschrift. Die Brailleschrift besteht aus sechs Punkten. Es gibt 64 verschiedene Möglichkeiten, die Punkte anzuordnen. Das reicht für die 26 Buchstaben des Alphabets, Umlaute, Satzzeichen und Zahlen, aber auch Musiknoten und Strickmuster. Die Blindenschrift wird heute weltweit verwendet.
Neue Technik kann Brailleschrift nicht komplett ersetzen
Doch auch er nutze die neue Technik wie zum Beispiel Navigationsapps, sagt Rademann. "Man kann sich damit auch in sozialen Medien wie Whatsapp aufhalten, weil das alles gesprochen werden kann."
Heute würden sich jedoch viele Betroffene allein auf diese Technik wie die Vorleseoption verlassen, meint Rademann. "Wenn ich nie etwas selbst schreibe, sondern nur höre, dann habe ich kein Gefühl für Rechtschreibung." Auch er höre sich gerne etwas an, etwa britische Kriminal-Hörbücher, sagt Rademann.
Es kommt auf den "Mix von Sinnen" an
Doch ihm komme es auf den "Mix von Sinnen" an, über die er seine Umwelt wahrnehmen kann. Und dazu gehöre eben nicht nur das Hören. "Es ist ein anderer Zugang zu Informationen. Man nimmt sie über einen anderen Sinn wahr", erklärt Rademann.
Es ist ein anderer Zugang zu Informationen. Man nimmt sie über einen anderen Sinn wahr.
Manche würden bereits durch neue technische Möglichkeiten das Ende der Brailleschrift prophezeien. Rademann entgegnet: "Lesen und Schreiben können sind Grundfähigkeiten, die man in einer zivilisierten Welt haben sollte." Rademann nennt ein praktisches Beispiel aus dem Alltag: Manchmal würde etwa auch die Braillezeile - ein Computerausgabegerät, welches Zeichen in Blindenschrift übersetzt - im Computer Informationen anzeigen, die die Sprachausgabe nicht ansagt.
Blindenschrift noch nicht komplett im Alltag angekommen
Obwohl die Brailleschrift bereits 200 Jahre alt ist, sei sie im Alltag längst noch nicht überall angekommen, sagt Rademann. Die Suche nach dem Hotelzimmer etwa könne schon zum Abenteuer werden. "Wenn die Zimmernummer nur in Schrift oder auf einem Schildchen geschrieben ist, muss man sich anders etwa mit Abzählen behelfen", erklärt Rademann.
Auch das Einkaufen könnte einfacher sein, meint der 49-Jährige. Hilfreich sei, dass die Brailleschrift auf Medikamentenpackungen gängig ist. Aber meistens fehle die Schrift auf Lebensmittelpackungen und anderen Waren des täglichen Bedarfs: "Dinge, die man etwa in der Drogerie bekommt, auf denen ist keine Brailleschrift."
Auch an Ärztehäusern suche Rademann auf den Infotafeln vergeblich nach einer Angabe, in welchen Räumen sich Ärztinnen und Ärzte befinden. Bei Behörden sei das ebenfalls ein Problem. Seine Söhne im Alter von 14 und 16 Jahren und seine Frau seien da eine große Hilfe im Alltag.
Wenn Menschen helfen wollen: Ein 'Nein' akzeptieren
Hilfe erfahre Rademann auch von vielen anderen, sagt er. Dafür sei er dankbar. Was aber wichtig für Menschen sei, die blinden und sehbehinderten Personen helfen wollen: "Man sollte die Betroffenen vorher fragen, ob sie Hilfe brauchen und ein 'Nein' akzeptieren", betont Rademann. Manche werden auch übergriffig und fassen einen an, ohne zu fragen, erzählt er.
Die Brailleschrift als schneller Merkzettel
Mit der Braille-Schreibmaschine tippt Marco Rademann gerade noch seinen nächsten Einkaufszettel fertig. Er erinnert sich an den stressigen Weihnachtseinkauf: "In dem Laden war richtig viel los." Rademann habe glücklicherweise jemanden gefunden, der zusammen mit ihm den Einkauf in dem Trubel besorgt hat. Da habe auch wieder die Brailleschrift geholfen, die er schnell von seinem Zettel ablesen konnte.
MDR (phb)