Die blinde Kunstvermittlerin Lydia Hänsel (rechts im Bild) und ihre Assistentin Felicia Daniel auf einem der Sitzmöbel des Werkes „Demos“(2016) des Künstlers Andreas Angelidakis im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. (Leihgabe der Gesellschaft für Moderne Kunst in Dresden e.V. im Albertinum | Galerie Neue Meister © Künstler)
Die blinde Kunstvermittlerin Lydia Hänsel (rechts im Bild) und ihre Assistentin Felicia Daniel auf einem der Sitzmöbel des Werkes „Demos“(2016) des Künstlers Andreas Angelidakis im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Bildrechte: MDR/Marion Waldhauer

"Öhrchen"-Podcast Kunstvermittlerin Lydia Hänsel zeigt Blinden Kunst

15. Oktober 2022, 08:00 Uhr

Was "sieht" man eigentlich in einer Kunstausstellung, wenn man blind ist? Mit der Hilfe von Kunstvermittlerin Lydia Hänsel sehr viel. Das besondere: Lydia Hänsel ist selbst blind. Marion Waldhauer hat die 32-Jährige für ihr Podcast-Projekt "Augen zu und durch!" getroffen, in dem sie mit dem sehbehinderten Daniel Martin Reiseziele in Sachsen erkundet. Ein Interview mit Lydia Hänsel über ihren besonderen Beruf.

Lydia Hänsel ist von Geburt an sehbehindert. Sie wuchs in der Sächsische Schweiz auf. Bis zu ihrem 19. Lebensjahr konnte Lydia Hänsel noch einigermaßen gut sehen. Dann erblindete sie durch eine Netzhauterkrankung vollständig. Die heute 32-Jährige arbeitet inzwischen als Kunstvermittlerin für Blinde und Sehbehinderte.

Lydia, wie bist Du zu deinem jetzigen Beruf gekommen?

Lydia Hänsel: Da es für mich keine Möglichkeit gab sozusagen blind mein Abitur zu machen, bin ich mit 16 nach Magdeburg gezogen, um dort auf ein spezielles Gymnasium für Blinde und Sehbehinderte zu gehen. Dort habe ich dann mein Abi gemacht. Danach bin dann in die alten Bundesländer und habe dort unter anderem Kulturwissenschaften studiert. Vor ein paar Jahren bin ich dann in meine alte Heimat zurückgekehrt und arbeite hier mittlerweile als Kunstvermittlerin.

Bist Du schon immer Kunstvermittlerin gewesen?

Nein, bis vor kurzem habe ich vorrangig im medizinischen Bereich gearbeitet, als medizinisch-taktile-Untersucherin. Da spüre ich Tumore an Patientinnen und Patienten auf, die die entsprechende Vor- und Nachsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen. Außerdem zeige ich Patientinnen und Patienten, wie sie selbst solche Gewebeveränderungen erspüren können. Auch das gehört mit zu meinen Aufgaben. Außerdem arbeite ich noch in einem sogenannten Dunkelrestaurant hier in Dresden, kellnere dort und bespaße die Leute.

Wie wird man Kunstvermittlerin?

Ja, das frage ich mich auch manchmal. Das ist tatsächlich nicht so einfach, weil das, wie ganz viele Dinge im Leben, etwas damit zu tun hat, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es war tatsächlich schon ganz lange eine Idee von mir und ein Traum. Früher habe ich mir immer vorgestellt: Gibt es eigentlich andere Blinde, die dazu in der Lage wären, mich als Nichtsehende zusammen mit anderen Kultur- und Kunstinteressierten durch ein Museum zu führen? Ich bin schon seit meiner Kindheit hier und da in Museen unterwegs. Mein Opa ist ein sehr kulturinteressierter Mensch und hat mich überall mit hingeschleppt. Und auch hier in Dresden gibt es ja Museen en masse. Ich glaube, ich habe bis heute noch nicht alles gesehen, obwohl ich das jetzt schon so viele Jahre immer mal wieder mache.

Irgendwann hat sich die Idee dann insofern modifiziert, dass ich mir dann überlegt habe: In dieser ganzen Gegend gibt es so viel tolle Objekte und Exponate in Museen, sowohl zwei- als auch dreidimensional, und keiner beschreibt die für uns. Beziehungsweise wenn sie mal in einzelnen Führungen beschrieben werden, dann sind es immer Sehende, die sie eben doch auf ihre sehende Art und Weise beschreiben. Wenn das keiner macht, dann würde ich es gern selber machen. Aber es gab keine Plattform.

Inzwischen ist es aber so, dass die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden inzwischen auch ein wenig inklusiver denken, als das in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Irgendwann hat dann der sächsische Blindenverband in unserer Kreisorganisation nachgefragt, ob sich denn jemand dazu hergeben könnte, so ein Experiment durchzuführen, als Blinder oder Nicht-Sehender oder Schlecht-Sehender andere Nicht-Sehende Menschen durch eine Ausstellung zu führen.

Wie bereitest Du Dich konkret auf die Ausstellungen vor?

Da kommt es natürlich darauf an, auf welche Ausstellung man sich vorbereitet. Ich habe mich jetzt aktuell auf zwei Ausstellungen vorbereitet, unter anderem die Skulpturenausstellung. Solche Ausstellungen sind insofern ein bisschen dankbarer, da man natürlich durch diese Dreidimensionalität und auch durch diese geringe Hemmschwelle des Anfassenkönnens, was es bei sonstigen Museumsexponaten nicht gibt, sich ganz gut darauf vorbereiten kann. Eben weil ich zumindest davon ausgehen kann, dass meine Gäste, die ich durch die Ausstellung führe, sich zumindest mit all ihren noch verbleibenden Sinnen die Skulpturen selbst erschließen können. Und so musste ich erstens die Skulpturen natürlich selber sehr gut kennen. Das habe ich dann eben mit Frau Daniel zusammen gemacht. Sie hat mir mit einer Engelsgeduld die Skulpturen erklärt und hat mir auch meine vielen, vielen Nachfragen beantwortet. Das war der erste Punkt, den ich hinter mich bringen durfte. Und der zweite ist natürlich sich Wissen drumherum anzusammeln, sprich Recherchearbeit. Wir haben natürlich Texte von bereits bestehenden Führungen bekommen, die waren aber zum Teil unvollständig und auch ein bisschen verwirrend. Die Lücken in den Texten, die für Blinde unverständlich sind, die galt es mittels Internetrecherche zu füllen.

Wieviel Zeit ist da ins Land gegangen von der Idee einer Führung für Blinde bis zu ersten Umsetzung?

Die Idee ist schon mehrere Monate alt und die Erarbeitung der Skulpturen plus Recherche ist in den letzten 40 Tagen geschehen. Mehr Zeit hatten wir nicht.

Die Sonderausstellung von Oskar Zwintscher zum Beispiel habe ich auch mit Frau Daniel erarbeitet, was natürlich auch noch einmal wesentlich mehr Arbeit war. Eine größere Ausstellungen und Gemälde, die man eben nicht anfassen kann und was auch gar keinen Sinn hätte. Da ist Frau Daniel eine riesige Hilfe. Sie hat natürlich sehr genaue Vorstellungen davon. Einerseits natürlich, wie die Kunstwerke aussehen, aber auch wie diese zu interpretieren sind. Es ist gut, dass sie da ihren eigenen Erfahrungsschatz mitbringt.

Manchmal wenn ich Touristen zuhöre, wie sie Bilder beschreiben, das unterscheidet sich dann schon von meinen Notizen zu den Bildern. Touristen bringen manchmal noch ganz andere Sachen ein bei der Beschreibung von Kunst. Und das ist natürlich etwas, was man lernen muss, ein bisschen abzuschätzen und sich zu fragen: Wie sehr gehe ich jetzt mit mit der Interpretation sozusagen meiner sehenden Assistenz?

Wie ist die Resonanz derer, die eine Führung bei Dir mitmachen?

Für mich war das eine Premiere, Blinde und Sehbehinderte durch eine Ausstellung zu führen. Ich habe das als großes Experiment betrachtet. Ich denke schon, dass das zu einem großen Teil geglückt ist.

Durch das Feedback der Leute habe ich während der Führung mitbekommen, dass es geklappt hat. Das ist auch der Grund, warum ich in Regelmäßigkeit nachgefragt habe, ob es denn noch Fragen, Anregungen oder Gedanken gibt. An solchen Stellen merkt man ja schon: Sind sie interessiert oder langweile ich die Leute gerade? In welchem Ton sagen sie etwas? Natürlich sehe ich dann eben die Gesichter nicht, kein Lächeln und so. Aber der Ton macht ja die Musik, wie man immer so schön sagt und für unser einen sowieso. Und daraus kann man sich eben ganz, ganz viel mitnehmen.

MDR (koh/maw)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 11. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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