Notbehandlung 1.200 ärztliche Behandlungen in Sachsen ohne Krankenversicherung
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01. Dezember 2024, 07:00 Uhr
In Deutschland gilt eine Krankenversicherungspflicht. Dennoch gibt es auch in Sachsen Menschen, die keine Versicherung haben. In der Not brauchen aber auch sie eine ärztliche Behandlung. Ermöglicht wird diese hauptsächlich durch Ehrenamtliche und Spenden. Anonyme Behandlungsscheine, die bei den Kassen abgerechnet werden können, gibt es nur in Leipzig.
- Nichtversicherte werden in Sachsen meistens von ehrenamtlichen Ärzten behandelt.
- Ein anonymer Behandlungsschein würde die Arbeit vereinfachen und Betroffenen helfen.
- Der Freistaat finanziert eine Beratungsstelle für Menschen ohne Krankenversicherung.
In Sachsen haben ehrenamtliche Ärztinnen und Ärzte im vergangenen Jahr (2023) rund 1.200 Behandlungen von Menschen ohne Krankenversicherung durchgeführt. Sophie Pauligk vom Verein Sächsischer Anonymer Behandlungsschein (SABS e.V.) sagte MDR SACHSEN, unter den Betroffen seien Selbstständige, die sich wegen wegbrechender Aufträge die Beiträge nicht mehr leisten könnten.
Es seien aber auch EU-Bürger dabei, die hierzulande arbeiten, aber nicht sozialversicherungspflichtig angemeldet seien und auch Studierende aus anderen Ländern, deren Visa abgelaufen seien, darunter auch junge Schwangere. Ohne Krankenversicherung haben sie nur einem Anspruch auf eine Notbehandlung.
Anonyme Behandlungsscheine bislang nur in Leipzig
"Aktuell gibt es nur in Chemnitz, Dresden und Leipzig Möglichkeiten, sich auf Spendenbasis oder von ehrenamtlichen Ärztinnen und Ärzten behandeln zu lassen." Anonyme Behandlungscheine, mit denen ärztliche Leistungen mit den Kassen abgerechnet werden können, werden in Sachsen bislang nur in Leipzig angeboten und dort von der Stadt bezahlt: "Das Angebot in Leipzig existiert seit 2019 und ist sehr gut angenommen worden. Im letzten Jahr wurden ca. 700 Behandlungen durchgeführt," so Pauligk.
Behandlungsschein würde Arbeit vereinfachen
Einer der 300 Ärztinnen und Ärzte in Sachsen, die 2023 ehrenamtlich Menschen ohne Versicherung behandelt haben, ist Reiko Tacke aus Dresden. Der Allgemeinarzt hat seine Praxis im Stadtteil Gruna und opfert dafür häufig seine Mittagspausen. Dann fährt er in die Innenstadt zu den Räumen des Vereins Safe Dresden, wo sich Sozialarbeiter um Erwachsene in schwierigen Lebenslagen kümmern, darunter auch um Obdachlose und Drogenabhängige.
"Ein anonymer Behandlungsschein würde die Weiterbehandlung der Menschen ohne Krankenversicherung deutlich vereinfachen", sagte Tacke MDR SACHSEN. "Wenn es einen anonymen Behandlungsschein gäbe, wäre klar, dass für die Menschen der normale Satz der gesetzlichen Krankenversicherung an die Fachärzte gezahlt würde."
Tacke sorgt sich zudem um den Verein Safe Dresden, in dessen Räumen er die Menschen ohne Krankenversicherung in den letzten zwei Jahren behandelt hat. Denn dem Verein droht das Aus wegen der geplanten Sozialkürzungen der Stadt.
Freistaat unterstützt Beratungsstelle finanziell
Der Freistaat Sachsen unterstützt bislang nur die Beratungsangebote der sogenannten Clearingstelle, die der Verein Sächsischer Anonymer Behandlungsschein wöchentlich in Chemnitz, Dresden, Borna und Riesa anbietet. Im vergangenen Haushaltsjahr standen dafür 225.000 Euro bereit. "Viele, die zu uns kommen, sind schon akut erkrankt und nicht in der Lage, sich um bürokratische Formalitäten zu kümmern oder sich mit einem Schuldenberg auseinanderzusetzen," sagt die Leiterin der sächsischen Clearingstelle, Sophie Pauligk. Auch sie wünscht sich deshalb ähnlich wie in Thüringen und Sachsen-Anhalt die Versorgung der Betroffenenen durch anonyme Behandlungscheine.
Viele, die zu uns kommen, sind schon akut erkrankt und nicht in der Lage, sich um bürokratische Formalitäten zu kümmern.
Landesärztekammer ebenfalls für anonymen Behandlungsschein
Die Landesärztekammer Sachsen spricht sich nach eigenen Angaben schon seit vielen Jahren für Anonyme Behandlungsscheine aus. Kammerpräsident Erik Bodendieck sagte auf MDR-Anfrage, eine private Bezahlung von ärztlichen Leistungen übersteige meist die finanziellen Möglichkeiten der Patienten. "Diese Menschen werden deshalb oft unzureichend medizinisch versorgt."
Ein anonymer Behandlungsschein trage im Wesentlichen dazu bei, die betroffenen Menschen einen gleichen Zugang zu den Möglichkeiten moderner Medizin zu gewährleisten, wie es allen Versicherten gewährt werde. "Er ist nicht dazu gedacht, das Einkommen der Behandler zu sichern." Letztlich brauche es geordnete Versicherungsverhältnisse, denn die Anonymität führe zu einer Zunahme an gesundheitlichen Problemen.
Bis zu 40.000 Menschen in Sachsen ohne Krankenversicherung
Wie viele Menschen in Sachsen tatsächlich keine Krankenversicherung haben, ist nicht bekannt. Offizielle Zahlen gibt es nicht, weil es weder meldepflichtig noch strafbar ist, nicht krankenversichert zu sein. Nach Schätzungen der sächsischen SABS-Beratungsstelle sind im Freistaat zwischen 20.000 und 40.000 Menschen nicht krankenversichert. Experten gehen davon aus, dass bis zu einer Million Menschen in ganz Deutschland ohne Krankenversicherung leben.
MDR (kbe/stt)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nchrichten | 01. Dezember 2024 | 09:00 Uhr