Kritik am Wachpersonal Flucht per Bettlaken aus Abschiebehaft in Dresden
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17. April 2023, 20:30 Uhr
Aus einer Abschiebeanstalt in Dresden sind am Sonntag zwei Asylbewerber geflohen. Sie nutzten offenbar Sicherheitsmängel der Haftanstalt aus, sagte die Präsidentin der Landesdirektion Regina Kraushaar am Montag auf einer Pressekonferenz. Kritik gibt auch am Verhalten des Wachpersonals.
- Die aus der Abschiebehaft geflohenen Asylbewerber sind über ein Fenster entkommen.
- Das Wachpersonal hat den Alarm der Videoüberwachung ignoriert und weggedrückt.
- Nach einer Flucht von drei Asylbewerbern im Jahr 2020 wurden bereits Sicherheitsvorkehrungen verschärft.
Die am Sonntagmorgen aus der Abschiebehaft in Dresden geflohenen abgelehnten Asylbewerber konnten über ein Fenster fliehen. Darüber informierte die Präsidentin der Landesdirektion Sachsen Regina Kraushaar am Montag in einer Pressekonferenz. Demnach seien die beiden Männer im Alter von 30 und 31 Jahren nacheinander im Zeitraum von 2:14 und 2:41 Uhr aus einem Gemeinschaftsraum der Abschiebeanstalt in der Hamburger Straße geflohen.
Flucht erst drei Stunden später bemerkt
Der Raum werde nicht videoüberwacht, da es sich nicht um eine Haftanstalt für Strafgefangene handelt, so Kraushaar. Bei ihrer Flucht sollen die beiden aus Algerien stammenden Männer eine Außenabdeckung an einem Fenster entfernt und sich daraufhin mit Hilfe von aneinandergeknüpften Bettlaken in das Außengelände abgeseilt haben. Von dort aus kletterten sie Kraushaar zufolge über einen drei Meter hohen Drahtzaun und flohen in unbekannte Richtung. Ihre Flucht sei erst gegen 5:10 Uhr bemerkt worden.
Alarm ignoriert und weggedrückt
Regina Kraushaar sprach von "erheblichen Fehlern" bei der Überwachung der Videokameras und Außenanlagen. Demnach habe der Wachschutz wohl den Alarm der Videoüberwachung ignoriert und manuell weggedrückt. Ein möglicher Grund für das Vorgehen: Kraushaar zufolge soll es in der Nacht bis zu 15 Fehlalarme gegeben haben, die unter anderem durch Tiere verursacht wurden. Doch Alarmsignale einfach zu ignorieren, dürfe nicht sein, betonte Kraushaar: "Ich ärgere mich, dass vorgegebene Standards durch den Wachschutz offenbar nicht eingehalten wurden." Das Verhalten des Wachpersonals sei nun Teil der Ermittlungen.
Ich ärgere mich, dass vorgegebene Standards durch den Wachschutz offenbar nicht eingehalten wurden.
Kraushaar wies zudem auf viele offene Fragen hin. Warum etwa habe der Wachdienst auf seinem Rundgang gegen 3:30 Uhr nicht das von außen beschädigte Fenster, die daran hängenden Bettlaken sowie den eingedrückten Drahtzaun bemerkt?
Abschiebehaft ist kein Gefängnis
Kraushaar wies zugleich darauf hin, dass die Sicherheitsstandards in der Abschiebehaft niedriger als in Gefängnissen seien, da es es sich bei Abschiebehäftlingen nicht um Strafgefangene handle. Dazu Einrichtungsleiterin Anja Gentzmer: "Das sind Menschen, die nur wegen der Abschiebung in der Einrichtung sind und nicht wegen einer Straftat." Auch Regina Kraushaar wollte Bedenken ausräumen: "Es ist nicht von einer Gefahr von den beiden für die Bevölkerung auszugehen." Dennoch soll der Vorfall Kraushaar zufolge zum Anlass genommen werden, um die Sicherheitsvorkehrungen der Abschiebehaft erneut zu überprüfen.
Das sind Menschen, die nur wegen der Abschiebung in der Einrichtung sind und nicht wegen einer Straftat.
Geflohene seit Ende März in Abschiebeanstalt
Die beiden Geflohenen waren seit Ende März in der Abschiebeanstalt, erklärte Anja Gentzmer. Der 31-Jährige befinde sich demnach seit 2016 in Deutschland und sei wegen Sachbeschädigung, Diebstahl und Körperverletzung vorbestraft. Die Abschiebung des Mannes war für Mai vorgesehen. Der andere 30-Jährige war nach Angaben von Gentzmer erst Ende März unerlaubt über die polnische Grenze nach Deutschland eingereist und ohne Vorstrafen. In der Abschiebehaftanstalt an der Hamburger Straße in Dresden waren zwölf abgelehnte Asylbewerber untergebracht. Insgesamt gibt es dort 58 Plätze.
Nach Flucht 2020 Sicherheitsvorkehrungen verschärft
Bereits im Jahr 2020 waren drei Abschiebehäftlinge aus der Anstalt in der Hamburger Straße entkommen, erklärte Landesdirektionspräsidentin Regina Kraushaar. Einer der Flüchtigen sei mittlerweile abgeschoben worden, ein weiterer habe Duldungsstatus. Die dritte Person sei noch auf der Flucht. Durch den Vorfall wurden laut Kraushaar die Sicherheitsvorkehrungen bereits verstärkt. So wurde ein drei Meter hoher Zaun mit sogenannten NATO-Draht errichtet, der den Übertritt erschweren sollte.
Alles kommt auf den Prüfstand
Kraushaar zufolge wird jetzt geprüft, ob die Insassen - wie früher praktiziert - nachts wieder eingeschlossen werden. Im Rahmen eines Pilotprojektes habe man im September 2022 die Unterbringung gelockert, seither hätten die Betroffenen auch nachts Flure, Duschen und Gemeinschaftsräume betreten können. Die Absenkung des Sicherheitsniveaus werde nun auf den Prüfstand gestellt. Die Landesdirektion nehme diesen Vorfall zum Anlass, alle sicherheitstechnischen Anlagen und Prozesse zu überprüfen.
Ermittlungen wegen des Verdachts auf Gefangenenbefreiung
Unklar ist bisher, wie die Geflohenen das Fenster öffnen konnten. Dazu seien Spezialschlüssel erforderlich, hieß es. Aufbruchspuren habe man nicht gefunden. Die Kriminalpolizei ermittelt auch wegen des Verdachts der Gefangenenbefreiung.
MDR (kav/ama/phb/dkö)/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 17. April 2023 | 19:00 Uhr