Extremismusforscher im Interview "Corona-Denkmal": "Freie Sachsen nutzen das Impfthema für ihr politisches Kalkül"

09. Mai 2023, 18:58 Uhr

Die rechtsextreme Kleinstpartei "Freie Sachsen" hat in Zinnwald einen "Corona-Gedenkstein" aufgestellt. Das sorgt für Gegenwind: Der Stein ist Gegenstand eines juristischen Streits, er wurde auch bereits mit Farbe besprüht. Welche Strategie steckt hinter solchen Provokationen? Wir sprachen mit dem Politologen Maximilian Kreter vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden.

Herr Kreter, die "Freien Sachsen" haben in Zinnwald einen "Corona-Denkstein" aufgestellt. Geht es um ehrliches Gedenken oder nutzt die Partei die Trauer der Menschen für ihre eigene politische Strategie?

Es handelt sich um eine gezielte Provokation als Teil einer größeren Strategie. Allein die Aussage, dass man es bei Zerstörung in doppelter Größe wieder aufbauen wird, deutet darauf hin, dass es sich eher weniger um ein echtes Gedenken handelt. Diese Aussage zeigt, dass man sich der Provokation bewusst ist und diese Zerstörung mit einkalkuliert – eben, wie gesagt, als Teil einer größeren Strategie.

Was soll das Ziel dieser Provokation sein? Welche Strategie?

Die "Freien Sachsen" wollen das Impfthema für ihre eigene Agenda neu aufgreifen, um weiter Allianzen im Rechtsextremismus zu schmieden. Nach der Corona-Pandemie beziehungsweise nach der Aufhebung der Maßnahmen und des Verschwindens des Themas aus den Medien bröckeln die Verbindungen zwischen Rechtsextremen, Querdenkern sowie anderen dazwischen befindlichen Milieus und Gruppen. Zumindest halten sie nicht mehr so fest wie bislang. Diese Allianzen sollen gestärkt und erneuert werden.

Andererseits könnte man auch sagen: Das ist ein Gedenkstein an einem Wanderweg - was soll daran jetzt so schlimm sein?

Grundsätzlich ist ein Gedenkstein nicht verwerflich. Doch die "Freien Sachsen" tun fast alle Dinge mit diesem besagten gewissen politischen Kalkül und nutzen eben auch das Impfthema. Das rührt vor allem aus dem Milieu und dem Umkreis des Rechtsextremismus. Verantwortliche Personen, wie der Vorsitzende Martin Kohlmann, rücken sich mit solchen Aktionen immer wieder in die Öffentlichkeit und suchen diese gezielt. Daran lässt sich erkennen: Hier steckt ganz klar eine Strategie dahinter.

Die "Freien Sachsen" sind eine Kleinstpartei, sie sitzen nicht im Landtag und haben wahrscheinlich auch keine Chance, dort zu landen. Welche Macht wollen sie?

Die Strategie sind - das sagen die "Freien Sachsen" auch offen heraus - parteiübergreifende Allianzen auf der Straße, die in die Parlamente einwirken. Das kann via AfD, NPD oder eigenen kommunalen Mandaten geschehen. Doppelmitgliedschaften werden explizit nicht verboten. Darüber hinaus springen die "Freien Sachsen" auf alle Themen auf, die sich instrumentalisieren lassen: von den Heizkosten, über das Gesetz über den Einbau neuer Heizungen mit erneuerbaren Energien, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kurz gesagt, die "Freien Sachsen" sind überall dort, wo man im Einklang mit einer rechtsextremen Ideologie themenbezogen gegen Regierung oder im politischen Mainstream agitieren kann.

Also geht also darum, den Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben?

Ja, ganz klar.

Der Gedenkstein bedient sich einer mit der Aufschrift "in Gedenken an die Opfer" einer Bild- und Formsprache, die wir gut aus unserer Erinnerungskultur kennen. Woran soll hier angeknüpft werden?

Es geht darum, an die Erinnerungskultur speziell in Ostdeutschland anzuknüpfen, an die Erinnerung der doppelten Diktatur des Nationalsozialismus und der DDR. Ähnlich wie die Corona-Pandemie als Corona-Diktatur von den Extremisten interpretiert wurde, sollen jetzt die Menschen, speziell die Angehörige verloren haben, als Opfer einer Diktatur angesprochen werden. Ich hoffe sehr, dass es den Extremisten nicht gelingt, die Toten der Pandemie mit den Opfern der DDR und der NS-Diktatur gleichzusetzen. Das wäre ein extrem fatales Zeichen, vor allem an die sächsische Zivilgesellschaft.

Benutzt die Kleinstpartei tatsächlich die Trauer der Bevölkerung, um politisches Kapital zu schlagen?

Ja, definitiv, vor allem derjenigen, die Angehörige durch die Corona-Pandemie verloren haben. Doch nicht alle lassen sich darauf ein. Es gibt Leute, die das durchaus sehr anders sehen, obwohl sie Angehörige verloren haben – auch Personen mit Impfschäden. Es gibt es Leute, die sich öffentlich auf Twitter trotz ihrer Impfschäden zum Nutzen der Impfung bekennen. Sie sagen: Ja, klar, es gibt dieses Risiko – und dieses Risiko hat jetzt leider mich getroffen. Das war auch die Abwägung, die durch die Politik immer kommuniziert wurde. Vielleicht nicht so klar wie notwendig, doch sie wurde kommuniziert.

In der Vergangenheit sprach man öfter über ein offizielles Corona-Gedenken – doch passiert ist nichts. Ist hier etwas versäumt worden?

Die Aufarbeitung der Corona-Pandemie ist eine langfristige Aufgabe. Es wurden ja bereits, unter anderem von Herrn Lauterbach, Fehler eingeräumt. Die Corona-Pandemie muss jedoch auf alle Fälle noch viel umfassender aufgearbeitet werden, um eben Gruppen wie den "Freien Sachsen" den Boden für ihre Mobilisierung und ihre Strategie zu entziehen. Vor allem muss eine konsequente und ehrliche Aufarbeitung erfolgen, ohne Rücksicht auf möglicherweise politisches Kalkül hinsichtlich der nächsten Wahlen. Doch ich fürchte das ist ein Wunschtraum.

Sie erwähnten ihn vorhin: Martin Kohlmann ist der Vorsitzende der "Freien Sachsen". Mit welchem Personal haben wir es hier zu tun, wenn wir über die "Freien Sachsen" sprechen?

Die "Freien Sachsen" sind eine Zusammenstellung von Personen aus dem rechtsextremen Milieu. Martin Kohlmann hat sich lange bei "Pro Chemnitz" engagiert und auch bei der rechtskonservativen DSU. Auch sonst rekrutiert sich das Personal der "Freien Sachsen" aus ehemaligen NPD-Wählern und zum Beispiel auch aus Leuten, die zur jetzt verbotenen rechtsextremen Verbindung "Skinheads Sächsische Schweiz (SSS)" gehörten. Wir haben hier einen bunten Blumenstrauß aus dem Milieu des Rechtsextremismus, der gerade die sichtbaren Posten übernimmt.

Apropos Skinheads Sächsische Schweiz: Sie sind in den 1990er-Jahren groß geworden. Woher kamen die Neonazis auf einmal?

Das ist eine längere Geschichte. Die Kameradschaft wurde 1997 gegründet und im April 2001 verboten. Sie rekrutierten sich aus dem Umfeld von schon zuvor teilweise aktiven Rechtsextremisten. Sie kamen nicht aus dem Nichts. Die Sächsische Schweiz ist auch im Hinblick der NSU-Morde nicht umsonst ein gewisses Umfeld gewesen. Hier kommt man schnell zu bestimmten Rückschlüssen.

Gibt es heute Kontinuitäten aus der rechtsextremen Szene der 1990er-Jahre?

Ja, absolut. Das bildet sich auch zum Beispiel in der AfD ab. Das sind oft ehemalige, ja eher schlagfest orientierte Leute aus dem Skinhead-Milieu, die jetzt in andere Position drängen. Beispielsweise sind auch Leute der "Identitären Bewegung" zur AfD gestrebt. Öffentlich hat sich die AfD dagegen gewehrt, doch diese Leute haben trotzdem teilweise kommunale Posten bekleidet oder bekleiden sie noch immer - wenn ich da richtig informiert bin.

Was ist an den "Freien Sachsen" so gefährlich für die Demokratie?

Ich halte die "Freien Sachsen" durchaus für gefährlich: Sie sind eine übergreifende Bewegung und mobilisieren in diesem Sinne. Sie können Querdenker, Rechtsextremisten und normale Bürger mobilisieren. Das haben sie während der Corona-Pandemie eindeutig gezeigt. Deshalb ist es auch so entscheidend, dass man sie, wie der Verfassungsschutzes es schon länger tut, immer im Auge behält: Weil die Rechtsextremen hier so aktiv sind und mit den "Freien Sachsen" ein neues Dach gefunden haben, unter dem sie agieren und sich sammeln können.

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