VW-Mitarbeiter in roten T-Shirts der IG Metall stehen vor dem Werksgelände und halten Protestschilder hoch.
Mit Millionen Euro Aufwand hatte VW die Mitarbeiter in Zwickau auf den Bau von E-Autos umgeschult. Sie fürchten nun um ihre Arbeitsplätze. Das machten sie bei einer Demo vor dem Werkstor am Donnerstag deutlich. Bildrechte: Julia Schönfeld

Belegschaft protestiert Buhs und Pfui-Rufe zu Sparpläne bei Volkswagen: VW-Vorstand in Zwickau ausgepfiffen

05. September 2024, 17:58 Uhr

Pfeifkonzert aufs Streichkonzert bei VW: So ist die Reaktion Tausender Mitarbeiter zu beschreiben, die am Donnerstag ihrer Wut, Angst und ihrem Ärger in Zwickau Luft gemacht haben. Sie buhten den Konzernvorstand aus, der zu einer Versammlung nach Sachsen gekommen war. Seinen Worten zur Sparpolitik und zur E-Mobilität wollten sie nicht recht trauen.

Rund 5.000 Beschäftigte haben in der E-Auto-Fabrik von Volkswagen in Zwickau empört und lautstark gegen drohende Kündigungen und Werkschließungen protestiert. Mit "Buh"- und "Pfui"-Rufen und einen Pfeifkonzert empfing die Belegschaft vor der außerordentlichen Betriebsversammlung den Markenvorstand Thomas Schäfer. Der sagte den Mitarbeitenden: "Eines ist klar: die Zukunft von Volkswagen ist elektrisch. Wir stehen zur Mobilitätswende." Und weiter: "Wir setzen jetzt alle Hebel in Bewegung, um die Elektromobilität weiter anzuschieben." Die Zwickauer nannte Schäfer "E-Pioniere".

Mit lautstarken Protesten empfängt die Belegschaft Thomas Schäfer (l), Markenvorstand Volkswagen, im Volkswagen Werk in Zwickau.
Lautstarke Proteste bekam Markenvorstand Thomas Schäfer am Donnerstag vor dem Werk in Zwickau zu hören und zu lesen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Mitarbeiter sauer und verunsichert

Doch bei den Mitarbeitenden überwog Skepsis: "Das Vertrauen ist weg", sagte Ronny Niebuhr, der nach eigenen Angaben seit 30 Jahren für VW arbeitet. "Ich war immer stolz, bei VW zu arbeiten", sagte eine Beschäftigte. Jetzt müssten sie die Fehler des Managements ausbaden, beklagte sie. Es sorgten sich viele in ihrem Team um den sicher geglaubten Job. Dabei hätten viele Kredite etwa für ihr Haus abzuzahlen und Kinder zu versorgen. "Viele Kollegen haben ganz konkret Angst, ihren Job zu verlieren", sagte ein anderer Protestierender.

Keiner weiß so richtig, wo die Reise hingeht. Als Leiharbeiter ist man dann wahrscheinlich der erste, der dann gehen muss. Und die Verträge laufen bis 31. 1. Und da eine adäquate Beschäftigung zu finden, bei der Bezahlung, die uns eben die Existenz sichert, wird schwierig.

Leiharbeiter im VW-Werk Zwickau

Volkswagen hatte am Montag angekündigt, fünf Milliarden Euro sparen zu müssen, um in neue Produkte zu investieren. Der bislang geplante Stellenabbau durch Altersteilzeit und Abfindungen reiche nicht mehr aus, um die angepeilten Einsparziele zu erreichen. Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen bei der Kernmarke VW seien nicht länger ausgeschlossen, teilte Europas größter Autobauer mit. Die mit dem Betriebsrat geschlossene Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung bis 2029 werde aufgekündigt. Erstmals seit 30 Jahren könnte es bei VW nun Entlassungen geben. Seither geht bei vielen Beschäftigten die Angst um, aber auch Wut und Kampfbereitschaft - an den Standorten in Zwickau, Chemnitz und Dresden mit rund 11.000 Beschäftigten.

VW-Mitarbeiter in roten T-Shirts der IG Metall stehen vor dem Werksgelände und protestieren.
Auf Bannern, Protestplakaten und mit Buh-Rufen zeigten Tausende VW-Mitarbeiter in Zwickau, was sie von den Sparplänen des Konzerns halten. Bildrechte: Julia Schönfeld

Darum ist das Werk Zwickau ein "E-Pionier"

Das Zwickauer Werk ist der größte Standort von Volkswagen in Sachsen und wurde in den vergangenen Jahren mit großen Investitionen komplett auf Elektroautos umgestellt, die Mitarbeiter wurden geschult und umgeschult. Bei der Elektromobilität ist Zwickau Vorreiter im Konzern und stellt auch für Audi und Cupra her. Doch bleibt der Absatz hinter den Erwartungen zurück, sodass die Verträge von 500 befristet Beschäftigten nicht verlängert und die Nachtschicht der beiden Montage-Linien gestrichen wurde, es blieb beim Zwei-Schicht-System.

Bereits im Frühjahr war bekanntgeworden, dass VW über ein Ende der Fahrzeugfertigung in der Gläsernen Manufaktur in Dresden nachdenkt. Eine Entscheidung gibt es den Angaben zufolge bislang nicht. Dort wird von rund 340 Beschäftigten der ID.3 in kleinen Stückzahlen montiert.

IG Metall schlägt 4-Tage-Woche für Joberhalt vor

Unterdessen hat die Gewerkschaft IG Metall einen Vorschlag gemacht: Um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, kann sich die Gewerkschaft auch eine Vier-Tage-Woche für alle Beschäftigten der Kernmarke vorstellen. "Das kann mit eine der Optionen sein", sagte die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner am Rande einer tarifpolitischen Konferenz in Hannover. "Wir sollten nichts ungenutzt lassen an Ideen, wie wir Beschäftigung und Standorte erhalten können."

Was wir jetzt brauchen, ist Klarheit für die Beschäftigten. Wir wollen keine lange Hängepartie.

Marktbeobachter: VWs Probleme sind hausgemacht

Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer erwartetet, dass Werke außerhalb des VW-Kernlandes wie Bremen, Kassel oder Zwickau besonders gefährdet seien. Werksschließungen würden "aber nicht in Niedersachsen geschehen", sagte der Direktor des privaten Center Automotive Research (CAR) in Bochum. "Die mit 20 Prozent beteiligte Landesregierung und die IG Metall werden dafür sorgen, dass sich rund um Wolfsburg nichts Wesentliches ändert." Der Markt entwickele sich nicht so schwach, wie vom VW-Management erwartet. Die übrigen deutschen Hersteller seien zudem weit besser aufgestellt. Die Gründe für die Probleme bei VW beschrieb Dudenhöfer so:

  • Negative Absatzerwartungen in Europa, weil die Modellpalette überaltert und Softwareprobleme nach wie vor ungelöst seien.
  • Die Kernmarke sei schon seit vielen Jahren kaum profitabel, das Geld des Konzerns verdienten von Skoda, Porsche und Audi, "die VW mit durchgefüttert" hätten.
  • Geldquellen im China-Geschäft seien versiegt, von dort wehe Gegenwind.
  • "Klumpenrisiko rund um Wolfsburg" nennt Dudenhöfer den Fakt, dass viele andere Konzernteile zu günstigeren Bedingungen wirtschaften würden als die Werke am Hauptstandort. Es sei leider zu erwarten, dass der Konzern daran nichts ändern werde.

Politische Reaktionen in Sachsen

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) macht das Agieren des Bundes für die Krise bei Volkswagen verantwortlich. VW sei Opfer einer völlig verfehlten Wirtschaftspolitik, schrieb er am Donnerstagmittag beim Kurznachrichtendienst X. In anderen Ländern Europas gebe es weiterhin Kaufprämien für Elektroautos, dort gebe es eine ganz andere Dynamik. In Deutschland war die Kaufprämie Ende 2023 ausgelaufen.

Über den Standort Zwickau äußerte sich Kretschmer positiv: "Dieses Leitwerk der Elektromobilität wird in den kommenden Jahren noch größere Bedeutung bekommen."

Grüne: Kretschmer solle nicht "gegen den Bund koffern"

Der sächsische Umweltminister Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen) verlangte von Kretschmer, er solle sich mehr für die sächsischen VW-Standorte und die E-Mobiliät einsetzen. "Statt gegen den Bund zu koffern, sollte sich Michael Kretschmer als Ministerpräsident dieses Landes entschieden hinter den E-Mobilitätskurs von VW Sachsen stellen. Denn nichts schadet so sehr wie dieser Schlingerkurs und die Behauptung, es gebe eine Rückkehr zum Verbrenner." Günther verlangte eine sächsische Initiative für ein dichteres Ladesäulen-Netz. Zugleich müssten die Hersteller angehalten werden, preiswertere Modelle auf den Markt zu bringen. Und er forderte eine Besserstellung von E-Autos beim Dienstwagen-Privileg.

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MDR (kk)/dpa/Reuters

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 05. September 2024 | 19:00 Uhr

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