Krank ohne Versicherung Medibüro Chemnitz: "Wir arbeiten daran, uns selbst abzuschaffen"
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17. Januar 2023, 09:00 Uhr
Was verschreibungspflichtige Medikamente, ein MRT oder etwa eine Geburt kosten, wissen in Deutschland die wenigsten. Schließlich zahlt ja die Versicherung. Anders ist es für die Menschen, die durch das Raster des Systems fallen. Denn wenn sie krank werden, stehen sie vor teils unbezahlbaren Rechnungen. Hilfe gibt es von den ehrenamtlichen Medibüros, die bundesweit arbeiten und auch in Sachsen aktiv sind. Denen wäre es aber das Liebste, wenn man sie gar nicht bräuchte.
- Die Medibüros vermitteln ehrenamtlich medizinische Versorgungsmöglichkeiten an Menschen, die nicht versichert sind und finanzieren sich über Spenden. In Chemnitz wird etwa 50 Menschen pro Jahr geholfen.
- Vor allem unregistrierte Einwanderer, aber auch insolvente Selbstständige, prekär beschäftigte EU-Bürger und Asylsuchende kommen zu den Medibüros.
- Das Medibüro Chemnitz und die Medinetze Leipzig und Dresden fordern die Einführung eines anonymen sächsischen Behandlungsscheins.
Nach Zahlen des letzten Mikrozensus hatten in Deutschland 2019 etwa 61.000 Menschen keine Krankenversicherung. Weil diese Statistik jedoch unregistrierte Einwanderer und Obdachlose nicht berücksichtigt, wird vermutet, dass die Dunkelziffer weit höher ist. Auch durch die Auswirkungen der Pandemie, in der vor allem Selbstständige teils ihre Beiträge nicht mehr zahlen konnten, könnte die Zahl wieder angestiegen sein. "Man geht deutschlandweit von Hunderttausenden aus", sagt Sozialarbeiterin Maleen Täger.
Sie engagiert sich in Sachsen seit vielen Jahren für Menschen ohne Krankenversicherung. 2020 war sie an der Gründung des Medibüros in Chemnitz beteiligt. Die Medibüros, oft auch Medinetz genannt, vermitteln ehrenamtlich medizinische Versorgungsmöglichkeiten an Menschen, die sonst keinen Zugang zum Gesundheitswesen haben.
"Wir haben es uns aber auch zur Aufgabe gemacht, an politischen Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten und dafür zu streiten, dass sich die Versorgungssituation der Betroffenen verbessert", sagt Täger. "Wir sagen immer, wir arbeiten daran, uns selbst abzuschaffen".
Durchs Raster gefallen
Reichlich 50 Menschen helfe das Medibüro Chemnitz jährlich: "Ungefähr einer Person pro Woche", so Täger. Dabei gehe es um alles mögliche, häufig zum Beispiel um Schwangerschaften und Zahnprobleme. Oft befinden sich die Menschen in akuter Not: "Die Betroffenen warten aus Angst oft sehr lang, bis sie sich Hilfe suchen. Die Krankheit ist dann meist schon weit fortgeschritten, der Zustand der Menschen schlimmer als er hätte sein müssen", sagt Täger. Und es sei nur ein Bruchteil der Unversicherten, der überhaupt Hilfe suche.
Die Medibüros arbeiten auf Spendenbasis: Kooperierende Ärzte und Ärztinnen spenden ihre Zeit, andere Menschen spenden Geld, das dann dafür verwendet wird, beispielsweise Medikamente zu bezahlen. Um das begrenzte Budget möglichst sinnvoll einzusetzen, versucht das Team des Medibüros Chemnitz zunächst immer Möglichkeiten der staatlichen Kostenübernahme zu finden.
Zu den Medibüros kommen verschiedene Bevölkerungsgruppen. Eine seien EU-Bürger und -Bürgerinnen, die sich zwar legal in Deutschland aufhalten, aber dennoch keine Krankenversicherung haben. "Das kann daran liegen, dass sie auch in ihrem Heimatland nicht versichert waren oder hier prekär beschäftigt sind", erklärt Täger.
Auch Deutsche wenden sich an das Medibüro-Team: zum Beispiel Menschen die selbstständig waren, insolvent gehen und dann nicht zurück in die gesetzliche Krankenversicherung können, weil sie älter als 55 sind. Auch um obdachlose Menschen kümmert sich das Medibüro und arbeitet dafür häufg mit der Wohnungsnotfallhilfe zusammen.
Vor allem unregistrierte Einwanderer suchen Hilfe
Die größte Gruppe Hilfesuchender seien aber Täger zufolge undokumentierte Einwanderer. Weil sie sich nach dem Aufenthaltsrecht illegal in Deutschland aufhalten, haben sie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Dabei hätten undokumentierte Einwanderer eigentlich das gleiche Recht auf medizinische Grundversorgung wie Asylsuchende: "Dafür müssten sie zum Sozialamt gehen. Aus Angst vor Abschiebung machen das aber viele nicht", sagt Täger. Denn das Sozialamt sei verpflichtet, es an die Ausländerbehörde weiterzugeben, wenn sich eine undokumentierte Person bei ihnen meldet.
Gesundheit ist ein Menschenrecht, das an vielen Stellen des Asylverfahrens verletzt wird.
Tatsächlich wenden sich auch Asylsuchende an das Medibüro in Chemnitz, obwohl es für sie mit dem Sozialamt eigentlich einen Kostenträger gibt. Grund dafür sei, dass Asylsuchende keinen Versichertenstatus und damit nur Anspruch auf medizinische Grundversorgung hätten. "Das ist oft nicht ausreichend für den gesundheitlichen Bedarf der Menschen, weil eigentlich nur akute Schmerzzustände behandelt werden", erklärt Täger.
Missstände bei der medizinischen Versorgung Asylsuchender
Dr. Thomas Heuchel hat eine Praxis für Infektiologie in Chemnitz und behandelt in Kooperation mit den Medibüros häufig Menschen mit HIV, Tuberkolose und anderen Diagnosen, die eine dauerhafte Behandlung erfordern. Er kritisiert den Umgang des Verwaltungsapparates mit Asylsuchenden: "Gesundheit ist ein Menschenrecht, das an vielen Stellen des Asylverfahrens verletzt wird." Unregistrierte Einwanderer seien entsprechend noch schlimmer dran.
Wer als Asylsuchender in Sachsen zu einem Arzt möchte, müsse sich dafür von einem Sachbearbeiter im Sozialamt eine Genehmigung geben lassen, erklärt Heuchel. Über diesen sogenannten Behandlungsschein können die Arztpraxen dann die Behandlung beim Sozialamt abrechnen. Die Konsequenz ist, dass nicht Ärzte sondern Sachbearbeiter in Sozialämtern darüber entscheiden, ob Geflüchtete eine medizinische Behandlung bekommen. Ein Umstand, der von Organisationen wie Pro Asyl immer wieder scharf kritisiert wird.
Heuchel erzählt, er sei auch schon von einem Landratsamt aufgefordert worden, die Notwendigkeit einer Behandlung im Nachhinein durch das Offenlegen medizinischer Akten zu belegen: "So wird dann auch auf die Ärzte Druck ausgeübt", sagt der Infektiologe.
Clearingstellen und anonyme Behandlungsscheine als Lösungsansatz
Am Weltgesundheitstag vor etwa einem Monat haben mehrere Gesundheitsorganisationen die Bundesregierung aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, "um Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Deutschland zu gewährleisten und diskriminierende Hürden abzubauen". Bis das geschehen ist, wird gefordert, Clearingstellen und Finanzierungsmöglichkeiten medizinischer Versorgung für Menschen ohne Versicherungsschutz einzurichten.
Wir arbeiten daran, uns selbst abzuschaffen.
In Leipzig gibt es bereits eine solche Clearingstelle. Die "Clearingstelle Anonymer Behandlungsschein Leipzig" (CABL) wurde Ende 2019 eingerichtet und wird von der Stadt finanziert. CABL bietet Sozialberatungen an, die helfen sollen eine Anbindung an die Regelversorgung zu erreichen. Sie stellt aber auch anonyme Behandlungsscheine aus, mit denen sich Menschen in einer ambulanten Praxis anonym behandeln lassen können.
Flächendeckend organisiert und staatlich finanziert sind solche anonymen Behandlungsscheine, die die Versorgung unregistrierter Einwanderer verbessern könnten, nur in wenigen Bundesländern. Ein Beispiel ist Thüringen. "Ich habe schon öfter Patienten nach Weimar zu Kollegen geschickt, wenn sich hier die Kostensache nicht klären ließ", erzählt Thomas Heuchel. In Sachsen setzt sich ein Zusammenschluss aus Medinetz Dresden, Medinetz Leipzig und Medibüro Chemnitz für die flächendeckende Einführung eines anonymen Behandlungsscheins in Sachsen ein.
Auch die Berufsvertretungen der sächsischen Ärztinnen und Ärzte sowie der sächsischen Apothekerinnen und Apotheker haben sich für einen sächsischen anonymen Behandlungsschein ausgesprochen. Der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, sowie Apothekerkammerpräsident Friedemann Schmidt erklärten im Juni 2022, alle in Sachsen lebenden Menschen müssten im Krankheitsfall ausreichend medizinisch und pharmazeutisch versorgt werden. Denn eine ausschließlich über Spenden finanzierte Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung sei aller Ehren wert, habe jedoch finanzielle, fachliche und zeitliche Grenzen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 17. Januar 2023 | 19:00 Uhr
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