Tourismus-Markt Sachsen international: Japaner begeistert von Handwerk und Karl Marx
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24. April 2024, 08:00 Uhr
Der "German Travel Mart" gilt als wichtigste Werbeveranstaltung für Tourismus in Deutschland. Journalisten und Reiseveranstalter aus 40 Ländern besuchten Chemnitz und andere ausgewählte Orte in Sachsen. Während die Japaner das Handwerk und das Karl-Marx-Denkmal lieben, stehen die Briten besonders auf die Industriegeschichte und die DDR-Vergangenheit.
- Die erzgebirgische Volkskunst ist nicht nur in Sachsen, sondern auch in Japan beliebt.
- Internationale Journalisten interessieren sich auch für Industriekultur und DDR-Geschichte in Chemnitz.
- US-Amerikaner hingegen sind verzückt vom Schlossbergmuseum und Schlossteich.
Das sächsische Kunsthandwerk und explizit die erzgebirgische Volkskunst haben in den vergangenen drei Tagen internationale Journalisten und Reiseveranstalter bei der Tourismus-Marketing-Veranstaltung "German Travel Mart" begeistert.
"In Japan interessieren sich so viele Menschen für das Kunsthandwerk in Sachsen", erklärte ein japanischer Journalist MDR SACHSEN im Gespräch. Auch in Japan gebe es eine große Tradition des Kunsthandwerks und schöne Plätze, die damit verbunden seien. Vielleicht sei es diese fachliche Verbundenheit, welche das besondere Interesse ausmache.
Fantastischer Moment mit lokalem Handwerker
"Wirklich interessant in Dresden und Sachsen ist für mich die Tiefe der Kultur und das Handwerk, was über Jahrhunderte gewachsen ist", erklärte der Journalist aus Japan. "Ich traf in Chemnitz einen lokalen Handwerker in einer Werkstatt, das war für mich ein fantastischer Moment. Mein Heimatort in Japan ist auch berühmt für gute Schnitzerei."
Stichwort Kunsthandwerk in Sachsen (zum Ausklappen)
- Sachsen will "Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge" für das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes vorschlagen. Dem sächsischen Kulturministerium zufolge fällt die Entscheidung über die Aufnahme voraussichtlich im Frühjahr 2025. Dann beraten die Kulturminister der Bundesländer über die Nominierungen. Zugleich werde das "Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge" vom Land in die Sächsische Landesliste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
- Die Erzgebirgische Volkskunst hat eine jahrhundertealte Tradition und ein gutes Geschäft. Das haben auch Hersteller in Fernost gemerkt. In den vergangenen Jahren ist das Angebot von Schwibbögen, Nussknackern oder Räuchermännchen im "Erzgebirgs-Stil" immer größer geworden. Doch viele dieser Erzeugnisse haben mit dem Erzgebirge so viel zu tun, wie der Frohnauer Hammer mit chinesischer Seidenmalerei: nämlich nichts. Das regt auch den Verband Erzgebirgischer Kunsthandwerker auf. Deshalb klagt der Verband jetzt vor dem Landgericht Leipzig. "Es ist kein Duplikats-Streit, auch kein Markenstreit, sondern es ist ein Eingriff in unseren lauteren Wettbewerb mit Erzgebirgischem Kunsthandwerk. Wir wehren uns dagegen, dass Hersteller, die nicht von hier sind, mit der Herkunft 'Erzgebirge' werben und unseren Ruf ausnutzen", sagt Verbandschef Frederic Günther MDR SACHSEN.
- Die Technische Universität Chemnitz hat in einem Forschungsprojekt das erzgebirgische Kunsthandwerk beleuchtet. Dabei wurden von Masterstudierenden des Studiengangs Interkulturelle Kommunikation Geschlechterklischees hinterfragt. Es fiel auf, dass überwiegend Männerberufe dargestellt werden und es nur wenige weibliche Figuren gibt. Letztlich entwarfen die Projektteilnehmer selbst neue Räucherfiguren. Diese sollen Frauen und Menschen verschiedener sexueller Orientierungen in der Holzkunst sichtbarer werden lassen.
Begeisterung für das Karl-Marx-Denkmal
Der japanische Schnitzerei-Fan begeisterte sich auch für das Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz. "Ich bin das erste Mal in Chemnitz", erzählt er MDR SACHSEN. "Das Karl-Marx-Denkmal ist einzigartig." Interesse für die Industriegeschichte und die DDR-Vergangenheit von Chemnitz und Sachsens kam auch von den Briten. "Meine erste Reise nach Chemnitz unternahm ich 2003. Damals ging ich der Frage nach, was aus Karl-Marx-Stadt seit der Wiedervereinigung geworden ist", erklärte der englische Journalist William Cook.
Weil sein Vater in Deutschland geboren sei, hege er ein besonderes Interesse für die Region. "Jetzt wollte ich erneut sehen, wie sich die Stadt entwickelt. Es fasziniert mich, wie alte Industriegebäude zu einer neuen Funktion finden", erzählt Cook. Das Industriemuseum und auch das Archäologiemuseum im Kaufhaus Tietz zeige, wie Gebäude eine neue Rolle finden könnten.
Was erfahren die Leser aus London?
Cook sieht Chemnitz nicht als erste Anlaufstelle für Briten, die das erste Mal nach Sachsen kommen. Hier seien Dresden und Leipzig mit ihren vielen alten Gebäuden repräsentativer. Doch für den zweiten Blick sei Chemnitz ein gutes Beispiel für die Industriegeschichte Europas und auch die Geschichte der DDR. "Das ist für uns besonders interessant, weil wir in Nordengland auch viele Städte mit Industriegeschichte und ähnlichen Problemen haben."
Die alte Industrie sei weg, viele Menschen arbeitslos. Nordengland müsse eine neue Rolle finden. "Unter diesem Aspekt ist es hochinteressant herauszufinden, was die Deutschen und die Sachsen machen." Cook erklärte, er habe damals auch die Nominierung des Ruhrgebietes als Kulturhauptstadt skeptisch gesehen, dann sei es ein "totaler Hit" geworden. "Das könnte ein gutes Beispiel für Chemnitz in Sachsen sein."
Schwede: Viel Geschichte aus der DDR-Zeit
Björn Erik aus Värmland in Westschweden ist schon jetzt gespannt auf das Programm der Kulturhauptstadt Chemnitz. "Hier gibt es viel DDR-Geschichte mit wundervoller Natur", schwärmt der Journalist. Er kann sich gut vorstellen, dass sich die ehemalige sächsische Industriestadt ähnlich entwickelt wie der Prenzlauer Berg in Berlin und verschiedene Stadtviertel in Leipzig. Die günstigen Lebenshaltungskosten und Wohnungen könnten viele Kreative anziehen, die wiederum die Stadt zu einem völlig neu gedachten und gelebten Raum werden lassen.
"Chemnitz ist für mich eine typische Industriestadt, die ihre Industrie verloren hat, aber trotzdem weiterlebt", erklärt Erik. "Ich hoffe, dass die Einwohner der Stadt in deren Entwicklung einbezogen werden und nicht alles so von oben geplant wird." Nach den Verwerfungen und dem Verlust von Industrie und Menschen sehe er jetzt eine positive und kreative Zukunft für Chemnitz.
US-Amerikaner verzückt vom Schlossteich
Doch auch Chemnitz – nicht nur Dresden und Leipzig – hat schöne Parkanlagen. Verzückt zeigt sich ein Journalist aus den USA: "Ich habe im Vorfeld der Reise viel über die industrielle Revolution und Industriekultur in Chemnitz gelesen. Auch das Industriemuseum ist sehr interessant, besonders beeindruckend empfand ich die Mischung aus der Kommentierung des sozialen Lebens der damaligen Zeit im Zusammenspiel mit der Fabrikarbeit an den Maschinen", erklärte der Journalist aus New Haven in Connecticut.
"Doch es gibt auch wunderschöne ältere Gebäude, wie das Schlossbergmuseum – und auch schöne Parkanlagen. Der Schlossteich hat mir sehr gut gefallen. Wenn ich hier leben würde, dann würde ich dort viel Zeit verbringen."
Journalisten und Veranstalter aus 40 Ländern
Etwa 110 Journalisten und Reiseveranstalter erkunden derzeit Chemnitz und die umliegende Kulturregion im Rahmen des "German Travel Mart". Die Konferenz gilt als größte Werbeveranstaltung für Tourismus in Deutschland und wird von der Deutschen Zentrale für Tourismus in Kooperation mit der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen und dem Industriemuseum Chemnitz veranstaltet. "Das ist für uns eine unglaublich große Chance, Menschen aus 40 Nationen dieser Welt Chemnitz und Sachsen vorzustellen und sie für die Schönheiten der Kulturhauptstadt und der Kulturregion zu begeistern", erklärte Veronika Hiebl, Geschäftsführerin der Tourimus Marketing Gesellschaft Sachsen mbH.
MDR (tom)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 22. April 2024 | 19:00 Uhr