Chemnitzerin rät Migrationsforscherin: Ostdeutsche Lebenswirklichkeit in Blick nehmen
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14. Januar 2023, 12:04 Uhr
Im Sachverständigenrat für Integration und Migration der Bundesregierung arbeiten künftig zwei Wissenschaftler aus Sachsen mit. Das Gremium besteht aus neun Fachleuten und berät die Politik. Neben dem Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer, der den Vorsitz übernimmt, wurde die Migrationsforscherin Birgit Glorius berufen. Im Interview sagt sie, was sie erreichen will.
Frau Glorius, Sie sind in den Sachverständigenrat für Migration und Integration der Bundesregierung berufen worden. Wie wollen Sie sich dort einbringen?
Birgit Glorius: In dem Gremium sind Migrationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der unterschiedlichen Disziplinen verortet. Und ich bin die einzige Geografin, so dass meine Expertise tatsächlich auch in der räumlichen Differenzierung liegt. Wenn wir über Flüchtlinge sprechen, geht es darum, eben auch die unterschiedlichen lokalen Konstellationen genauer zu beleuchten. Warum, lapidar gesagt, Flüchtlingsaufnahme in dem einen Ort gut klappt und in dem anderen stärker umkämpft ist.
In Sachsen gibt es in manchen Orten große Probleme mit der Flüchtlingsaufnahme. Was raten Sie da der Politik?
Insgesamt ist es ja so, dass der Sachverständigenrat gesamtdeutsch Gutachten erstellt und daraus dann auch Empfehlungen an die Bundesregierung gibt. Da ging es in den letzten Jahren zum Beispiel um die Frage, wie man mit ausländischen Studierenden umgeht, oder die Frage der Einbürgerungssituation. Häufig ist dabei die ostdeutsche Perspektive ein bisschen unterbeleuchtet. Mein Rat wäre, die ostdeutschen Lebenswirklichkeiten, die durch die DDR-Geschichte, durch die Wende und Transformationsgeschichte bedingt sind, stärker in den Blick zu nehmen und darauf auch zu reagieren.
Wie könnte man darauf reagieren? Gibt es dafür aus der Wissenschaft Ideen oder Vorschläge?
Es gibt ja in den Kommunen genau die Menschen, die wissen, wie sie mit ihrer Bevölkerung am besten umgehen, was da auch für Probleme über Migrationsfragen hinaus verankert sind. Denken wir an den Braunkohleausstieg in der Lausitz, was ein sehr politisiertes Thema ist und auch sehr viele Sorgen bereitet. Wichtig ist es, diese lokale Expertise mit reinzuholen.
Was auch wichtig ist, dass Politiker auf allen Ebenen, die in so einem sensiblen Thema arbeiten, einfach immer wieder auch darauf hingewiesen werden, sich möglichst neutral, möglichst sachlich, möglichst wenig polemisch auszudrücken. Dieser Rat mag ein bisschen banal klingen, aber wenn man sich anschaut, wie häufig mit Migrationsthemen populistische Politik gemacht wird, eben auch von Politikern und Politikerinnen, dann sieht man, dass dieser Rat noch einmal nahegelegt werden sollte.
Sie sind derzeit in Australien. Kann man aus den Forschungen dort auch etwas für Deutschland ableiten?
Das wird sicher eine interessante Frage sein. Australien ist ganz anders gelagert, auch in Bezug auf Migration und Flüchtlingsaufnahme. Es ist zunächst ein Einwanderungsland. Was Flüchtlingspolitik angeht, ist Australien für eine sehr harte Politik bekannt. Die individuelle Antragstellung ist praktisch komplett ausgesetzt. Was aber interessant ist, ist, dass Australien relativ aktiv im sogenannten Resettlement tätig ist, also in der planvollen Umsiedlung von Menschen, die international Schutz suchen, zum Beispiel Menschen aus Afghanistan, die in Australien auch in kleineren Städten angesiedelt werden.
Das werde ich mir anschauen, während meines Aufenthaltes, ein bisschen analog zu meiner Forschung in Deutschland, die sich sehr stark mit Flüchtlingsansiedlung in kleineren Städten beschäftigt. Ich werde mir ansehen, wie das im ländlichen Australien klappt und wie man mit diesen Besonderheiten der Ländlichkeit umgeht, die häufig als Nachteil gesehen wird, wenn es um Einwanderung oder Flüchtlingsumsiedlung geht.
MDR (kbe)