Oldtimer Wie zwei Busfahrer im Erzgebirge einen Ikarus fit halten
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03. Juni 2023, 08:00 Uhr
Busse der ungarischen Marke Ikarus haben in der DDR einen Großteil des Stadt- und Regionalverkehrs bewältigt. Auch Reisebussse waren unterwegs, wenn die Planwirtschaft sie nicht gerade wegen einer Ölkrise stoppte. Viele Menschen im Osten Deutschlands erinnern sich noch an die Fahrgeräusche, die Kunstledersitze und das Zischen der Drucklufttüren. Unvergessen auch die schwergänigen Griffe der Schlagtüren im Überlandverkehr. Busfans halten bis heute einige Exemplare fahrbereit.
- Am Sonnabend schlagen die Herzen vieler Bus-Fans schneller: beim Ikarustreffen in Chemnitz.
- Busfahrer aus Leidenschaft pflegen ein fast originalgetreues Ikarus-Modell.
- Heute ist Stolz auf den Oldtimer zu spüren, doch früher als junger Busfahrer empfand Thomas Mothes vor allem Scham für das alte Gefährt.
Ganz langsam rangiert Felix Mothes den roten Ikarus 250 aus einer Wagenhalle am Stadtrand von Annaberg-Buchholz. Die Sonne verwöhnt das obere Erzgebirge an diesem Frühlingstag und so glänzt der auf Hochglanz polierte Reisebus. Das Fahrzeug gehört dem kommunalen Regionalbus-Unternehmen Regionalverkehr Erzgebirge (RVE) und steht für Sonderfahrten zur Verfügung. Am 3. Juni ist der 34 Jahre alte Oldtimer-Bus beim Ikarus-Treffen in Chemnitz zu bewundern - gemeinsam mit rund 50 Ikarus-Bussen aus Deutschland, Polen und Ungarn.
Vater und Sohn haben gemeinsame Leidenschaft für Busse
Felix Mothes und sein Vater Thomas kümmern sich um die Pflege des Reisebusses, der nahezu komplett im Original-Zustand erhalten ist. Beide sind Busfahrer aus Leidenschaft beim RVE und haben ihren Beruf noch ganz klassisch von der Pike auf gelernt, also als Schlosser beziehungsweise Mechatroniker in der Werkstatt. Das sei natürlich von Vorteil, sagt Thomas Mothes.
Denn selbst der bestens gepflegte Ikarus muckert hin und wieder. "Gut, wenn man dann weiß, was kaputt ist oder welche Bauteil demnächst den Geist aufgeben könnte." Wenn der schicke Bus schon einmal aus der Wagenhalle geholt ist, muss eine kleine Rundfahrt durch Annaberg-Buchholz sein, meinen die Busfans.
Fahrzeug ist stets auf Hochglanz poliert
Bevor es los geht, poliert Thomas Mothes noch einen kaum erkennbaren Fleck nahe der vorderen Einstiegstür weg. Die beiden pflegen ihr Auto – so werden in der Szene die Busse genannt – wie andere Oldtimer-Sammler ihre Pkw oder Motorräder. Felix und Thomas Mothes sind sichtlich stolz auf den Ikarus. Nur fünf Fahrer dürfen ans Steuer des Reisebusses.
Wie viele Stunden die beiden Busfans in ihrer Freizeit am Ikarus schrauben, basteln und putzen, können sie nicht sagen. "Wer zählt schon die Stunden, die fürs Hobby drauf gehen?" Ihr schönster Lohn für die Mühe sei das Lob der Fahrgäste nach einer gelungenen Sonderfahrt. Da sind sie sich einig.
Busfahrer gehen jedem ungewohnten Geräusch nach
Sanft steuert Felix Mothes den Bus an diesem Sonntagvormittag durch Annaberg-Buchholz. Er selbst ist drei Jahre jünger als der Bus. Vom ruppigen Fahrstil manch eines Busfahrers im DDR-Berufsverkehr, die ihre robusten und oft überfüllten Ikarus-Gefährte mitunter durch den Stadtverkehr oder über die Steigungen des Erzgebirges quälten, ist nichts zu spüren.
Es muss an diesem Sonntag aber auch kein Fahrplan eingehalten werden. Ruhig schaukelt der Reisebus durch die Stadt. Thomas Mothes wird dennoch unruhig. Irgendetwas hinter der Fahrzeugfront scheint zu vibrieren. Zumindest nimmt der Kenner ein Geräusch wahr, das so nicht sein dürfte. Das will er nach Rückkehr in der Wagenhalle gleich noch abklären.
Als junger Fahrer für alten Bus geschämt
Die beiden Erzgebirger haben viel zu erzählen aus dem Alltag eines Busfahrers. Thomas Mothes lernte noch das Improvisationstalent der Werktätigen des DDR-Kraftverkehrs kennen, bei dem Werks- und Berufsverkehr auch bei Ersatzteilmangel unter allen Umständen rollen musste. Eis und Schnee seien im Erzgebirge bis heute kein Hindernis für den Linienverkehr, sagt Thomas Mothes mit einem Augenzwinkern. Immerhin stelle die Deutsche Bahn schon mal den Verkehr ein, wenn der Wetterbericht Sturm ankündigt. Der altgediente Busfahrer kommentiert das mit Kopfschütteln.
Das Ikarus-Treffen am 3. Juni 2023 in Chemnitz
- Der Freundeskreis Ikarus organisiert das 7. Ikarus-Treffen mit der Chemnitzer Verkehrs AG.
- Auf dem Betriebshof der CVAG in der Werner-Seelenbinder-Halle werden am Sonnabend zwischen 10 und 17 Uhr rund 50 Busse der Marke Ikarus verschiedener Typen erwartet. Sie kommen aus Deutschland, Polen und Ungarn.
- Zwischen der Zentralhaltestelle und dem Busbetriebshof wird ein Shuttleverkehr eingerichtet. 17 Uhr ist eine 60-minütige Rundfahrt der Ikarus-Busse geplant, Fahrgäste werden in einzelnen historischen Bussen mitgenommen.
CVAG
In seinen Anfangsjahren als Busfahrer wurde er noch mit dem letzten alten Ikarus 66 auf Linie geschickt. "Ich habe mich geschämt. Die Leute haben über den alten Bus geschimpft. An Nostalgie habe ich damals nicht gedacht." Heute wäre er stolz, sich ans Steuer eines Ikarus 66 zu setzen.
Wenn Kenner über die Stoßstange "stolpern"
Der rote Ikarus 250.67 macht allerdings auch etwas her und lockt Fans auf Ikarus-Treffen an. Immerhin zweimal seien sie schon in Ungarn, im Mutterland der Busmarke, gewesen. Die dortigen Fans merken natürlich sofort, dass die heutige Stoßstange von einem älteren Modell stamme und nicht das Original sein könne. Der Grund sei simpel, bei einem Auffahrunfall ging die ursprüngliche wuchtige Kunststoff-Stoßstange zu Bruch und wurde ersetzt. "Unser Bus ist jetzt eben einmalig", sagen die Busfahrer und grinsen.
Das Zwölf-Meter-Fahrzeug verfügt über 44 komfortable Plätze mit verstellbarer Lehne. Der Sitzabstand wirkt in etwa so, als wenn in einem Billigflieger jede zweite Reihe ausgebaut worden wäre. In den Sitzlehnen waren einst sogar Lautsprecher installiert, über die Ansagen des Reiseleiters oder Musik zu hören waren. Allerdings wurden die Lautsprecher aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen bei der Aufarbeitung in Tschechien ausgebaut, sagt Thomas Mothes etwas zerknirscht.
Statt auf langen Reisetouren fährt Bus im Linienverkehr
Im Sommer 1989 wurde der Bus fabrikneu aus Ungarn an den volkseigenen Kraftverkehr Karl-Marx-Stadt geliefert. Als Reisebus sollte er auch für das Reisebüro der DDR oder für Jugendtourist fahren. Mit seinen eleganten Schwingtüren und seiner aufwendigen Belüftungsanlage gehörte der Bus damals durchaus zum Nonplusultra, was der Osten an Reisebussen auf die Straßen brachte.
Das rasche Ende der DDR brachte den Bus jedoch recht schnell in den Liniendienst. Stationiert war das Fahrzeuge mit der noblen Ausstattung in den 1990ern an verschiedenen Standorten der damaligen Autobus Sachsen GmbH Regionalverkehr Chemnitz, von wo aus er Linien im Chemnitzer Umland bediente.
Nur 370.000 Kilometer auf dem Tacho
Thomas Mothes betont, dass der Bus vergleichsweise wenig eingesetzt worden war und deshalb auch nur rund 370.000 Kilometer auf dem Tacho hat. Das sei "eigentlich nichts" für einen Linienbus. Felix Mothes am Steuer schaut unterdessen auf die Uhr und mahnt zur Rückkehr in die Wagenhalle. Er hat noch Dienst und fährt mit einem modernen Bus der RVE die reguläre Nachmittagstour der Linie 400 von Annaberg-Buchholz über Freiberg nach Dresden und zurück. Diese Busverbindung über knapp 100 Kilometern durchs Erzgebirge existiert seit 1930.
Der Regionalverkehr Erzgebirge
- Der Regionalverkehr Erzgebirge (RVE) ist ein kommunales Busunternehmen, das im Erzgebirgskreis sowie in Teilen des Landkreis Zwickau Linien-, Stadt- und Schülerverkehr anbietet.
- Er gründet auf dem ehemaligen VEB Kraftverkehr Annaberg. In den 1990ern firmierte das Unternehmen als Busverkehr Obererzgebirge GmbH (BVO). 2010 folgte die Übernahme der Autobus Sachsen GmbH (vormals Kraftverkehr Karl-Marx-Stadt).
- 2011 wurde der heutige Firmenname Regionalverkehr Erzgebirge eingeführt. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 600 Mitarbeitende und betreibt gut 260 Busse, die auf mehr als 150 Linien unterwegs sind.
RVE
MDR (kk)
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