Carillon Konzert in Chemnitz in 60 Metern Höhe soll Türme Europas verbinden
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19. November 2022, 18:30 Uhr
Chemnitz hat zwei Rathäuser, das alte und das neue. Also gibt es auch zwei Rathaustürme. Weniger naheliegend ist, dass in jedem der Türme ein Glockenspiel erklingt: das eine automatisch, das andere von einem Spieler per Hand und Fuß gespielt.
Auf dieser Seite:
- Konzert in 60 Metern Höhe
- Die Olympiade im München 1972 und das Carillon
- Mikroprojekt mit Makro-Wirkung für die Kulturhauptstadt 2025
Punkt zehn Uhr hat sich der Chemnitzer Marktplatz am Sonnabend in einen Konzertsaal verwandelt. Nur die Musiker, Sebastian Liebold aus Chemnitz und Stefan Duschl aus München, sind nicht zu sehen. Sie sitzen 60 Meter weiter oben am Carillon, einem Glockenspiel, das seit 1978 im Rathausturm erklingt.
Was genau ist ein Carillon?
Ein Carillon (auch Turmglockenspiel oder Konzertglockenspiel genannt), hat im Vergleich zum Kirchengeläut mindestens 23 Bronzeglocken mit zwei Oktaven in chromatischer Reihenfolge.
Die Glocken sind mit einer Handspieleinrichtung - dem Stocktisch - verbunden. Über Drähte sind die Stocktasten mit den Klöppeln der Glocken verbunden. Die Glocken selbst werden nicht bewegt, lediglich die Klöppel werden über das Drahtsystem an die Glocken herangeführt.
Die ersten Carillons wurden im 17. Jahrhundert in Belgien, den Niederlanden und Nordfrankreich gebaut. In Deutschland gibt es heute etwa 50 von ihnen. Die Anzahl der Glocken und das Gesamtgewicht der Glocken können sehr unterschiedlich sein. Das leichteste Glockenspiel Deutschlands in Altenburg (Thüringen) besitzt 24 Glocken und wiegt etwa 300 Kilogramm. Das Glockenspiel in Halle/Saale hingegen besitzt 76 Glocken und wiegt 5,5 Tonnen. Das Carillon in Chemnitz bringt es mit seinen 48 Glocken auf ein Gewicht von 5.200 Kilogramm.
Das Chemnitzer Carillon im Neuen Rathaus Das Carillon wurde 1978 in den Turm des neuen Chemnitzer Rathauses eingebaut. Hergestellt wurde es nach Entwürfen des letzten Apoldaer Glockengießermeisters, Peter Schilling, in seiner ehemaligen Glockengießerei, dem verstaatlichten "VEB Glockengießerei Apolda". Es besteht aus 48 Glocken und verfügt über einen Tonumfang von vier Oktaven.
Liebold ist einer von drei Carilloneuren, die in Chemnitz das Instrument dreimal wöchentlich erklingen lassen. Er arbeitet als Referent bei der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, hat das Carillon-Spiel vom Chemnitzer Altmeister auf dem Carillon, dem 2015 verstorbenen Peter Franz, gelernt.
"Er hat mich ermuntert, mit einfachen, leicht spielbaren Stücken zu beginnen, da jeder Ton im gesamten Stadtzentrum zu hören war - auch die falschen", lacht Liebold. Ein Übungsinstrument gibt es nicht. "Mittlerweile bin ich gelassener, auch wenn das Üben immer live übertragen wird."
"In Deutschland gibt es etwa 50 Carillons", sagt Liebold. "Die Glockenspieler sind in der 'Deutschen Glockenspielvereinigung' zusammengeschlossen." Chemnitz hat in seinen beiden Rathäusern gleich zwei Glockenspiele. "Das figürliche Glockenspiel im Alten Rathaus ist bekannt. Von dem zweiten, nur wenige Meter entfernten Carillon im Neuen Rathaus, wissen die meisten Menschen nichts." Das wolle er bis zum Kulturhauptstadtjahr 2025 ändern.
Was die Olympischen Sommerspiele 1972 mit dem Carillonspiel zu tun haben
Als Gast zum Chemnitzer Konzert am Sonnabend hat sich Liebold seinen Münchner Kollegen Stefan Duschl eingeladen. Der spielt beim Konzert Werke von Bach, Gounod, Köppl, Charpentier und Léo Delibes.
Duschl ist schon als Kind über das Instrument "gestolpert". Im Münchner Olympiapark habe ihn das Carillon, das zu den Olympischen Spielen 1972 dort aufgestellt worden war, so sehr fasziniert, dass er beschloss, das Spielen zu lernen. Einen Vorteil hatte der etwas abgelegene Standort im Park: "Beim Üben hörte nicht gleich die halbe Stadt einen missglückten Ton."
Am Sonnabend spielt Stefan Duschl fehlerfrei und entlockt den Glocken im Chemnitzer Rathaus per Drahtzug die schönsten Melodien. Hauptberuflich hat auch er eher nichts mit analoger Technik am Hut. Er ist als Programmierer in der Automobilbranche tätig.
Mikroprojekt mit Makro-Wirkung für das Kulturhauptstadtjahr 2025
Schon 2017 hatte Liebold mit seinem Mikroprojekt bei den Kulturhauptstadt-Verantwortlichen Erfolg: Melodien von internationalen Glockenspielern sollen in Chemnitz erklingen und so die "Türme Europas klingend verbinden". Bis zum Kulturhauptstadtjahr in drei Jahren sollen noch einige internationale Carillonisten zum Konzert hoch über dem Chemnitzer Markt eingeladen werden.
Für 2025 hat Sebastian Liebold auch schon Pläne. Es soll einen "Paul-Gerhard-Flashmob" geben, bei dem die Chemnitzerinnen und Chemnitzer zu den Carillon-Klängen die Lieder des bekannten Kirchenkomponisten mitsingen können. Liebold hofft auch, ein mobiles Carillon auf den Markt bringen zu können, damit sich alle ein Bild von dem sonst unsichtbaren Instrument machen können. Schließlich lautet ja das Kulturhauptstadt-Motto "C the Unseen"...
MDR
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 15. November 2022 | 15:30 Uhr