Interview mit Bernd Birkigt Wie steht es um das Projekt Kulturhauptstadt Chemnitz 2025?

10. Juli 2022, 17:45 Uhr

Bernd Birkigt ist Leiter des Fördervereins "FreundInnen der europäischen Kulturregion Chemnitz 2025 e.V." Wie der aktuelle Stand des Projektes Kulturhauptstadt Chemnitz ist, hat er MDR KULTUR erzählt. Er beschreibt, wie die umliegende Region in das Konzept einbezogen wird und was die besonderen Qualitäten der Region Chemnitz sind, die auf eine interessante und wechselvolle Geschichte zurückblickt.

MDR KULTUR: Bernd Birkigt, Sie sind in der Bewerbungsphase für Chemnitz 2025 aktiv gewesen – und sind es immer noch. Und jetzt stoßen Sie ganz viele kleine Projekte an?

Bernd Birkigt: Ich glaube, man braucht zuerst einen Blick aufs Große und Ganze. Und dann gewinnen natürlich mehr und mehr auch kleine Projekte an Bedeutung. Ich habe mal Gärtner gelernt, da weiß man, dass man erst kleines Saatgut ausbringen muss. Dann muss man lange pflegen, kultivieren. Und dann, wenn viele Umstände stimmen, kann man eine Ernte einfahren. Und ich glaube, das ist im Kulturhauptstadtprojekt genauso.

72 Ideen gab es in einem Bewerbungsbuch, mit dem Chemnitz 2025 die Jury zur Kulturhauptstadtbewerbung überzeugte. Jetzt sind das konkrete Projekte, die in der nächsten Zeit umgesetzt werden. Was ist die Idee von Makers United?

Makers United ist eine Grundidee des Bewerberkonzeptes. Wir haben ja auch die verschiedenen Untertitel in den Bewerbungsphasen, so das "See the Unseen", also das Ungesehene. Dort, wo sich Menschen teilweise selbst mit einer Passion beschäftigt – sie haben eine bestimmte Fähigkeit, eine Fertigkeit. Sie machen das aber häufig auch im Verborgenen, entweder, weil sie noch nicht erkannt sind, oder weil sie Tüftler sind, die lieber hinter der verschlossenen Tür etwas ertüfteln.

Viele dieser Projekte der Kulturhauptstadtbewerbung resultieren darauf, das öffentlich zu machen. Dass sich diese Macher in verschiedener Art und Weise treffen und sich damit auch befruchten. Man kann jetzt in einzelne Gewerke gehen, wo einer – ich nehme mal ein ganz simples Beispiel – besonders gut stricken kann. Und die Strickerin soll sich nicht bloß mit einer Strickerin treffen, sondern sie soll sich vielleicht auch mit Einem aus der Industrie treffen, der sagt: "Aus der alten Textiltechnologie des Strickens, da könnten wir in Zukunft auch ganz was anderes machen!"

Wir haben bei MDR Kultur schon einige dieser Macher vorgestellt. So einen Mann, der sich einen 3D-Drucker selber gebaut hat oder eine Frau, die aus Korbgeflechten Uhren herstellt. Inwiefern steht diese Macher-Idee für die Arbeiterstadt Chemnitz?

Die steht ganz besonderes für Chemnitz und auch seine Region. Erstens hat es mit den Brüchen in der Vergangenheit zu tun. Man musste sich immer wieder neu erfinden, entweder, weil alte Industriezweige zusammengebrochen sind. Oder, wenn wir noch weiter in der Geschichte zurückgehen, dass der Bergbau, der in der Region Erzgebirge mal aufgeblüht ist und zum Wohlstand beigetragen hat, dann plötzlich über wenige Jahrzehnte keine Bedeutung mehr hatte.

Und die Menschen mussten ihre Fähigkeiten, die sie ganz woanders erworben haben, in völlig neue Dinge einbringen. Und dieser Transformationsprozess hat natürlich im Nachhinein den Menschen neue Qualitäten gegeben. In der Phase der Umstellung war das aber sicherlich immer eine Katastrophe.

Welche Rolle, auch inhaltlich, spielt das Chemnitzer Umland in der Kulturhauptstadt-Bewegung?

Zum einen bildet natürlich die gesamte Region eine Macher-Region ab. Auch wenn die Chemnitzer-Umland-Beziehung nicht immer so intensiv ist. Aber man muss ja deutlich sagen, dass das ein Ballungsraum ist, der dicht besiedelt ist. Das ist ja nicht eine Stadt Chemnitz und daneben ein paar Dörfer. Es gibt auch stolze Bergstädte. Und aufgrund der industriellen Entwicklung auch viele Menschen, die sich für den Prozess interessieren.

Und nun gab es eine Schwierigkeit: der Bottom-Up-Prozess in Chemnitz, also dass Ideen entstanden sind, der hat zunächst hauptsächlich in Chemnitz stattgefunden. Die Umlandkommunen sind eher formell eingeladen worden, sich zu beteiligen. Und erst mit dem Zuschlag begann dann – nach der ersten Phase, wo Chemnitz eine Runde weiter gekommen ist – diese inhaltliche Phase: Was beschreiben wir denn inhaltlich, was in der Region entsteht? Und welche Beteiligten sind dort konkret dabei?

Das ist ja sozusagen ein Selbstfindungsprozess, den Sie auch für das Umland mit angestoßen haben.

Genau! Und der auch noch stattfindet – und stattfinden muss.

Wenn ich beispielsweise den geplanten "Purple Path" beschreiten möchte, wie mache ich das, was sehe ich da?

Sie werden bis zu 70 Kunstwerke sehen, die nach Möglichkeit auf einem Weg, der nicht nur mit dem Auto, mit dem Nahverkehrsmittel, sondern auch mit dem Fahrrad oder zu Fuß, zumindest in Abschnitten erlebbar ist. Es ist ja letzten Endes doch eine große Region, wenn wir die Orte miteinander verbinden. Und sie werden insbesondere Skulpturen und Installationen vorfinden, die eine Reflektion zu den Wurzeln der Region haben.

Mehrere Fahnen, auf denen Purple Path steht
Der "Purple Path" – ein Kulturpfad, der Stadt und Umland verbindet Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Sebastian Kahnert

Und wo startet und endet dieser "Purple Path"-Pfad?

Der Pfad startet in Chemnitz und hört in Chemnitz auf – und führt durch alle beteiligten Orte. Den kann man themenbezogen bereisen. Denn es wird ja auch Kulturinteressierte geben, die sich konkret anhand von Künstler- oder Titelnamen etwas heraussuchen und das besuchen. Aber es soll auch dahin kommen, dass man den gesamten Pfad – vielleicht in einer Woche – bereisen kann. Dabei auch nett übernachten und tolle Menschen kennenlernen. Denn wir wollen ja nicht bloß die Kunstwerke ausstellen, sondern es soll ja auch die Gelegenheit geben, dass regionale Werkstätten, regionale Macher, die ja nicht offiziell in dem kuratierten Pfad enthalten sind, auch gesehen werden.

Das Gespräch hat Julia Hemmerling für MDR KULTUR geführt.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. Juli 2022 | 11:05 Uhr