Sport Behindertensportverein Wittgensdorf: "Rollstuhlbasketball ist für alle"
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24. September 2023, 10:00 Uhr
Ende 2022 hat sich der Behindertensportverein Wittgensdorf in Chemnitz gegründet. Ziel ist es, Menschen mit und ohne Behinderung, jeden Alters sowie jeder Herkunft beim Sport zusammenzubringen. Perspektivisch sollen viele Sportarten angeboten werden, gestartet ist der Verein mit Rollstuhlbasketball. MDR SACHSEN-Reporterin Anett Linke durfte einen Abend mittrainieren.
Kurz vor Trainingsbeginn herrscht viel Gewusel in der Turnhalle des Sportgymnasiums Chemnitz. Beim Eintreffen bin ich schon etwas aufgeregt. Ich bin ein großer Basketballfan und habe zumindest schon mal einen Ball in der Hand gehalten. Rollstuhlbasketball ist allerdings eine neue Erfahrung für mich. Christian Fischer, Trainer und Spieler beim Behindertensportverein (BSV) Wittgensdorf, beruhigt mich. "Wir haben viele Neulinge dabei und fangen langsam an", sagt er.
Zuerst werfe ich mich in meine Sportkleidung und dann wird ein Sportrollstuhl für mich bereitgemacht. Dazu werden die Räder noch einmal wie bei einem Fahrrad aufgepumpt und an den Rollstuhl gesteckt. "Es ist nichts anderes als ein Sportgerät", sagt Fischer zu mir.
Als ich Platz nehme, weist er mich darauf hin, die Füße nicht über den Rand stehen zu lassen. "Dort knallen die Rollstühle zusammen und das könnte zu Verletzungen führen", sagt er. Ich positioniere meine Füße weiter hinten und wir rollen gemeinsam in die Halle. Na gut, ich brauche ein bisschen länger, muss ich doch erst einmal ein Gefühl für die Steuerung bekommen.
Bunt gemischte Mannschaft
Ich bin überrascht wie intuitiv es doch funktioniert, den Rollstuhl in die von mir gewünschte Richtung zu bewegen. Trotzdem muss ich noch oft nachkorrigieren. Während ich langsam dahin rolle, wärmt sich der Rest der Mannschaft auf. Rund 15 Personen trainieren heute mit.
Die Jüngste ist zwölf Jahre alt, der Älteste schon im Rentenalter. Das spiele bei dieser Sportart keine Rolle, erklärt mir Fischer. "Rollstuhlbasketball ist für alle", sagt er. "Egal welches Alter, welches Geschlecht und ob mit oder ohne Einschränkung - alle spielen gemeinsam in einem Team." Vielen sei nicht bewusst, dass auch Menschen ohne Behinderung mitspielen dürfen.
Rollstuhlbasketball ist für alle. Egal welches Alter, welches Geschlecht und ob mit oder ohne Einschränkung - alle spielen gemeinsam in einem Team.
Fischer selbst ist auch im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen. "Kurze Strecken schaffe ich auch mit Krücken", erzählt er mir. Der Alltagsrollstuhl sei aber nicht mit dem Sportrollstuhl zu vergleichen. "Hier im Team gibt es ganz unterschiedliche Geschichten. Manche haben gar keine Einschränkungen, manche seit Geburt und manche durch einen Unfall", sagt Fischer. "Aber hier in der Halle sind wir alle gleich."
Zweimal in der Woche findet das Mannschaftstraining statt, dazu einmal in der Woche ein freiwilliges Wurftraining. "Ein Teil tritt zusammen in der Landesliga an, ein Teil betreibt es als Freizeitsport", so Fischer.
Kräftemessen im Trainingsspiel
Während wir uns unterhalten, macht das Team Pass- und Wurfübungen. Ich halte mich erstmal am Rand, um niemandem im Weg zu sein. Dann heißt es, außerhalb des Spielfeldes einzuparken. Nun treten die Spielerinnen und Spieler in zwei Mannschaften in einem Trainingsspiel gegeneinander an. Jeweils zwei Personen (und ich) stehen am Rand als Auswechselspieler bereit.
Ich komme mit den Schwestern Josi und Fenja ins Gespräch, die beide im Alltag keinen Rollstuhl brauchen. Sie sind 14 und zwölf Jahre alt und seit rund drei Monaten Mitglieder im Verein. Sie sind über ihre Schule dazugekommen, wo Rollstuhlbasketball eine Zeit lang als Ganztagsangebot ausprobiert werden konnte. "Es macht mehr Spaß als das normale Basketball", erzählt Josi. "Man hat immer so tollen Fahrtwind im Gesicht."
Bislang fällt den Schwestern das Treffen des Korbs aber noch etwas schwer. "Das Schwerste ist, gleichzeitig auf den Rollstuhl und den Ball aufzupassen", sagt Josi. Das kann ich mir vorstellen, bin ich doch froh, nach rund einer halben Stunde Übung langsam relativ zielgenau umherfahren zu können.
Das Schwerste ist, gleichzeitig auf den Rollstuhl und den Ball aufzupassen.
Selbstversuch auf dem Spielfeld
Anthony Scholz, sportlicher Leiter des Vereins und Co-Trainer, wirft mir auf einmal ein Trikot zu. "Du wirst gleich eingewechselt", sagt er grinsend. Ich bin geschockt. Ein bisschen umherfahren klappt ja ganz gut. Aber gezielt und so schnell wie das Team durch die Halle rollt? Und dann vielleicht noch einen Ball fangen?
Nervös beobachte ich das Spiel. Die Rollstühle krachen aneinander, wenn ein Gegner ausgebremst werden soll. Die Spielerinnen und Spieler rollen in einer unglaublichen Geschwindigkeit mit vielen Wendungen über das Feld. Ob das was wird?
Dann ist es soweit. Ich klatsche eine Spielerin ab und rolle aufs Feld. Einen Einwurf zu fangen, traue ich mir noch zu und siehe da, es klappt. Auch das Weiterpassen gelingt mir. Doch dann muss ich versuchen, schnell über das Feld zu rollen, bin ich doch weit abgeschlagen von allen anderen. Doch kaum komme ich an, rollen alle schon wieder in die andere Richtung.
Ich gebe mein Bestes, bin aber einfach nicht schnell genug, um in der Verteidigung eine Hilfe zu sein. Außerdem habe ich doch ziemliche Angst, wenn ein Gegenspieler sehr schnell auf mich zufährt. Nach einigen Minuten verlasse ich geschafft das Feld. Koordination und auch Armkraft sind anscheinend nicht meine Kernkompetenzen.
Was ist Rollstuhlbasketball?
- Rollstuhlbasketball ist eine eigenständige Sportart und lehnt sich an die Regeln des Fußgänger-Basketballs an.
- Das Ziel jeder Mannschaft ist es, den Ball in den Korb des Gegners zu werfen und dabei die gegnerische Mannschaft daran zu hindern, Korberfolge zu erzielen.
- Der Korb hängt genau wie beim Fußgänger-Basketball in 3,05 Meter Höhe.
- Nach zwei Schritten, was zwei Zügen an den Reifen entspricht, muss der Ball gepasst, auf den Korb geworfen oder gedribbelt werden. Sonst ist es ein Schrittfehler.
- In über 150 deutschen Sportvereinen setzen sich auch Menschen ohne Behinderung hin und gehen per Rollstuhl auf Korbjagd.
- Für Chancengleichheit und Fairness sorgt das Klassifizierungssystem der Spielerinnen und Spieler.
- Die funktionelle Klassifizierung bewertet, über welche basketballrelevanten Muskelfunktionen eine Spielerin bzw. ein Spieler verfügen kann.
Deutscher Behindertensportverband
Zweite Einwechslung mit Wurfversuch
Einige Zeit später werde ich noch einmal eingewechselt. Dieses Mal werde ich von Scholz tatkräftig unterstützt. Er läuft mir auf dem Feld hinterher und gibt mir Anweisungen: "Schneller! Nach rechts! Nach Vorn! Zurück!" Zwischendurch müssen wir beide mehr als einmal lachen, da rechts und links anscheinend keine eindeutigen Richtungsangaben für mich sind. Und dann kommt mein großer Moment, ich stehe in Korbnähe und habe den Ball. Ich hole aus, fixiere den Korb und werfe ... vorbei.
Aus einem Rollstuhl genug Schwung zu holen, um einen Korb zu treffen, der auf der gleichen Höhe wie für "Läuferbasketball" hängt, ist schon eine hohe Kunst. Eine andere Person aus meinem Team (oder aus dem gegnerischen?) wirft nochmal auf den Korb und trifft. Alle jubeln und tun so, als wäre es mein Treffer gewesen.
Teamgeist wird hier auf jeden Fall gelebt. Am Ende des Trainings bin ich ganz geschafft, obwohl ich kaum gespielt habe. Meine Arme, Finger und Schultern melden direkt schon einen Muskelkater für den nächsten Tag an. Trotzdem möchte ich diese Erfahrung nicht missen.