NSU-Terroristin Beate Zschäpe will erneut in Aussteigerprogramm aufgenommen werden
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26. Juli 2024, 11:31 Uhr
Die verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe war an den Morden des NSU beteiligt. Seit 2019 ist sie in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz inhaftiert. Nun bemüht sich Zschäpe erneut um die Teilnahme an einem Aussteigerprogramm. Beobachter deuten dies als taktisches Mannöver. Ein Besuch in der JVA Chemnitz.
- In der JVA Chemnitz leben die Häftlinge auf zwölf Quadratmetern. Die NSU-Terroristin Beate Zschäpe ist seit 2019 in dem Gefängnis inhaftiert.
- Mehr als 250 Verbrecherinnen aus Sachsen und Thüringen haben im geschlossenen Vollzug der JVA Platz. Rund um das Gefängnis finden regelmäßig Demonstrationen statt.
- Zschäpe bemüht sich derzeit erneut um die Teilnahme an einem Aussteigerprogramm. Die sächsische Linken-Politikerin Kerstin Köditz zweifelt an der Aufrichtigkeit Zschäpes.
Ein langer Gang mit vielen großen Metalltüren rechts und links. Die Vollzugs-Abteilungsleiterin im Chemnitzer Frauengefängnis, Katja Bauer, schließt eine der nummerierten Türen auf. Dahinter ein kleines Zimmer. Zwei Schranktüren und eine Wand sind grasgrün – genauso wie die Wände im kleinen Toilettenraum. Das Fenster ist vergittert, es gibt ein Waschbecken mit Spiegel, einen Tisch mit 2 Stühlen, ein Metall-Doppelstock-Bett und ein Telefon, welches nur genutzt werden kann, um genehmigte Nummern anzurufen.
Inhaftierte leben auf zwölf Quadratmetern
Die Hafträume sehen alle ähnlich aus: etwa zwölf Quadratmeter für eine oder zwei Gefangene. In der Regel wohnen sie allein.
In so einem Zimmer lebt also auch die 49 Jahre alte Beate Zschäpe. Für die verurteilte NSU-Rechtsterroristin gelten die gleichen Regeln wie für die anderen Inhaftierten im Chemnitzer Frauengefängnis. Um sechs Uhr werden die Frauen geweckt. Tagsüber können sie unter anderem arbeiten, basteln oder Sport machen. Dafür dürfen sie unter Aufsicht ihre Station verlassen.
Innerhalb ihres Bereichs können sich die 20 bis 40 Frauen außerdem zu bestimmten Zeiten frei bewegen, beschreibt Katja Bauer den Alltag im geschlossenen Vollzug. "Dort können die Frauen gemeinsam kochen und essen. Wir haben Fernsehräume in denen sie auch spielen können und Duschräume. In der Zeit des Aufschlusses können sie duschen", erklärt die Abteilungsleiterin. "Sie können sich gegenseitig in den Hafträumen besuchen oder auch allein die Zeit nutzen." Gegen 21 Uhr sei Einschluss und eine Stunde später Nachtruhe. Dann müsse es ruhig sein. Die Inhaftierten dürften aber fernsehen oder Briefe schreiben.
Zschäpe seit fünf Jahren in der JVA Chemnitz
Zschäpe wurde vor fünf Jahren in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Chemnitz verlegt. Zunächst war sie noch in Untersuchungshaft. Verurteilt wurde sie 2018 als Mitglied des Terror-Trios NSU, das unter anderem zehn Morde begangen hat. Als ihr Urteil 2021 rechtskräftig wurde, wurde sie in den Bereich der Strafhaft verlegt.
Manuela Müller, Journalistin bei der Tageszeitung "Freie Presse" in Chemnitz, recherchiert immer wieder auch zum Gefängnisalltag. "Beate Zschäpe sitzt bei den Langstraflerinnen", sagt Müller. "Das ist ein langer Gang mit vielen Zellen. Nachmittags stehen die Zellen offen. Es gibt eine Gemeinschaftschaftsküche. Die Inhaftierten kochen sehr gern oder machen Gesellschaftsspiele. Beate Zschäpe hat da wohl einen recht guten Ruf."
Die Journalistin hatte Anfang 2023 aufgedeckt, dass eine 17-jährige Ersttäterin gemeinsam mit Schwerverbrecherin Zschäpe puzzelte und bastelte. So etwas komme nicht mehr vor, sagt Katja Bauer von der JVA. "Wir prüfen jetzt besonders, dass die Jugendstrafgefangenen oder Untersuchungsgefangenen, die das erste Mal auch inhaftiert sind, nicht gemeinsam mit Gefangenen, die wegen schweren Verbrechen in Haft befinden, in Ausbildung, Freizeitmaßnahmen oder Arbeit eingesetzt werden."
Bis zu 250 Häftlinge im geschlossenen Vollzug
In Deutschland gibt es nur wenige Frauengefängnisse. Nach Chemnitz kommen Verbrecherinnen aus Sachsen und Thüringen. Mehr als 250 haben im geschlossenen Vollzug Platz. Mithäftlinge von Rechtsterroristin Beate Zschäpe sind eine Reichsbürgerin, der vorgeworfen wird, die Entführung des Bundesgesundheitsministers geplant zu haben, eine Ärztin, die falsche Corona-Impfatteste ausgestellt haben soll und zeitweise war es auch die Linksextremistin Lina E.. Wer von ihnen einen Haftraum in den oberen Stockwerken des Gefängnisses bekommt, kann weit über Chemnitz gucken.
Das Gefängnis mit seinen Hochhäusern und die fünf Meter hohe Betonmauer hat Christina Schubert auf ihrer Terrasse direkt vor Augen. Sie wohnt dort seit 22 Jahren in einem Einfamilienhaus. "Das gibt’s zuweilen, dass Leute hier stehen und rufen. Vielleicht alle zwei Monate mal. Die rufen auch teilweise zurück. Wir haben es auch schon erlebt, dass die sich untereinander unterhalten. Verschiedene Etagen haben das Fenster auf."
Immer wieder Demonstrationen am Gefängnis
Immer wieder bekommt Schubert auch Demonstrationen mit. Der Stadt Chemnitz zufolge wurden im vergangenen Jahr zwölf Versammlungen rund um das Gefängnis angemeldet. Dieses Jahr waren es vier, die meisten davon von der rechtsextremen Partei "Freie Sachsen", die die Freilassung einer Ärztin fordern. Aber auch das "Feministische Anti-Knast-Bündnis" lud zur Kundgebung.
Das Gefängnis und auch die Gefangenen, die für bundesweite Schlagzeilen sorgen, seien in der Nachbarschaft kein Thema, sagt Schubert. Sie bekomme nichts mit von denen, die nicht über die Mauer rufen, sondern sich offiziell zum Besuch anmelden. Beate Zschäpes Anwalt Mathias Grasel schreibt auf MDR-Aktuell-Anfrage: "Frau Zschäpes Sozialkontakte beschränken sich im Wesentlichen auf ihre Mutter und auf mich. Es gibt Besuche, Telefonkontakt und Briefverkehr."
Zschäpe will an Aussteigerprogramm teilnehmen
Im Warteraum des Gefängnisses liegen Kinderbücher auf einem Tisch. In einer Vitrine hängt ein Flyer des Extremisten-Aussteigerprogramms des Landes Sachsen. Das hatte Beate Zschäpe vor gut einem Jahr eine Absage erteilt. Nun versucht sie es erneut – vermutlich bei einem anderen Aussteigerprogramm. Solche Beratungen finden dann laut JVA in speziellen Besuchsräumen statt.
Auf die Frage, warum Zschäpe sich um ein Aussteigerprogramm bemüht, schreibt Anwalt Grasel, sie habe mehrfach betont, rechtes Gedankengut spiele für sie keine Rolle mehr. "Nachdem ihre Worte von vielen Prozess-Beteiligten immer wieder kritisch hinterfragt bzw. angezweifelt wurden, möchte sie mit diesem Schritt ein unmissverständliches Zeichen setzen, dass sie es mit ihrer Distanzierung nach wie vor absolut ernst meint."
Linken-Politikerin zweifelt an Zschäpes Aufrichtigkeit
Beobachter halten das für ein taktisches Manöver. So auch die sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, Kerstin Köditz. Sie hat das Thema NSU weiter genau im Blick. "Ich habe den Verdacht, dass sie sich davon eine Hafterleichterung oder Haftverkürzung erhofft. Aber dann muss sie mal Fakten auf den Tisch legen, wer sind die weiteren Unterstützer", fordert Köditz. Vor Gericht habe Zschäpe dazu geschwiegen.
Köditz kritisiert zudem, dass Zschäpe auch bei ihren späteren Aussagen entscheidende Fragen offengelassen habe. Im vergangenen Jahr hatte sie stundenlang vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags ausgesagt. Auch ist sie laut ihrem Anwalt mehrere Tage vom Bundeskriminalamt vernommen worden.
Gesprächsbereitschaft und Aussteigerprogramm könnten eine Rolle spielen, wenn es in einigen Jahren darum gehen dürfte, ob sie unter Umständen das Gefängnis auf Bewährung verlassen kann.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 22. Juli 2024 | 06:47 Uhr