Versuchszug Eisenbahn der Zukunft wird im Erzgebirge getestet
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10. September 2021, 09:00 Uhr
So richtig mag der weiß-silbrig-graue Versuchszug der Deutschen Bahn nicht in die liebliche Erzgebirgslandschaft passen. Doch genau hier ist er richtig. Der ehemalige Diesel-ICE nennt sich nun "Advanced-Trainlab". Mit ihm untersuchen Wissenschaftler, Eisenbahner, Ingenieure und Bahnhersteller verschiedene Komponenten für die Digitalisierung des Bahnverkehrs. Zwischen Annaberg-Buchholz und Schwarzenberg gibt es eine Teststrecke. Auf der war der Versuchszug unterwegs - nicht zum ersten Mal.
Ganz langsam rollt der Versuchszug der Deutschen Bahn, das "Advanced-Trainlab", in den Bahnhof von Scheibenberg an der Strecke Annaberg-Buchholz - Schwarzenberg. Seit September 1997 fährt hier kein regulärer Personenzugverkehr mehr. Einzig die DB-Regionaltochter Erzgebirgsbahn nutzt die eingleisige Verbindung für Überführungen von Triebwagen oder Bauzügen. Meist zwei Mal in der Woche kommt noch eine Güterzug-Übergabe von Zwickau, aber nur bis nach Grünstädtel. Trotzdem dämmert die Strecke nicht ihrem Ende entgegen: Sie ist Versuchsstrecke für autonomen Bahnverkehr, generell für die Digitalisierung der Eisenbahn in der Zukunft.
500 Fachleute drei Tage im Erzgebirge
Im Rahmen der Fachtagung "Digital Rail Convention" mit rund 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Ingenieuren, Studierenden, Eisenbahnern und Bahnfahrzeugherstellern war seit Mittwoch das sogenannte Advanced Trainlab der Deutschen Bahn zwischen Schlettau, Scheibenberg und Markersbach unterwegs. An Bord konnten sich Fachleute über einzelne Projekte der digitalen Bahnzukunft informieren. Dabei ging es auch um Hinderniserkennung auf Bahngleisen, wozu unterschiedliche Technik von beinahe herkömmlichen Kameras über Infrarot-Aufzeichnungen bis hin Laserüberwachung der vorausliegenden Strecke erprobt werden.
Technik soll anfangs Triebfahrzeugpersonal unterstützen
Vertreter von Siemens erklärten, dass bereits in zwei Jahren solche Technik beispielsweise Triebfahrzeugführern assistieren soll. Obwohl es längst autonome U-Bahnen gibt, zum Beispiel in Nürnberg - das Lokpersonal im Eisenbahnverkehr wird auf absehbare Zeit nicht ersetzbar sein. Das betonte die Leiterin der Digitalisierung Bahnsysteme bei der DB im Projekt Digitale Schiene Deutschland, Annika Hundertmark. Sie sagte, dass viele Forschungsfelder noch in den Kinderschuhen steckten, die Wissenschaftler eine Art Grundlagenforschung leisteten. Ziel sei es, dass Hersteller und Bahnunternehmen all die Erkenntnisse dann gemeinsam in moderne Strecken, zuverlässige Sicherungstechnik und in neue Fahrzeuge stecken und diese vom ersten Tag an voll funktionfähig auf die Schienen stellen.
Noch viel Strecke auf dem Weg zur Digitalisierung
Bisher ist die Digitalisierung im deutschen Bahnnetz vor allem im europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS zu finden, insbesondere auf deutschen Neubaustrecken und in den elektronischen Stellwerken. Doch noch längst nicht alle Triebfahrzeuge der Deutschen Bahn und ihrer Mitbewerber sind ETCS-tauglich. Sie können also weiter nur über konventionelle Strecken fahren. Unumwunden geben die Strategieplaner der DB AG zu, dass noch viel Arbeit vor ihnen liegt.
Es geht vor allem darum, digital unterstützt mehr Verkehr auf der Schiene zu koordinieren und die Zugabstände durch automatische Beeinflussung zu verringern und damit letztendlich auch den Fahrplan für die Bahnkunden zu verbessern. Große Blockabstände zwischen Zügen und lange Meldeketten zwischen Fahrdienstleitern sollen dann Geschichte sein. Wie sensibel Digitaltechnik in Störungsfällen auf die Bedürfnisse der Kundschaft und ihre Reisepläne reagiert, wir sich freilich zeigen müssen.
Auf der Teststrecke zwischen Schlettau und Markersbach hat 5G-Funktechnik den nicht mehr ganz zeitgemäßen Bahnfunk GSM-R ersetzt. Allerdings stehen die Funkmasten mit ihren blauen Containern noch ziemlich dicht beieinander - acht Sender auf elf Kilometer Strecke. Etwa in der Mitte liegt Scheibenberg, das zum Laborbahnhof umfunktioniert wurde. Die Gebirgsstecke sei für derlei Versuche auch gut geeignet wegen ihrer vielen Kurven und Berge, die herkömmliche Handynutzer mitunter an ihre Geduldsgrenze bringen.
Suche nach der besten Antenne
In einem weiteren aktuellen Projekt im "Advanced-Trainlab" wird passend dazu der Empfang der Daten im Zug untersucht. Dafür wurden verschiedene Antennenmodelle auf dem Dach montiert - Infrastruktur und Zug müssen lückenlos Daten austauschen. Ein Vertreter eines Bahnherstellers fragte etws irritiert, ob sie künftig all diese Antennen aufs Dach ihre Züge bauen müssten. Er konnte beruhigt werden, es geht nur um die Erprobung. Auch Sicherheitsaspekte des Bahnverkehrs der Zukunft werden erforscht - so beispielsweise fälschungssichere Datenauswertung, etwa nach Zwischenfällen im Bahnbetrieb.
Austauschbare Module zur Erforschung einzelner Themenfelder
Wer hinter dem "Advanced-Trainlab" einen bis unters Dach mit Technik vollgestopften Zug vermutet, liegt falsch. Vielmehr erinnert der Zug der Baureihe 605 samt Innenausstattung noch stark an seine Vergangenheit als ICE. Die digitale Technik steckt in Modulen, für die mal vier, mal acht Sitze ausgebaut werden. In den einzelnen Wagen können verschiedene Feldforschungen gleichzeitig stattfinden, selbst unterschiedliche Firmen können zeitgleich im Zug arbeiten. Ein festes Team von etwa zehn DB-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat der Leiter Technik Teclab, Tobias Fischer.
Seit wenigen Wochen besitzt seine Forschungsabteilung zwei ehemalige Diesel-ICE. Der erste Zug wurde Ende 2018 übernommen und war auf einer seiner ersten Präsentationsfahrten schon einmal im Erzgebirge - allerdings damals noch mit viel weniger Technik an Bord. Beide Züge seien zwar in Berlin stationiert, aber bundesweit im Versuchs- und Forschungseinsatz. Angetrieben würden sie mit alternativen Kraftstoffen, die den Kohlendioxid-Ausstoß der ehemaligen Diesel-ICE um 90 Prozent senkten, hieß es.
Bahn: Erzgebirge identifiziert sich mit Eisenbahnforschung
Bahnsprecherin Susan Constantinescu sagte, die Region identifiziere sich mit der Bahnforschung und dem Kompetenzzentrum in Annaberg-Buchholz. So waren auch während der Testfahrten viele Erzgebirger mit Kamera ausgestattet an der Strecke und haben die Züge beobachtet.
Am Freitag öffnen die Veranstalter ihre Bahnfachkonferenz auch für Interessierte. Zwischen Schwarzenberg und Annaberg-Buchholz fahren Züge nach Fahrplan. Triebfahrzeuge mit verschiedenen Antriebvarianten sollen zu sehen sein. Zudem seien Schulklassen aus dem Erzgebirge mit Projekttagen einbezogen, hieß es.
Hintergrund: Geschichte der Diesel-ICE der Baureihe 605
- Die Diesel-ICE der Baureihe 605 sollten den Fernverkehr auf der Sachsen-Franken-Magistrale zwischen Dresden und Nürnberg sowie auf der Linie München - Zürich durchs Allgäu modernisieren.
- Verspätet rollten sie 2001 an den Start, um nach einer Serie technischer Pannen und der Entgleisung des ICE "Franken-Kurier" am 2. Dezember 2002 bei Gutenfürst im Vogtland im Sommer 2003 zunächst wieder komplett aus dem Verkehr gezogen zu werden.
- Zuvor war bereits ein Zug von einer Hebebühne in Hof gefallen und nicht mehr einsatzbereit.
- Zur Fußball-WM 2006 wurden einzelne Züge für Sonder- und Verstärkungsfahrten reaktiviert.
- Zwischen 2007 und 2017 fuhren die Züge auf der Verbindung Berlin/Hamburg - Kopenhagen mit Fährpassage und wurden danach endgültig abgestellt und zum Verkauf angeboten. Es fanden sich aber keine Interessenten.
- Während erste Züge verschrottet sind, dürfen zwei als "Advanced-Trainlab" bei der DB AG an der Zukunft der Eisenbahn "mitforschen". Sie sind bundesweit als Versuchszüge im Einsatz, befördern aber keine Fahrgäste mehr.
Quelle: MDR/lam
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 09. September 2021 | 19:00 Uhr
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