Strukturwandel Weitere Fördermillionen für sächsische Braunkohleregionen
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15. November 2022, 14:58 Uhr
Die sächsischen Braunkohleregionen können auf neue EU-Millionen hoffen. In Weißwasser hat die Landesregierung ein weiteres Förderprogramm für den Strukturwandel vorgestellt. 645 Millionen Euro sollen im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier sowie in Chemnitz investiert werden. Doch die Unternehmer in den betroffenen Regionen sind skeptisch, was davon wirklich bei ihnen ankommt.
In den nächsten fünf Jahren können in den sächsischen Braunkohlerevieren insgesamt 645 Millionen Euro EU-Fördergeld ausgegeben werden. Im Lausitzer Revier sollen davon 375 Millionen Euro eingesetzt werden, im Mitteldeutschen Revier 200 Millionen Euro und in der Stadt Chemnitz 70 Millionen Euro.
Das Geld kommt aus dem Just Transition Fund (JTF). Der Fonds soll Härten abfedern helfen, die der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft verursacht – hier: der Braunkohleausstieg. Die EU gebe Geld für den Strukturwandel in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier, weil den Regionen "der zweite grundlegende Umbruch innerhalb von 40 Jahren" bevorstehe, erklärte der EU-Generaldirektor für Regionalpolitik und Stadtentwicklung, Marc Lemaître.
Direkte Förderung von Unternehmen möglich
Mit dem Geld sollen vor allem kleine und mittelständische Betriebe gefördert werden. Diese direkte Wirtschaftsförderung ist im Investitionsgesetz für die Kohleregionen des Bundes ausgeschlossen. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sieht in der Förderung aus dem JTF dann auch einen "notwendigen Lückenschluss". Unternehmen würden bei der Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle unterstützt. Die Erweiterung bestehender Produktionsstätten, der Aufbau neuer Betriebsstätten sowie die Modernisierung von Produktionsanlagen seien förderfähig, sagte Dulig.
Neben Wirtschaftsförderung sieht die Landesregierung auch Investitionen in eine nachhaltige Energie- und Rohstoffversorgung vor. Mit Geld aus dem JTF sollen außerdem die berufsbildenden Schulen gestärkt werden. Die Landesregierung verspricht sich davon, die Fachkräfte für die neu entstehenden Arbeitsplätze ausbilden und in den Regionen halten zu können. Auch Forschungsvorhaben können gefördert werden, wenn sie zum Umbau der Wirtschaft hin zu nachhaltigerer Produktion beitragen. Dass von der EU-Förderung auch Chemnitz profitiert, begründete Sachsens Minister für Regionalentwicklung, Thomas Schmidt (CDU), damit, dass im Chemnitzer Norden das größte Braunkohlekraftwerk außerhalb der sächsischen Braunkohlereviere steht.
Geduldsprobe für die Macher in der Region
Der Görlitzer Landrat Stephan Meyer (CDU) lobte, dass aus dem JTF nun endlich auch Unternehmen Zuschüsse und Darlehen für Innovationen und Betriebserweiterungen erhalten können.
Ein Geburtsfehler des Strukturwandels von Bundesseite her wird damit kompensiert.
Meyer beklagte aber, wie lange es dauert, bis Fördergeld für den Strukturwandel in der Region ankommt. Vier Jahre nachdem der Kohleausstieg beschlossen wurde, seien aus den Strukturstärkungsmitteln des Bundes erst zehn Prozent der Fördermittel bewilligt oder ausgezahlt. Mit Blick auf die Millionen, die die EU in die Region gibt, sagte Meyer: "Es wird noch eine Weile brauchen, ehe das Geld ankommt."
Konkrete Förderrichtlinien erst nächstes Jahr fertig
Tatsächlich ist noch nicht klar, zu welchen Bedingungen und wofür genau Unternehmen und Institutionen eine Förderung aus JTF-Mitteln beantragen können. Regionalentwicklungsminister Schmidt sagte, dass in vier Ministerien derzeit Förderrichtlinien dazu erarbeitet werden, wie das EU-Geld verteilt werden soll. Erst im zweiten Quartal 2023 werden Unternehmen Förderanträge an die Sächsische Aufbaubank stellen können, kündigte der Minister an.
Das sorgt bei den rund 100 Unternehmerinnen und Unternehmern, Vertretern der Wirtschaft und Kommunen, die zur Auftaktveranstaltung nach Weißwasser gekommen waren, für Enttäuschung. "Ich hatte mir erhofft, dass erklärt wird, wie und wofür Anträge gestellt werden dürfen und das im Januar erste Anträge eingereicht werden können", sagt die Geschäftsführerin des Verpackungsproduzenten Packwell aus Schwepnitz, Bettina Voßberg. Der Betrieb gehört zu einem Großunternehmen. Deshalb ist Voßberg unsicher, ob Packwell überhaupt Fördergeld aus dem JTF beantragen darf.
Es fehlt an Wertschätzung für die Unternehmen, die sich engagieren und etwas voranbringen wollen.
Ein Jahr Arbeit für eine Absage
Bettina Voßberg wünscht sich außerdem Ansprechpartner, mit denen sie sich zur Entwicklung eines Förderprojekts austauschen kann. Ein Jahr lang hatte Packwell mit der TU Dresden an einem Konzept für ein Innovationszentrum zur Produktion von Wellpappe und zum Aufbau einer Kreislaufwirtschaft im Verpackungswesen gearbeitet. Es sei ihnen darum gegangen, lokale Wertschöpfungsketten aufzubauen. "30 Akteure waren daran beteiligt", schildert Voßberg. Der Förderantrag an ein Bundesprogramm sei schließlich ohne Begründung abgelehnt worden. "Wir haben keine Information dazu erhalten, warum unser Projekt nicht gefördert wird", sagt die Chefin von Packwell und stellt fest: "Es fehlt an Wertschätzung für die Unternehmen, die sich engagieren und etwas voranbringen wollen."
Unternehmer fordert "hemdsärmlige" Lösung
Niedrigere Hürden für die Beantragung der EU-Mittel fordert auch Wolfram Kreisel, Chef eines Unternehmens für Anlagenbau aus Krauschwitz. "Die Unternehmen in unserer Region sind vergleichsweise klein von der Mitarbeiterstärke her. Die haben keine eigenen Stabsstellen, die zur Bearbeitung von Fördermittelanträgen zur Verfügung stehen", betont Kreisel. Die Förderung müsse deshalb so pragmatisch wie möglich sein. "Das sollte so hemdsärmlig gelöst werden, wie es denn juristisch möglich ist." Außerdem befürwortet der Unternehmer Zwischenschritte bei der Auszahlung des Fördergelds. Die kompletten Investitionskosten vorzustrecken, dazu seien viele kleine und mittelständische Unternehmen in den Braunkohlerevieren nicht in der Lage, sagt Wolfram Kreisel.
DGB: Fachkräfte-Mangel stärker in den Blick zu nehmen
Bei aller Diskussion um Wirtschaftsförderung sieht Marko Schmidt vom Deutschen Gewerkschaftsbund den Fachkräftemangel in der Lausitz bislang zu wenig berücksichtigt. In der Region fehlen schon jetzt tausende Arbeitskräfte. Packwell in Schwepnitz zum Beispiel kann bis zu zehn Prozent seiner Stellen nicht besetzen. Es müsse deshalb mehr in die Attraktivität für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer investiert werden, fordert Marko Schmidt. "Da hätte ich mir mehr gewünscht – auch vom JTF. Dass Aspekte der guten Arbeit mehr verankert werden – von der Tarifangleichung bis zur Tarifbindung." Schmidt rechnet vor: Im Landkreis Görlitz liege der Medianlohn bei 2.500 Euro, in Dresden bei 3.200 Euro und im rheinischen Revier bei 3.500 Euro. "Wenn ich mir als junger Mensch Gedanken mache, wo ich meine Ausbildung machen möchte, wo suche ich mir eine Arbeit… Da sind solche Aspekte relevant", bekräftigt der DGB-Vertreter.
MDR (mak)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 14. November 2022 | 16:30 Uhr