Antragsstau in Behörden Drei Monate Warten auf Elterngeld: Görlitz Schlusslicht in Sachsen

17. Dezember 2022, 14:21 Uhr

Wer staatliche Hilfe beantragen will, braucht derzeit viel Geduld und nach Möglichkeit ein finanzielles Polster. Diese Erfahrung machen derzeit viele junge Eltern im Landkreis Görlitz, die auf Elterngeld warten. Denn hier dauert es besonders lang. Beim Wohngeld sieht es in Görlitz, aber auch den anderen Landkreisen in Sachsen, nicht viel besser aus. Durch die Wohngeldreform könnten sich die Probleme für die Behörden und damit auch die Antragsteller weiter verschärfen.

85 Tage - so lange warteten Väter und Mütter im Landkreis Görlitz in den ersten drei Quartalen dieses Jahres durchschnittlich, bis ihre Elterngeldanträge bewilligt wurden. Das hat das Sozialministerium Sachsen auf Anfrage von MDR SACHSEN mitgeteilt. Das Landratsamt nannte Ende November sogar eine Wartezeit von 90 Tagen. Sachsens östlichster Landkreis ist damit Schlusslicht im Freistaat, Eltern müssen hier am längsten auf ihren Elterngeldbescheid warten.

Landkreis Nordsachsen besonders fix beim Elterngeld

Zum Vergleich: Im Durchschnitt dauerte die Antragsbearbeitung ab Vollständigkeit der Unterlagen bis zum Erstbescheid von Januar bis September 2022 in Sachsen 54 Tage - sechs Tage mehr als letztes Jahr. Die kürzeste durchschnittliche Bearbeitungsdauer hatte laut Sozialministerium dabei in diesem Zeitraum der Landkreis Nordsachsen mit 26 Tagen.

Antragsteller mit komplizierten Regeln oft überfordert

Die lange Bearbeitungsdauer liegt laut Landratsamt Görlitz "im Elterngeldrecht selbst begründet". Konkret nennt die Behörde "die zunehmende Vielzahl an Wahl- und Kombinationsmöglichkeiten", etwa die Einführung von Elterngeld Plus und Partnerschaftsbonus oder Corona-bedingte Ausnahmeregelungen. Die Antragsteller seien "mehr und mehr von der Vielzahl an Wahl- und Kombinationsmöglichkeiten überfordert" und bräuchten mehr Beratung. 

Dazu kämen "Elterngeldfälle mit einer bi- oder sogar trilateralen Verquickung". Durch sprachliche Barrieren erfahre die Bearbeitungsdauer im Vergleich zu den anderen Elterngeldfällen "eine Vervielfachung".

Aus der Begründung des Landratsamtes Görlitz "Auch bei Elterngeldfällen mit einer bi- oder sogar trilateralen Verquickung (= sogenannte 'EU-Fälle') ergeben sich unverändert sehr hohe Anforderungen durch Individualität und Komplexität, die von sprachlichen Barrieren bei persönlichen und telefonischen Kontakten, bei ausländischen Dokumenten und Nachweisen sowie der Kommunikation mit den 'ausländischen Elterngeldstellen' flankiert werden, sodass die Bearbeitungsdauer im Vergleich zu den anderen Elterngeldfällen eine Vervielfachung erfährt." Landratsamt Görlitz

Heizkostenzuschuss und Wohngeldreform sorgen für Antragsflut

Auch beim Wohngeld ist die Bearbeitungsdauer derzeit im Landkreis Görlitz hoch: Nach Angaben des Landratsamtes liegt sie derzeit im Durchschnitt bei etwa zwölf Wochen. Gegenüber dem Vorjahr hat sie sich demnach um vier Wochen verlängert und gegenüber 2020 sogar verdoppelt.

Dieses Problem betrifft auch andere Landkreise in Sachsen. Das Ministerium für Regionalentwicklung teilt dazu auf Nachfrage mit: "Bei den großen Wohngeldbehörden mit einer Vielzahl von Antragstellern" betrage die durchschnittliche Berabeitungsdauer der Wohngeldanträge derzeit "mindestens zwei bis drei Monate", bei kleineren Wohngeldbehörden liege sie teilweise unter einem Monat, mit "ansteigender Tendenz."

Münzen und Stift auf Wohngeldantrag
Weil die Zahl der Wohngeldberechtigten steigt, gehen auch bei den Behörden in Sachsen deutlich mehr Anträge ein. Bildrechte: IMAGO / Andreas Gora

Ursache ist laut Ministerium nach "Rückmeldung verschiedener Wohngeldbehörden" eine seit Monaten stark ansteigende Anzahl von Wohngeldanträgen. Diese sei auf die vom Bund angekündigten Leistungsverbesserungen durch die Wohngeldreform zurückzuführen sowie den vom Bund angekündigten zweiten Heizkostenzuschuss. Denn Voraussetzung für dessen Bezug ist unter anderem der Bezug von Wohngeld. 

Die Wohngeldreform - 1,4 Millionen zusätzliche Haushalte mit Wohngeldanspruch

Die Wohngeldreform sorgt deshalb für einen erheblichen Mehraufwand bei den Behörden, weil sich durch sie der Kreis der Menschen mit Wohngeldanspruch mehr als verdreifacht: Nach Angaben der Bundesregierung können ab 2023 rund zwei Millionen Haushalte Wohngeld erhalten, bisher sind es rund 600.000. Das bedeutet: Rund 1,4 Millionen Haushalte mit kleinen Einkommen erhalten durch die Reform erstmalig oder erneut einen Wohngeldanspruch. Laut Bundesregierung sind dadurch etwa 380.000 Menschen künftig nicht mehr auf Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II angewiesen. Mit der Reform soll der Auszahlungsbetrag von durchschnittlich rund 180 Euro pro Monat auf rund 370 Euro pro Monat steigen.

Auch das Landratsamt Görlitz gibt "den stetig steigenden Antragseingang aufgrund der angekündigten Wohngeldreform 2023 und des angekündigten Heizkostenzuschusses" als Grund für die lange Bearbeitungszeit an. 

Zulauf bei Beratungsstellen wegen finanzieller Notlagen

Auch im Landkreis Bautzen hat sich laut Landratsamt die Bearbeitungsdauer von Wohngeldanträgen in den letzten Jahren auf derzeit zwölf Wochen verdoppelt. Grund dafür sei, dass "Personal eingespart wurde, neue Gesetzlichkeiten hinzukamen und das Antragsverfahren zunehmend komplexer wurde".

Viele Menschen bringen die langen Wartezeiten auf Eltern- oder Wohngeld in finanzielle Schwierigkeiten. Anja Salditt von der Schwangerschaftsberatungsstelle der Caritas in Görlitz berichtet, es seien schon einige Frauen zu ihr in die Beratung gekommen, die in eine finanzielle Notlage geraten waren, weil sie sehr lange auf die Bearbeitung ihres Wohngeldantrages warten mussten. In Bezug auf Elterngeld sei ihr dieses Problem in ihrer Beratungspraxis bisher allerdings noch nicht begegnet.

Bautzen: Pessimistische Prognose für das Jahr 2023

Beim Landratsamt Bautzen wagt man auch schon eine Prognose für das nächste Jahr: Die Bearbeitungsdauer bleibe voraussichtlich bei mindestens zwölf Wochen. Durch die steigenden Antragszahlen aufgrund der Wohngeldreform seien "erhöhte Personalressourcen" erforderlich. Diese würden zwar eingesetzt werden, aber es sei auch eine "umfangreiche Einarbeitungszeit" notwendig. "Und das bei einem überaus hohen Antragssturm ab Januar 2023".

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 14. Dezember 2022 | 18:47 Uhr

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