Tiny House Urlaub in der Badebox im Herzen von Kamenz
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06. Juli 2024, 14:12 Uhr
In einem idyllischen Gärtchen im Zentrum von Kamenz versteckt sich ein neues, kleines Feriendomizil. Die Vermieter knüpfen mit ihm an dem Trend zum sogenannten Tiny House an. Auch, weil ihre große Vision noch einiges an Zeit einfordert.
Anne Hasselbach sitzt auf der restaurierten gusseisernen Badewanne und strahlt. Der Duft von frischem Holz liegt in der Luft, die Sonne scheint durch eine überdimensionale Fensterfläche auf kleine Regale und ein Doppelbett im Raum. Es ist vollbracht: Zwei Jahre sind von der Idee bis zur Einweihung vor wenigen Wochen vergangen. Jetzt ist die Badebox als Mini-Ferienwohnung in der Kamenzer Altstadt in der Vermietung.
Badebox in Anlehnung an die alte Baderei
"Die Badebox heißt deshalb so, weil wir uns hier in der alten Baderei von Kamenz befinden", erklärt die Kamenzerin den ungewöhnlichen Namen der quaderförmigen Hütte. Die alte Baderei - das ist ein altes Gebäudeensemble auf demselben Grundstück an der Pulsnitzer Straße. Es ist überliefert, dass sich hier schon im Mittelalter eine öffentliche Badestube befand.
Historische Badestube: Dampfbäder, Haarschnitt, Aderlass
Bei der Baderei an der heutigen Pulsnitzer Straße 32 handelte es sich grundsätzlich um eine Einrichtung zur Pflege des Körpers, wie der Kamenzer Stadtarchivar Thomas Binder erklärt. "Wobei darunter nicht nur das Waschen selbst zu verstehen ist, sondern auch die Möglichkeit von Dampf- und Schwitzbädern oder das Schneiden der Haare, des Bartes und der Nägel durch den Bader beziehungsweise Barbier."
Sogar der Aderlass, das Schröpfen, einfache Wundbehandlung und die niedere Chirurgie seien praktiziert worden. Ein Eintrag im ältesten Kamenzer Stadtbuch über die Baderei ist laut Binder auf den 28. Dezember 1405 datiert.
Uralte Eibe im Herzen des Anwesens
Hasselbach hatte mit ihrem Mann die heruntergekommene Baderei gekauft, um ihr wieder Leben einzuhauchen. Auch wenn an den Gebäuden noch viel zu tun ist, sind die ersten Räume sowie der Hinterhof samt Garten längst zu einer Wohlfühloase geworden, wo auch regelmäßig Veranstaltungen stattfinden. In deren Mitte steht der wohl älteste Baum von Kamenz. Es handelt sich um eine Eibe, deren Alter der Historiker Binder auf mindestens 600 bis 700 Jahre schätzt.
Es werde noch lange dauern, bis wir das gesamte Objekt revitalisiert haben, sagt Hasselbach. "Deshalb haben wir uns überlegt, hier ein kleines Tiny House in den Garten zu stellen." In der Badebox können nun Gäste mit kleinem Gepäck übernachten und von hier aus Kamenz und die Umgebung erkunden.
Alte Baderei in Kamenz (zum Aufklappen)
* Die Kamenzer Badestube war eine Einrichtung zur Körperpflege.
* Hier wurde sich nicht nur gewaschen, sondern es wurden Dampf- und Schwitzbäder, das Haareschneiden und Bartscheren angeboten.
* Die Beliebtheit der Badestuben führte dazu, dass die Besucher lange dort verweilten und auch Speisen und Getränke zu sich nahmen.
* Die Nutzung der Baderei zog Gebühren nach sich: Wie eine in Stolpen ausgestellte und auf den 31. Juli 1396 datierte Urkunde beschreibt, wurde die Erhebung dieses Zinses auf die Badestube ("stuba balnei in opido Kamencz") für die Errichtung eines Altars in der Pfarrkirche verwandt.
* Um mit Kosten verbundene Annehmlichkeit aber auch armen Menschen regelmäßig zu ermöglichen, kam es zur Stiftung sogenannter Seelenbäder. Ein solches Seelenbad auf der Kamenzer Badestube ist für den 28. Dezember 1405 verbirgt. In dieser überlieferten Stiftung aus dem ältesten Kamenzer Stadtbuch wird auch die genaue Lage der Badestube festgehalten; sie befindet sich in der Wollenwebergasse - die heutige Pulsnitzer Straße.
* Über die Jahre verkam die eigentliche Funtktion der Badestuben. Ihnen haftete zunehmend der Ruf von Freudenhäusern an, da sich der Aufenthalt neben dem Baden und Saunieren vor allem auf das Essen und Trinken bestimmt war. Gerade der Genuss alkoholischer Getränke sorgte für den freizügigen Umgang zwischen den Geschlechtern.
* Um 1500 begann der Niedergang der Badestuben; einerseits begründet durch den Anstieg von Geschlechtskrankheiten, deren Ausbruchsherd in die Badestuben verortet wurde, und andererseits durch die aufkommende Sittenstrenge und Sexualmoral des Protestantismus.
* In Kamenz vollzog sich dieser Bedeutungsverlust über mehrere Jahrhunderte. Noch für das ausgehende 16. Jahrhundert findet sich in den Beständen des Stadtarchivs eine Badeordnung, die die Aufgaben des Baders und die von ihm zu erhebenden Gebühren für die Nutzung der Baderei regelt.
* Spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestätigt der Rat die Betreibung einer Branntweinbrennerei in der Baderei und damit zugleich die Einrichtung einer Schankwirtschaft.
* Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Baderei im Besitz des Arztes und Chirurgen Johann Heinrich Warnatz, der im nahegelegenen Barmherzigkeitsstift arbeitete.
* Für kurze Zeit - um 1835 - nutzte dessen Sohn Gustav Heinrich Warnatz das väterliche Anwesen als seine Arztpraxis.
* Noch bis weit in die DDR-Zeit hinein wurden in der Baderei auf der Pulsnitzer Straße die Kamenzer Bürgerschaft und seine Gäste bewirtet.
Quelle: Stadtarchiv Kamenz
MDR
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 09. Juli 2024 | 05:30 Uhr