Migration Hoyerswerda: Kritik und offene Fragen nach Abschiebung von Pakistaner
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28. Juni 2023, 10:22 Uhr
Der Pakistaner Faisal Rehman lebte mehr als sieben Jahren in Deutschland, doch vor rund zwei Wochen wurde er aus Sachsen abgeschoben. Unter einem Vorwand soll er ins Gesundheitsamt gelockt worden sein, wo die Polizei ihn überraschte. Grüne, Sächsische Ärztekammer und die Stadt kritisieren das Vorgehen - sollte es sich so ereignet habe. Noch ist allerdings vieles unklar. Ein Fragenkatalog an das Innenministerium könnte aber in den nächsten Wochen für Aufklärung sorgen.
- Ein in Sachsen lebender Pakistaner soll mithilfe eines vorgetäuschten Termins beim Gesundheitsamt abgeschoben worden sein. Das Landratsamt Bautzen teilt mit, das Gesundheitsamt Hoyerswerda habe keinen Termin mit dem Betroffenen vereinbart.
- Die Landesärztekammer und die Stadt Hoyerswerda kritisieren den vom Flüchtlingsrat geschilderten Vorgang.
- Die Landesdirektion Sachsen verweist darauf, dass der Mann seit 2018 ausreisepflichtig gewesen sei.
"Hallo Faisal, Du hast morgen einen Termin beim Gesundheitsamt, sie wollen Blut abnehmen. IST WICHTIG." Eine Mail mit diesem Inhalt bekam der Pakistaner Faisal Rehman am 12.06.2023 von einer Sozialarbeiterin. Sie liegt MDR SACHSEN vor.
Einen Tag später wurde Rehman offenbar im Gesundheitsamt Hoyerswerda von der Polizei aufgegriffen. Noch am selben Tag sei er abgeschoben worden. So stellen er und der Sächsische Flüchtlingsrat den Fall dar.
Vorgetäuschter Termin beim Amt?
Den genauen Ablauf beschreibt Faisal Rehman im Gespräch mit MDR SACHSEN: Er sei verspätet um 11:20 Uhr zu dem Termin erschienen. Eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes habe ihn gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Eine Minute später sei die Polizei in den Raum gekommen und habe ihn festgenommen, als hätte sie in dem Amt auf ihn gewartet. Rehman lebte seit 2015 in Deutschland, seit der Abschiebung hält er sich nach eigenen Angaben in Pakistan auf.
Flüchtlingsrat spricht von skandalösem Vorfall
Der Sächsische Flüchtlingsrat geht davon aus, dass Rehman in das Amt "gelockt" wurde, "nur um ihn abzuschieben". "Dabei hatte dieser bereits im Januar einen Antrag auf Chancenaufenthalt gestellt, aber keinen Bescheid noch andere Rückmeldung darüber erhalten", heißt es in einer Erklärung des Flüchtlingsrates. Dieser bezeichnete das Vorgehen als skandalös - auch weil Sozialarbeiter, die in der Gemeinschaftsunterkunft tätig waren, in der Rehman lebte, in den Fall hineingezogen worden seien. "Sie teilten dem Betroffenen den Termin zur Blutabnahme mit, welche niemals stattfand. Damit waren indirekt Menschen beteiligt, die eigentlich Geflüchtete unterstützen", heißt es weiter.
Was ist das sogenannte Chancenaufenthaltsrecht?
Seit dem 1. Januar 2023 können laut Bundesinnenministerium gut integrierte Menschen, die seit einigen Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht erhalten. In dieser Zeit sollen sie eine faire Chance erhalten, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Dazu gehört beispielsweise, dass sie ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst sichern können oder die deutsche Sprache beherrschen. Um das Aufenthaltsrecht zu erlangen, müssen die Betroffenen einige Voraussetzungen erfüllen, die auf der Internetseite der Bundesregierung aufgelistet sind.
Landratsamt: "Es gab keinen Termin auf dem Amt"
Während für den Flüchtlingsrat der Fall klar ist, scheint es für die Behörden noch Unklarheiten zu geben. Von einem Termin beim Gesundheitsamt will das Landratsamt Bautzen auf Nachfrage von MDR SACHSEN nichts wissen. Es sei vonseiten des Amtes kein Termin mit Rehman vereinbart worden. Blutabnahmen würden so spät auch gar nicht stattfinden. Der Vorgang werde zurzeit geprüft.
Die Grünen fordern Aufklärung
Auch die Grünen im Sächsischen Landtag wollen für Aufklärung sorgen und haben nach eigenen Angaben einen Fragenkatalog an das Innenministerium geschickt. Die Abgeordnete Petra Cagalj Sejdi will vom Ministerium wissen, ob der Mann tatsächlich zu einem fingierten Termin einbestellt wurde und wie dieses Vorgehen begründet wird. Außerdem fragte sie nach, ob abzuschiebende Personen häufiger auf diese Weise zu Behördenterminen geladen werden. Bereits vergangene Wochen hatte Sejdi das Vorgehen in dem Fall beim Kurznachrichtendienst Twitter deutlich kritisiert: "Einen kranken Mensche beim Arzt abzuschieben widerspricht jeglicher Menschlichkeit."
Kritik von Landesärztekammer
Die Art, wie die Abschiebung mutmaßlich zustande gekommen ist, sorgt auch bei der Landesärztekammer für Kritik. Diese teilte am Montag mit, sollte Rehman zu solch einem Termin "gelockt" worden sein, zerstöre das nicht nur das Vertrauensverhältnis in öffentliche Behörden, sondern vor allem in die Gesundheitsämter.
"Wenn von den Polizeibehörden diese Einrichtungen ohne deren Wissen benutzt werden, um Asylbewerber abschieben zu können, werden kranke Menschen aus Angst vor polizeilichen Maßnahmen dort nicht mehr zum Arzt gehen und Hilfe in Anspruch nehmen", erklärte der Präsident der Landesärztekammer, Erik Bodendieck.
Dies könne im Einzelfall zu gravierenden gesundheitlichen Folgen führen, belaste das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis und sei nicht hinnehmbar. Eine Einbeziehung von medizinischen Einrichtungen in derartige Polizeimaßnahmen dürfe sich nicht wiederholen.
Kritik auch von Stadt Hoyerswerda
Auch die Stadt Hoyerswerda kritisierte das Vorgehen. Nach Angaben der Stadtverwaltung sei der Pakistaner in Hoyerswerda gut integriert gewesen und habe sich für ein gutes Zusammenleben engagiert - etwa bei der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge.
"Wenn es sich so oder ähnlich verhält, wie bisher berichtet, distanzieren wir uns nachdrücklich davon. Niemand darf zum Zwecke der Abschiebung überrumpelt werden. Dies widerspricht nicht nur dem Landesrecht, sondern auch den Menschenrechten." Auch diejenigen, die Deutschland wieder verlassen müssten, gelte es würdevoll zu behandeln.
Seit 2018 ausreisepflichtig
Für die Landesdirektion Sachsen, die für Abschiebungen aus dem Freistaat zuständig ist, stellt sich die Situation allerdings anders dar. Ein Sprecher der Landesdirektion erklärte im Gespräch mit MDR SACHSEN: "Kommt ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer seiner Ausreisepflicht nicht nach, muss er grundsätzlich jederzeit und nahezu an jedem Ort mit seiner zwangsweisen Rückführung rechnen."
Den Angaben zufolge sei Rehman nach einem "erfolglosen Klageverfahren" seit 2018 ausreisepflichtig gewesen. Das heißt, er hätte Deutschland nach Angabe der Behörde eigentlich seit mehreren Jahren verlassen müssen. Die Frist zur freiwilligen Ausreise habe er verstreichen lassen. Die Landesdirektion sei daher verpflichtet, die Ausreisepflicht zwangsweise durchzusetzen. Eigenes Ermessen stehe der Behörde nicht zu. Zudem habe der Betroffene sich "nur sporadisch" in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufgehalten.
Laut Landesdirektion handelte es sich um den ersten Abschiebeversuch im Fall Rehman. Den Vorgang wollte die auf Nachfrage aber nicht bestätigen, sondern verwies auf "laufende Ermittlungen".
Offenbar keine Chance auf Aufenthaltsrecht für Rehman
Die Landesdirektion teile auf Anfrage von MDR SACHSEN außerdem mit, dass der Antrag auf Chancenaufenthaltsrecht eine Abschiebung nicht grundsätzlich verhindere: "Ein ersichtlich aussichtloser Antrag nach § 104c Aufenthaltsgesetz steht der Rückführung nicht entgegen." Zudem habe das Verwaltungsgericht Dresden bereits am 13. Juni 2023 entschieden, dass die Voraussetzungen für das Chancenaufenthaltsrecht in Fall Rehman nicht gegeben waren.
In der Erklärung der Landesdirektion heißt es weiter: "Für einen erfolgreichen Antrag auf Erteilung des Chancenaufenthaltes verlangt das Gesetz, dass sich der Betroffene über mehr als fünf Jahre ununterbrochen geduldet bzw. gestattet in Deutschland aufgehalten hat. Daran fehlte es hier offensichtlich, weil der Betroffene in dem möglichen Zeitraum über insgesamt mehr als vier Monate untergetaucht war."
Transparenzhinweis In der Passage zum Sächsischen Flüchtlingsrat hatten wir den Rat zitiert, dass Sozialarbeiter unwissentlich in den Fall hineingezogen worden seien. Da der Flüchtlingsrat seine Pressemitteilung diesbezüglich korrigiert hat, haben auch wir "unwissentlich" gestrichen.
MDR (jwi)/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 26. Juni 2023 | 10:30 Uhr