Vorschlag des Kanzlers Forderung nach weniger Frührentnern: Zustimmung in Sachsen-Anhalt – aber nicht nur
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13. Dezember 2022, 12:34 Uhr
Früher in Rente gehen und sich nicht bis 67 abmühen – diese Option ist für viele in Deutschland verlockend. Möglich macht es die "Rente mit 63", die 2014 eingeführt wurde. So können Menschen früher aus dem Berufsleben ausscheiden. Hunderttausende haben in der Vergangenheit davon Gebrauch gemacht. Bundeskanzler Olaf Scholz fordert nun weniger Frühverrentungen. In Sachsen-Anhalt bekommt er dafür viel Zuspruch – aber nicht nur.
Der Vorschlag von Kanzler Olaf Scholz (SPD), die Zahl der Frührentner zu verringern, stößt bei Politik und Wirtschaft in Sachsen-Anhalt auf sehr unterschiedliche Reaktionen. CDU-Landeschef Sven Schulze sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Montag, die Rente mit 63 sollte grundsätzlich hinterfragt werden. Anderenfalls kollabiere mittel- bis langfristig das Rentensystem. Allerdings müsse branchenspezifisch unterschieden werden: Wer sein Leben lang körperlich schwer arbeite, müsse anders behandelt werden als eine Bürokraft.
Wirtschaftsminister Schulze: "Demografisches Echo schlägt zu"
Schulze zufolge ist das Problem seit Jahren bekannt. Vor neun Jahren habe die Partei von Kanzler Scholz die Rente mit 63 als sozialdemokratisches Prestige-Projekt durchgedrückt. Jetzt schlage das demografische Echo endgültig zu und das Kanzleramt wache auf. "Dieser Reformvorschlag geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Aber er kommt viel zu spät. Die rückläufige Zahl an Fachkräften ist für unsere Wirtschaft schon jetzt ein gewaltiges Problem. Im Jahr 2040 stehen uns gegenüber 2019 allein in Sachsen-Anhalt etwa ein Viertel weniger erwerbsfähige Personen zur Verfügung."
Linke sieht "Schlag ins Gesicht" von Arbeitnehmern
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende, Cornelia Lüddemann, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, sie sei eher für ein flexibles Renteneinstiegsalter. "Es muss anerkannt werden, dass beispielsweise eine Arbeit auf der Intensivstation im Schicht-System oder im praktischen Baugewerbe körperlich anstrengender sei als etwa ein Bürojob mit Homeoffice.
Linke-Fraktionschefin Eva von Angern sprach von einem "Schlag ins Gesicht vieler Arbeitnehmer. MDR SACHSEN-ANHALT sagte sie, der Vorschlag von Scholz sei für die SPD eine weitere Abkehr von sozialdemokratischen Wurzeln. Den Fachkräftemangel zu Lasten der älteren Generation zu schultern, sei unsozial. "Wir brauchen mehr Investitionen in unsere jüngste Generation, in Bildung und die Bekämpfung der Kinderarmut."
FDP will unbürokratische Zuverdienstmöglichkeiten
Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Konstantin Pott, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, seine Partei stehe für ein flexibles Renteneintrittsalter. Die Lebensläufe seien so unterschiedlich, dem müsse man Rechnung tragen. Dabei müsse gelten: Wer länger arbeite, bekomme mehr und wer früher gehe, bekomme weniger Rente. Das sei fair. "Wer dann doch wieder arbeiten oder sich etwas dazuverdienen möchte, muss auch das ohne Weiteres und ohne bürokratische Zuverdienstgrenzen machen können. So werden auch individuelle Teilrentenmodelle ganz einfach."
Handwerks- und Handelskammer fürchten zusätzlichen Fachkräftemangel
Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Magdeburg, Klaus Olbricht, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, die Rente mit 63 konterkariere die bisher erfolgreichen Anstrengungen unserer Unternehmen, gerade wegen der schlechten demografischen Aussichten ältere und erfahrene Beschäftigte an den Betrieb zu binden.
In den meisten Fällen gingen gut ausgebildete Fachkräfte in den vorzeitigen Ruhestand, die dringend gebraucht würden. "Wir kämpfen bereits darum, ausländische Fachkräfte nach Sachsen-Anhalt zu holen. Auf der anderen Seite werden Tausende Menschen in Rente geschickt. Das passt nicht zusammen. Was wir brauchen, sind attraktive Anreize, die es ermöglichen, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten."
Handwerkskammer: "Weiterarbeiten muss sich lohnen"
Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, Burghard Grupe, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, das Handwerk habe schon jetzt ein massives Fachkräfteproblem.
Freiwilliges Weiterarbeiten muss sich für den Arbeitnehmer aber lohnen.
Das Problem werde sich noch verstärken, wenn die Babyboomer-Generation in den kommenden Jahren in Rente gehe. Es müsse aus Arbeitgebersicht also alles getan werden, um dem Arbeitsmarkt keine Fachkräfte zu entziehen. Dazu gehöre es auch, Frühverrentungen zu reduzieren. Die Unternehmen brauchten diese oft sehr erfahrenen und qualifizierten Fachkräfte.
Rentenkasse wird zusätzlich belastet
Durch Frühverrentung werde außerdem die Rentenkasse zusätzlich belastet, was dann die Betriebe und Arbeitnehmer über die ohnehin schon enorm hohen Lohnnebenkosten stemmen müssten. Hier sei eine weitere Steigerung nicht hinnehmbar. "Ohne ausreichende Fachkräfte im Handwerk wird Deutschland seine Ziele in Hinblick auf Energiewende, Elektromobilität, energieeffiziente Gebäudesanierungen usw. nicht erreichen können. Eine generelle Verlängerung der Altersgrenze für den Rentenbezug über das 67. Lebensjahr hinaus ist im Handwerk nicht zielführend. Freiwilliges Weiterarbeiten muss sich für den Arbeitnehmer aber lohnen.“
Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung gehen immer mehr Menschen in Deutschland bereits mit 63 oder 64 Jahren in Rente und damit deutlich vor der Regelaltersgrenze. Ökonomen und Arbeitgebervertreter fordern – nicht zuletzt zur Stabilisierung des Rentensystems – eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre.
Im Koalitionsvertrag haben die Ampelparteien aber vereinbart, das gesetzliche Renteneintrittsalters von derzeit 67 Jahren nicht anzuheben.
MDR (Lars Frohmüller, Oliver Leiste)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 12. Dezember 2022 | 17:00 Uhr
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