Lohn-Preisspirale Wie die Gewerkschaften die Inflation befeuern – oder eben auch nicht

13. März 2023, 20:14 Uhr

Nahrungsmittel, Energiepreise oder die Kosten für Urlaubsreisen steigen, während die Einkommen noch auf dem Vorkrisenniveau verharren. In die aktuellen Tarifrunden starten die Gewerkschaften mit zweistelligen Lohnforderungen. Wirtschaftsexperten warnen: Das könnte die Inflation weiter befeuern und zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Eine Analyse.

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Die allmonatlichen Arbeitslosenzahlen werden zwar noch immer regelmäßig auch in den MDR-Nachrichten verkündet, doch sie haben ihren politischen Schrecken verloren. Denn trotz Corona-Lockdown, Lieferkettenproblemen oder steigenden Preisen blieben auch in Sachsen-Anhalt die Arbeitslosenzahlen knapp an der Grenze zur Vollbeschäftigung. Dass sich daran etwas ändern könnte, scheint angesichts der vielfach beklagten Fachkräftelücke derzeit kaum vorstellbar zu sein. Doch mit Blick auf die aktuellen Gewerkschaftsforderungen und die Warnstreiks der letzten Wochen lohnt ein genauerer Blick auf die Probleme.

Zweistellige Lohnforderungen – wer soll das bezahlen

Die berühmte Lohnpulle war in den letzten Jahren eher mit Bier gefüllt, drei bis vier Prozent standen da auf dem Etikett. Jetzt setzen die Gewerkschaften auf hochprozentigere Forderungen und die Lohnpulle wird zur Likörflasche, denn mit 10 bis 15 Prozent Lohnzuwachs wird nunmehr in die Verhandlungen gestartet. Ökonomen blicken auf diese Situation mit einiger Skepsis. Wer ein Feuer bekämpfen will, dürfe kein Leichtbenzin verwenden, heißt es. Und ähnliches gelte für die Inflation, die man nicht versuchen sollte, mit mehr Geld einzudämmen.

Professor Andreas Knabe ist Volkswirtschaftler und beobachtet folglich die aktuelle Debatte mit einiger Skepsis: "Gerade wenn ich mir die Lohnforderungen jetzt anschaue, 10 bis 15 Prozent, das ist ja weit über dem, was wir an Inflation sehen. Die Inflationsrate liegt bei acht Prozent, die Produktivitätssteigerung liegt bei einem halben Prozent. Wenn man das alles einrechnet, würde man nur auf Lohnabschlüsse von achteinhalb Prozent kommen." Knabe warnt in diesem Zusammenhang vor einer Lohn-Preis-Spirale. Steigende Löhne könnten zu steigenden Preisen führen, was dann erneut zu steigenden Löhnen führen könnte, ein Kreislauf, der nicht ohne ökonomisches Risiko ist.

Verschiedene Lebensmittel liegen in einem Supermarkt in einem Einkaufswagen.
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Gewerkschaftsbund spricht von moderaten Forderungen

Sachsen-Anhalts Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Susanne Wiedemeyer, teilt diese Befürchtung nicht. Für sie steht fest, dass die Zeiten des Lohnverzichts vorbei sein sollten. Aus ihrer Sicht sind die aktuellen Lohnforderungen durchaus gerechtfertigt: "Es gab ja kaum echte Erhöhungen in den letzten Jahren, sondern eher nur Einmalzahlungen. Es ist dringend notwendig, dass bei dieser hohen Inflation die Menschen wieder einen Ausgleich für den Lohnverlust bekommen." Zudem hätten viele Großunternehmen, wie etwa der Düngemittelproduzent K+S mit dem Standort Zielitz trotz Corona und Krieg blendende Geschäfte gemacht.

Wir stellen fest, dass viele Arbeitnehmer bereit sind, den Arbeitsplatz zu wechseln in einen Betrieb, wo sie eben mehr Geld verdienen.

Susanne Wiedemeyer Landesvorsitzende des DGB in Sachsen-Anhalt

Susanne Wiedemeyer, stellv. DGB-Bezirksvorsitzende und Landesleiterin von Sachsen-Anhalt
Susanne Wiedemeyer, DGB-Landesleiterin von Sachsen-Anhalt, steht zu den Gewerkschaftsforderungen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

Dass die Beschäftigten deutlich mehr Geld erwarten, zeige sich auch in der gestiegenen Streikbereitschaft, so Wiedemeyer: "Die Menschen spüren, dass ihr Geld im Portemonnaie immer weniger wert ist und sie sich immer weniger dafür kaufen können. Und sie sind eher bereit, sich für ihre Forderungen einzusetzen und auch zu streiken." Zumal mit Blick auf den Fachkräftemangel sich inzwischen auch andere berufliche Möglichkeiten ergeben: "Wir stellen fest, dass viele Arbeitnehmer bereit sind, den Arbeitsplatz zu wechseln in einen Betrieb, wo sie eben mehr Geld verdienen." Das hätte man sich vor zehn Jahren, bei einer zweistelligen Arbeitslosigkeit kaum vorstellen können.

Zinsen als Wirtschaftsbremse

Wer mit dicken Taschen voller Geld einen Basar betritt, der muss sich nicht wundern, wenn plötzlich die Preise steigen. Deshalb muss in Inflationszeiten das Geld verteuert werden, und zwar durch höhere Zinsen. Der Effekt ist altbekannt und hatte schon während der Ölkrise in den 1970er Jahren unschöne Effekte. Denn auch damals handelten die westdeutschen Gewerkschaften hohe Löhne aus, so Andreas Knabe: "Das Öl war teurer, die Inflation stieg, die Kaufkraft der Arbeitnehmer sank. Damals versuchten die Arbeitnehmer, natürlich aus ihrer Sicht vollkommen nachvollziehbar, diese Entwicklung durch höhere Löhne auszugleichen."

Um den weiteren Zuwachs von Geld zu begrenzen, erhöhten damals die Notenbanken die Zinsen. Der Effekt dieser Maßnahme ist damals wie heute der gleiche und das zeigt sich derzeit besonders deutlich in der Bauwirtschaft. Der Verband der Bauindustrie Ost meldete für das Jahr 2022 einen Auftragsrückgang beim Wohnungsbau von rund 25 Prozent, auch als Folge der deutlich gestiegenen Baukredite.

Höhere Zinsen – höhere Arbeitslosigkeit

Häuser, die nicht gebaut werden, führen mittelfristig dazu, dass Bauleute trotz Fachkräftemangels arbeitslos werden. Um die Inflation zu dämpfen, sei das allerdings ein schmerzhafter Weg, so der Ökonom Knabe: "Durch die Zinserhöhungen wird die Nachfrage gedämpft, weil Unternehmen sich dann bei Investitionen zurückhalten. Die lässt dann die Arbeitslosigkeit steigen und soll so Lohndruck nehmen."

Im April letzten Jahres formulierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen ungewöhnlich deutlichen Satz für einen Politiker in seiner Position: "Wir werden ärmer werden." Mit einem solchen Spruch lässt sich natürlich nicht überzeugend in eine Tarifauseinandersetzung ziehen.

MDR (Uli Wittstock, Alisa Sonntag)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 12. März 2023 | 14:00 Uhr

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