Kleinstadthelden Sieben Linden in der Altmark: Wie ein Dorf nachhaltig lebt
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19. Mai 2020, 07:13 Uhr
In der Altmark entstand bereits 1997 ein Kleinod für Naturliebhaber und Freigeister. Als die ersten Bewohner auf das 100 Hektar große Grundstück neben Beetzendorf zogen, lebten sie zunächst in Bauwagen und sanierten ein altes Steinhaus. Seitdem ist die Gemeinschaft gewachsen und aus Stroh wurden weitere Häuser gebaut. Ein Besuch.
Als ich auf dem Parkplatz aus dem Auto steige, rieche ich es schon. Landluft. Gerade kommen Kinder von der Schule nach Hause, hüpfen und rennen ins Ökodorf Sieben Linden. An diesem Ort scheint die Welt ein Stückchen besser zu sein als anderswo.
Am Eingang wartet Jonas Duhme bereits auf mich. Doch bevor ich das Ökodorf betreten darf, soll ich mein Telefon in den Flugmodus schalten. Klare Regeln sind in der Gemeinschaft wichtig. So dürfen keine Autos in den Dorfkern und auch Tierhaltung ist nur sehr eingeschränkt möglich.
Nach der langen Fahrt in die Altmark holt mich ein Grundbedürfnis ein. Ich betrete einen Toilettenwagen, wie man ihn von Stadtfesten kennt, allerdings aus Holz. Noch etwas ist anders: Es gibt kein Wasser. Gespült wird die Trocken-Trenntoilette gar nicht, bei Bedarf werden Sägespäne hinterhergestreut.
Dadurch sparen die Bewohner sehr viel Wasser ein, was besonders in der trockenen Altmark ein großer Vorteil ist. Auch die in der Toilette anfallenden Hinterlassenschaften werden im Ökodorf als natürliche Rohstoffe gesehen. So wird das Grauwasser in einer Pflanzenkläranlage gereinigt und die Felder damit gegossen. Durch ihre nachhaltige Lebensweise gelingt es den Dorfbewohnern, nur 27 Prozent des bundesdeutschen Durchschnitts an Kohlenstoffdioxid-Emissionen zu verbrauchen
Treffpunkte: Dorfplatz und Lebensmittellager
Nun kann die Dorfführung beginnen. Duhme führt mich auf den Dorfplatz. Er ist leer. Das sei ungewöhnlich und eine Folge von Corona, sagt Duhme. Normalerweise tummeln sich hier Gäste, gerade bei strahlendem Sonnenschein. Da werde gesungen, gelacht und gequatscht, erzählt Duhme mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen. Ich kann es mir bildlich vorstellen.
Neben dem Dorfplatz steht das einzige Steingebäude im Dorf. Das Haus wurde liebevoll saniert und beherbergt einen Speiseraum, die Gemeinschaftsküche und das Lebensmittellager. Jeden Tag wird für alle Dorfbewohner frisch gekocht. Wer will, kann kommen, wer nicht möchte, kann sich daheim selbst versorgen. Normalerweise ist das gemeinsame Essen ein Treffpunkt für die Dorfbewohner, aktuell kann man die Speisen nur mitnehmen.
Preisliste, aber kein Zahlungsverkehr
Vor dem Gebäude stößt Eva Stützel hinzu. Sie ist Mitgründerin des Ökodorfs. Stolz führt sie mich in den Vorratskeller. Die massiven Steinmauern halten das Obst und Gemüse kalt und frisch. Auf einer Tafel steht, was erntefrisch aus dem Garten stammt. In Holzregalen werden Einmachgläser mit eingekochten Marmeladen und Gemüseaufstrichen gelagert. Eine Preisliste verdeutlicht, was die Produkte kosten würden.
Eva Stützel erklärt, dass das Ökodorf eine Genossenschaft mit rund 90 Mitgliedern ist. Durch den Genossenschaftsanteil werden die Lebensmittel finanziert und jeder kann sich nehmen, soviel er braucht. "Die Preisliste ist wichtig, um ein Gefühl für den Wert der Produkte zu bekommen", erzählt sie. "Nach 23 Jahren verliert man ein bisschen das Gefühl dafür, was Lebensmittel kosten." Angebaut wird das Obst und Gemüse auf fast drei Hektar Land von einem vierköpfigen Gärtnerteam. Zudem helfen nationale und internationale Freiwilligendienstleistende mit.
Haus aus Strohballen
Auf der anderen Seite des Dorfplatzes entsteht gerade ein neues Gebäude für Gäste. Leichte Reggaeklänge strömen uns entgegen. "Das sind unsere Reggeabauarbeiter", lacht Duhme und grüßt zwei junge Männer mit langen Dreadlocks. Die Bauarbeiter errichten ein neues Strohballenhaus. Es ist aufgebaut wie ein Fachwerkhaus, aber die Zwischenräume im Holzständerwerk werden nicht mit Ziegeln ausgefüllt, sondern mit gepresstem Stroh. Zugegeben, ich habe das noch nie gesehen, aber an den fertigen, mit Lehm und zum Teil Kalk verputzten Häusern wäre es mir kaum aufgefallen.
"Stroh ist ein sehr nachhaltiger Baustoff, wir können es quasi vom Nachbarn holen. Unser Ziel ist es, möglichst viele ökologische Produkte zu benutzen, damit man die Häuser im Idealfall in 100 Jahren wieder abreißen und liegen lassen kann, weil es die Umwelt nicht belastet", erzählt Jonas Duhme begeistert. Alle neuen Häuser im Dorf werden in der Strohballenbauweise errichtet. So auch das Meditationshaus. Es riecht etwas erdig, die durch den Lehm in sanften Formen verputzten Wände strahlen Wärme aus. Ich kann mir gut vorstellen, in so einem Haus sehr friedlich zu schlafen.
Miteinander reden und gemeinsame Lösungen finden
Trotz der Ruhe, die das Ökodorf ausstrahlt, kommt es auch hier zu Auseinandersetzungen. "Als ich hierhergekommen bin, dachte ich, ich habe endlich einen Ort gefunden, an dem alle gleich denken. Jetzt habe ich gelernt, dass zwar das Ziel sehr ähnlich ist, der Weg dahin aber sehr unterschiedlich aussehen kann", beschreibt Duhme das Gemeinschaftsleben. Doch die Dorfgemeinschaft habe gelernt, miteinander zu reden, unterschiedliche Ansichten zu tolerieren und gemeinsam Lösungen zu finden.
"Am Anfang waren wir der Meinung, dass wir Entscheidungen nur im Konsens treffen können. Das streben wir immer noch an, aber heute reicht uns eine zwei drittel Mehrheit aus, um etwas umzusetzen", fügt Stützel hinzu. Das Konzept scheint aufzugehen. Auf meinem Weg durchs Dorf wirken die meisten Bewohner sehr ausgeglichen. Beim Verlassen des Dorfes fühle ich in meiner ersten Wahrnehmung bestätigt: Hier ist die Welt etwas besser als in den großen Städten.
Quelle: MDR/jh