Ein Elefantenkopf
Bildrechte: MDR/Max Schörm

Podcast "Extrem rechts" Zum Nachlesen: Folge 4, Zurück auf der Straße

13. Juni 2023, 00:01 Uhr

Bevor es losgeht, ein Hinweis. In diesem Podcast geht es um rechtsextreme Hetze. Wir zitieren an einigen Stellen solche Aussagen, weil sie notwendig sind, um das Problem zu verstehen. Wenn Ihr Euch damit nicht wohl fühlt, hört Euch diesen Podcast bitte nicht oder nicht allein an.

Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat

Die Sneaker eines Mannes, der auf einem Autodach steht
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Ein Justizbeamter steht vor einer Sicherheitsschleuse.
Bildrechte: MDR/Max Schörm
Alle anzeigen (8)

Sprecherin und Sprecher: Jana Merkel und Thomas Vorreyer

00:22
Tierpfleger: "Sie dürfen gern auch einen Baum rüberschmeißen, wenn Sie das möchten."
Jana Merkel: "Thomas, wir dürfen auch einen Baum rüberschmeißen. Wollen wir das? Ich möchte das auf jeden Fall."
Tierpfleger: "Kann auch noch einen für die Herren hier rübergeben."
Jana Merkel: (lacht) "So, Thomas hat den Baum."
Thomas Vorreyer: "Ein Startkommando, oder?"
Tierpfleger: "Sie dürfen einfach schmeißen."
Thomas Vorreyer: "Ich darf einfach schmeißen. Guten Hunger!"
Jana Merkel: "Formschön den Baum geworfen." 

00:45
Was da raschelt und kracht - das ist ein Weihnachtsbaum. Mein Kollege Thomas Vorreyer hat ihn gerade ins Elefantengehege geworfen. Ja, richtig gehört: Elefantengehege. Thomas und ich dürfen heute Elefanten füttern, im Bergzoo in Halle. 

01:03
Thomas Vorreyer: "Die langen jetzt wirklich zu. Also die ersten Äste sind schon abgebrochen und im Mund verschwunden. Oder im Maul, sagt man ja."
Jana Merkel: "Na, das geht hier ruckzuck mit dem Verputzen der Weihnachtsbäume. Scheint zu schmecken. Das sind Nordmanntannen, wenn ich das richtig sehe."
Tierpfleger: "Ja, genau."

01:17
Ein Elefant hier im halleschen Zoo interessiert uns heute besonders: Tana. Die Elefantenkuh kaut gemütlich auf ihrer Nordmanntanne.

01:27
Jana Merkel: "Also Tana ist auf jeden Fall ein afrikanischer Elefant laut Beschilderung. Und die Sache mit Elefanten ist: Sie sind sehr ruhig. (lacht) Es ist nichts zu hören. Ich sehe sie, sie steht hier vor mir. Und kaut auf einem Ast, macht dabei quasi keine Geräusche."

01:45
2014 bekommt die stille Elefantendame Tana einen Paten. Ihr kennt das bestimmt: Zoos vergeben immer wieder sogenannte Tierpatenschaften. Jemand spendet Geld für ein bestimmtes Tier und wird damit dessen Pate. So passiert es im Juni 2014 auch bei Tana. Ein Geschäftsmann aus Halle übernimmt eine Elefantenpatenschaft für sie. Kosten: 2.500 Euro pro Jahr. Regionale Medien berichten, eine nette positive Geschichte aus der Stadt. Die Schlagzeile in der Bild-Zeitung lautet: 

02:17
Sprecher: "T-Shirt-Rebell gibt auf und investiert in Elefantin - Sven Liebig (sic) übernahm gestern die Patenschaft über Tana"

02:28
Ja, Sven Liebich. Der Rechtsextremist Sven Liebich.

02:23
Den nennt die Bild-Zeitung 2014 einen "T-Shirt-Rebellen", druckt einen Artikel über ihn inklusive Fotos: ein Porträt von Liebich in einem roten T-Shirt und ein Bild, auf dem Liebich mit diversen Broten unter dem Arm vor dem Elefantengehege steht. Ein Elefant reckt den Rüssel durch die Gitterstäbe. Nett sieht das alles aus. Sven Liebich, der spendable Elefantenpate. 

02:58
Und Liebichs Vorgeschichte als führender Neonazi in der Region? Davon steht da nichts. 

03:09
Wenn man den Zeitungsartikel so anschaut, dann scheint Liebich 2014 plötzlich ein normaler Geschäftsmann zu sein. Er führt ein Unternehmen, das T-Shirts, Tassen und so weiter bedruckt. Da ist keine Rede mehr von seinen früheren Geschäften, mit denen er rechtsextreme Musik und Szenekleidung verkauft hat. Liebich macht kräftig Marketing für sein neues Projekt, seinen Online-Shop. Und die Aktion mit der Elefantenpatenschaft ist beste Werbung für ihn.

03:39
Er macht damit aus einer Niederlage einen PR-Coup. Denn zuvor hat er vor Gericht einen Streit mit der Stadt Halle verloren. Das war, wie gesagt, 2014. Er hatte T-Shirts mit dem Wappen der Stadt bedruckt und verkauft. Weil das Wappen ein Hoheitszeichen ist, verbietet ihm die Stadt das. Liebich zieht vor Gericht - und verliert. Eine Berufung würde vermutlich viel Geld kosten - Liebich behauptet, dieses Geld würde er nun lieber für Elefantenkuh Tana spenden.

04:14
Nach all dem, was wir in Folge drei über Sven Liebich, seine Geschäfte, seine Führungsrolle in der Neonazi-Szene erfahren haben - da fragen wir uns nun: Wie war das möglich? Wie konnte er wenige Jahre später Elefantenpate werden, als netter Geschäftsmann von nebenan in der Zeitung auftauchen - ohne dass seine rechtsextreme Vorgeschichte überhaupt erwähnt wird? Wir, das sind mein Kollege Tim Schulz, ich, Jana Merkel und mein Kollege Thomas Vorreyer.

04:49
Auf dem besagten Foto in der Bild-Zeitung steht direkt hinter Liebich ein Mann mit einem Plakat. Es ist Marco Tullner von der CDU. 2014 ist er Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt. Später wird er Bildungsminister des Landes, sitzt heute als Abgeordneter im Landtag. 2014 steht also der CDU-Politiker Marco Tullner mit Sven Liebich vor dem Elefantengehege. Warum? Weil Tullner auch der Vorsitzende des Zoo-Fördervereins ist. Und der vergibt die Tierpatenschaften.

05:23
Thomas Vorreyer: "Schönen guten Tag. Morgen." 
Jana Merkel: "Sie wissen, wo es langgeht zu den Elefanten?"
Marco Tullner: "Ja, ja klar. Bin ja sozusagen hier … zu Hause wäre ein bisschen übertrieben. Wir sind ja nur der Förderverein, nicht der Zoo."

05:33
Wir treffen Marco Tullner, Anfang 2023 im Zoo. Wir wollen wissen, wie es dazu gekommen ist, dass damals ausgerechnet Sven Liebich Elefantenpate wurde. Wir zeigen Marco Tullner den Zeitungsartikel und die Fotos von damals.

05:47
Thomas Vorreyer: "Bild-Zeitung vom 18.07.2014: 'T-Shirt-Rebell gibt auf und investiert in Elefanten'."
Marco Tullner: "Ja."
Thomas Vorreyer: "Wenn Sie da das Foto sehen …" 
Marco Tullner: "Ich habe jetzt keine Brille auf, aber ich versuche, das mal groß zu machen. Ja, waren wir im Elefantenhaus, das ist richtig. Genau."
Thomas Vorreyer: "Da waren Sie mit dabei." 
Marco Tullner: "Ja." 
Thomas Vorreyer: "Haben Sie denn noch Erinnerungen an den Tag, oder?"
Marco Tullner: "Nee, nee." 

06:05
An den konkreten Tag könne er sich nicht mehr erinnern, erzählt er. Aber an Sven Liebich durchaus. Marco Tullner sagt: Damals, 2014, seien Patenschaften für große Tiere in Halle noch sehr selten gewesen. Weil sie besonders teuer sind.

06:20
Marco Tullner: "Und der hatte damals irgendwie, also kam als harmloses Unternehmen daher. Aber als dann der Name Liebich fiel, der damals schon … noch nicht so berühmt-berüchtigt (war), wie das heute der Fall ist, aber auch schon in Ansätzen. Und da gab es im Vorstand bei uns schon auch Bedenken: Ist das sozusagen jetzt legitim? Und haben dann beschlossen, uns mal mit ihm zu treffen. Und da gab er den Eindruck, das wäre sozusagen 'ne Jugendsünde. Oder irgendwie, er würde sich davon distanzieren. Und das haben wir da sozusagen damals auch für bare Münze genommen."

06:55
Von den Verfassungsschutzberichten über Liebich habe er damals nichts gewusst. Und die Patenschaft habe auch nur ein Jahr gedauert.

07:02
Marco Tullner: "Aber wir sind jetzt auch nicht sozusagen eine moralische Instanz, die jetzt irgendwie über Glaubhaftigkeit von Dingen … sondern aus dem Gespräch heraus ist das entstanden. Im Lichte von heute wäre das ein natürlich überhaupt kein Thema. Wir würden so eine Patenschaft heute nicht mehr abschließen."

07:17
Diese Episode mit der Elefantenpatenschaft zeigt, dass Sven Liebich es offenbar geschafft hatte, sich ein völlig neues Image zu verpassen. 2014 kann er sich dem Zoo-Förderverein, dem CDU-Politiker und der Bild-Zeitung als ganz normaler Chef eines ganz normalen Online-Shops verkaufen - der einfach etwas Nettes tun will. Für die Tiere, für den Zoo. Der sein Unternehmen nach vorne bringen will. Keine Spur mehr vom Neonazi, von Blut und Ehre, von NS-Merchandise und Hassmusik. Wirklich keine Spur?

07:55
Ihr hört: "Extrem rechts - Der Hass-Händler und der Staat". Ein ARD-Podcast des Mitteldeutschen Rundfunks mit Unterstützung des Rundfunks Berlin-Brandenburg. 

Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat

Die Sneaker eines Mannes, der auf einem Autodach steht
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Ein Justizbeamter steht vor einer Sicherheitsschleuse.
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Alle anzeigen (8)

Folge 4: Zurück auf der Straße 

08:12
Wir werden in dieser Folge untersuchen, wie Sven Liebich sich mehrfach häutet: vom Neonazi zum freundlichen Elefantenpaten und T-Shirt-Unternehmer - und dann zum bekanntesten Rechtsextremisten der Region. Der Woche für Woche seine Hetze auf Halles Marktplatz verbreitet. Der mit seinen Demos eine ganze Stadt herausfordert. Und noch für die nächsten 44 Jahre Demos angemeldet hat.

08:43
Wir müssen uns in dieser Folge auch mit einer komplizierten Frage befassen, die an den Grundfesten unserer Demokratie kratzt: Wie ist das mit der Versammlungsfreiheit? Mit diesem wichtigen Grundrecht? Kann man, darf man das einschränken, wenn es um rechtsextreme Demos geht? Oder muss eine Stadt, muss die Gesellschaft die Dauerbeschallung mit Hass und Hetze aushalten?

09:16
Fangen wir von vorn an: Die Elefantenpatenschaft ist nur eine von vielen Aktionen, die Liebich ab 2013 unternimmt. Offenbar immer mit dem Ziel, sich als harmloser Online-Händler zu präsentieren und seine Firma bekannt zu machen. 

09:32
Eine PR-Aktion jagt die nächste: 

  • Er versucht bei Demos gegen Hochschulsparpläne anzudocken - bietet dafür passende Protest-T-Shirts an. 
  • Im Stadtmagazin inseriert Liebichs Firma Werbung und Gewinnspiele - und verschenkt angeblich über 11.000 T-Shirts mit Halle-Motiven. 
  • Auf einer Party für Studienanfänger hängt über der Bar ein großes Werbeplakat von Liebichs Shop. 
  • Und die Firma macht ein Instagram-Profil auf: Da gibt es Bilder von Trikots für Fußballvereine und Kindermannschaften, T-Shirts für eine Jugendfeuerwehr, für ein Reiseunternehmen, ein Restaurant - und so weiter. Ob das wirklich alles echte Kunden und echte Aufträge sind, wissen wir nicht.

10:17
Aber 2013 ist Liebichs Firmen-PR in Halle quasi überall. Und er selbst gibt sich, als hätte er mit Rechtsextremismus nichts mehr am Hut. 

10:29
In der Mitteldeutschen Zeitung erscheint eine Art Porträt über einen ehemaligen Neonazi. Der Mann nennt sich in dem Artikel Henning Weber. Dahinter steckt aber Sven Liebich. Das ist für Leute, die ihn oder die Szene kennen, sofort offensichtlich. Und Liebich selbst bestätigt das später auch. In dem Zeitungsartikel erzählt er von seiner Zeit als Neonazi und davon, dass er angeblich ausgestiegen sei. Zitat:

10:56
"Es gibt keinen Tag, von dem Weber heute sagen würde, er sei der gewesen, an dem er beschloss, Schluss zu machen. Einen 'schleichenden Prozess' nennt er seinen Abschied aus der Szene (…)."
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 16.04.2013

11:06
Und weiter:

11:07
"(…) er hat auch kein Exit-Programm besucht und öffentlich abgeschworen. Sondern einfach aufgehört und festgestellt, dass seine Entscheidung richtig war."
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 16.04.2013

11:16
Diese Erzählung zieht Liebich für mehrere Jahre durch. 2016 erzählt er in einem Interview mit MDR exakt auch von seinem angeblichen Ausstieg. 

11:25
Sven Liebich: "Ich hatte einen Menschen kennengelernt, der mir sehr wichtig war und der mir dann gezeigt hat, dass ich da einen Haufen mir auch entgehen lasse, durch die viele Zeit, die ich da auch investiert habe. Aber damals hatte ich wirklich übelst viel Zeit investiert, für 'ne Randgruppenmobilisierung. Und das hielt ich dann auch für Zeitverschwendung."
Jana Merkel: "Also ging es gar nicht um die Inhalte, sondern um den zeitlichen Aufwand?"
Sven Liebich: "Zeitlicher Aufwand und auch um die Inhalte. Und ich hab mich mit Dingen beschäftigt, die wahrscheinlich nur fünf Prozent der Bevölkerung überhaupt interessiert hatten."
Jana Merkel: "Was macht Sie denn zum echten Aussteiger?"
Sven Liebich: "Indem ich mich dahingehend überhaupt nicht mehr betätige. Indem ich offen gegenüber allen möglichen Weltanschauungen, auch den linken bin. Indem ich Extremismus immer ablehne."

12:09
Wie glaubwürdig ist Liebichs Erzählung von seiner Abkehr vom Extremismus? 

12:14
Das gibt es ja immer wieder. Dass Menschen mit der Szene brechen, aussteigen und das menschenfeindliche Weltbild ablegen. Diese Menschen bekommen von der Gesellschaft die Chance auf einen Neuanfang. Aber hat Sven Liebich sich wirklich grundlegend verändert? Hat er mit der Szene gebrochen?

12:35
Im Verfassungsschutzbericht für Sachsen-Anhalt taucht Liebichs Name 2004 zum vorerst letzten Mal auf. Aber ist er nach 2004 tatsächlich raus aus der rechtsextremen Szene?

12:50
Darüber sprechen wir mit einem Insider, der selbst mal Teil der Szene war. Ihr kennt ihn schon aus Folge drei. Er möchte anonym bleiben, deshalb spricht ein Kollege seine Aussagen nach. Der Insider hat Sven Liebich und sein Umfeld früher erlebt. Wir fragen ihn, ob er sich erinnern kann, wie das damals war mit Liebichs Rückzug. Er sagt, es habe vorher Streit gegeben - in der Kameradschaft Halle, in der Liebich lange der Anführer war. 

13:19
Insider: "Es hatten sich mit der Zeit andere Leute in den Vordergrund gedrängt, die dann später die Kameradschaft mehr oder weniger auch übernommen hatten."
Jana Merkel: "Also, das heißt, da gab's Konkurrenz innerhalb der Kameradschaft?"
Insider: "Ja, die hat er sich sozusagen selber herangezogen, die Konkurrenz. Die waren zuerst ein ganz fester Kreis, total verschworen. Aber später haben die dann dafür gesorgt, dass sozusagen Liebichs Zeit vorbei war. Das waren Leute, die hatten andere Vorstellungen, was man so machen sollte. Dass man mehr mit der NPD macht, zum Beispiel. Das war nicht sein Ding, so was mit Parteien. Das wusste man. Und da gab’s dann auch viel Streit untereinander in der Kameradschaft."

13:57
An einen Ausstieg aus Überzeugung - daran glaubt der Insider eher nicht.

14:03
Insider: "Ich glaube, es war ein Schritt aus Ärger, aus Frust, aus Enttäuschung. Es gab damals viel Ärger. Er hat den Zusammenbruch seiner Kameradschaft miterlebt und die Streitereien untereinander. Dann auch viele Auflösungen bei anderen freien Kameradschaften hin zur NPD. Und da hat er die Schnauze voll gehabt, würde ich sagen. Weil er ist, man muss das schon so sagen, ein Überzeugungsmensch. Und er ist mit dieser ganzen Entwicklung nicht einverstanden gewesen. Und dann ging es ja auch gegen ihn persönlich. Und da war er dann halt konsequent und hat aufgehört. Aber eben nur aufgehört - mit der Kameradschaft. Aber ich glaube nicht, dass er auf einmal komplett anders gedacht hat. Es hat ihn einfach stark mitgenommen, als er nicht mehr diese Galionsfigur gewesen ist. So hab ich das wahrgenommen."

14:50
Streit und Machtkämpfe seien in der Szene durchaus üblich. Vielleicht habe auch eine Beziehung zu einer Frau eine Rolle gespielt, erzählt er. Es habe viel Gerede gegeben. Der Insider erinnert sich, dass Liebich nach 2004 sein Aussehen und sein Auftreten verändert habe. 

15:08
Insider: "Ich glaube, er hat dann auch irgendwie die Haare anders gehabt, so länger und andere Klamotten. Hat wahrscheinlich selber versucht, irgendeine Geschichte zu konstruieren, dass die Leute glauben, dass er nicht mehr dabei ist. Aber ich kenne Leute, die auch lange nach 2004 noch mit ihm Kontakt hatten, also viele Jahre später noch. Leute aus der Szene. Er soll auch nach 2004 noch weiter gedruckt haben, hab ich gehört."

15:32
Das deckt sich mit unseren Recherchen. Zwei Jahre nach Liebichs angeblichem Ausstieg erscheint 2006 in einem Neonazi-Magazin eine Art Interview mit ihm. Liebich beantwortet dort einen Fragebogen. Und spricht über seinen rechtsextremen Versandhandel. Das Geschäft mit dem Hass läuft 2006 also weiter. Auch wenn Liebich jetzt keinen Rechtsrock mehr verkauft. Zitat:

15:58
Sven Liebich (nachgesprochen): "Ich lebe nicht mehr davon - arbeite anderweitig, verkaufe auch keine CD´s mehr. Habe nur die Möglichkeiten behalten - T-shirts zu fertigen. Eine gewisse Kreativität ist mir eigen und biete die T-Shirts billig an: zwölf Euro das Stück. (…) für mich ist das T-shirt immer noch Propagandamittel - also jeder 'ne kleine Litfass-Säule und Prop-Mittel sollte man sich nicht noch teuer bezahlen lassen."
Quelle: "Der weiße Wolf", 2006, Website (Archiv-Speicherung)

16:18
Liebich bestätigt, was der Insider gesagt hat: Er druckt und verkauft auch nach 2004 weiter T-Shirts - und nennt sie "Propagandamittel". Wir schauen uns einige Shirts von damals genauer an. Eins huldigt einer Gruppe namens "The Order". Das war eine gewalttätige, rassistische Gruppe aus den USA. Deren Mitglieder ermordeten in den 80er Jahren den jüdischen Radiomoderator Alan Berg. Auf der Rückseite des Shirts steht der Schriftzug "White Aryan Terror" - weißer arischer Terror.

16:56
Behörden stufen Liebichs T-Shirt-Versand Ende 2005 als rechtsextremen Vertrieb ein.

17:00
Und die Miete für den Laden für Szeneklamotten in Halle läuft bis Herbst 2007. Also noch drei Jahre, nachdem Liebich die Szene angeblich verlassen haben will. Er wird auch weiterhin auf einschlägigen Veranstaltungen gesehen.

17:17
Und auch der Verfassungsschutz bleibt dran: Die Behörde beobachtet Liebich durchgehend weiter. 

17:24
Und dann 2008 startet Liebich auch schon den Internetshop, mit dem er später Elefantenpate wird und bis heute sein Geld verdient: Und spätestens ab Herbst 2011 finden wir auch in diesem neuen, vermeintlich harmlosen Online-Shop T-Shirt-Motive mit rassistischen Untertönen. Zum Beispiel Sprüche wie "It´s not racist if it´s true" - es ist nicht rassistisch, wenn es wahr ist.

17:54
Unser Eindruck ist: Sven Liebich hat den Rechtsextremismus nie ganz hinter sich gelassen. Aber er hat sich ein neues Image zugelegt: Sven Liebich - der "T-Shirt-Rebell". Seine Selbstinszenierung funktioniert eine ganze Weile. Der Online-Shop läuft - die rechtsextreme Weltsicht des Chefs fällt den wenigsten auf. Die Maskerade wirkt. Zumindest eine Zeit lang. 

18:27
Doch dann ändert sich die politische Weltlage:

18:40
Sprecherin: "Guten Abend meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau."
Sprecher: "Russische Panzerwagen auf den Straßen der Krim heute Nacht. Die Situation eskalierte dramatisch."
Quelle: Tagesschau vom 01.03.2014

18:50
Sprecher: "In Syrien halten die bürgerkriegsähnlichen Zustände an. Immer mehr Zivilisten flüchten vor der Gewalt ins Nachbarland Türkei."
Quelle: MDR aktuell vom 11.06.2011

18:57
Sprecherin: "In Bayern sind seit gestern Abend mehr als 3.000 Flüchtlinge mit Zügen aus Ungarn angekommen."
Sprecherin: "Immer mehr Flüchtlinge nimmt die Polizei in Empfang. Mit den Zügen aus Ungarn kamen vor allem Menschen aus Syrien oder Afghanistan nach München."
Quelle: Tagesschau vom 01.09.2015

19:10
Russland besetzt 2014 die Krim, es gibt Krieg in der Ost-Ukraine - und der Bürgerkrieg in Syrien treibt Millionen Menschen in die Flucht. Deutschland nimmt hunderttausende Geflüchtete auf. Viele Menschen heißen die Kriegsflüchtlinge willkommen. Doch es gibt auch Proteste. Vor geplanten Flüchtlingsunterkünften wird demonstriert. Es gibt Brandanschläge. Und in Dresden entsteht Pegida.

19:39
Demonstrierende: "Wir sind das Volk. Wir sind das Volk."
Menge: "Lügenpresse. Lügenpresse. Lügenpresse."
Quelle: MDR Sachsen vom 21.02.2015

19:47
Auch in Halle gibt es jeden Montag Demos - auf dem Marktplatz im Zentrum der Stadt. 

19:52
In der Spitze nehmen bis zu 500 Menschen teil. Darunter Putin-Fans, Verschwörungsanhänger, Rechtsextreme und wütende Bürger. Das geht im Frühjahr 2014 los. Sie demonstrieren Woche für Woche, einen Monat lang, einen zweiten. Und zwei Jahre später immer noch. 

20:14
Und mittendrin: T-Shirt-Verkäufer Sven Liebich. Er hält Reden, ist die zentrale Figur dieser Demos. Und er bedient die Feindbilder: Geflüchtete, Minderheiten, Medien, Politikerinnen und Politiker. 2016 sind wir bei einer dieser Demos dabei. Wir wollen wissen, was Sven Liebich erreichen will. 

20:36
Jana Merkel: "Was meinen Sie mit: 'Geht zu den Politikern, geht in die Parlamente' - was sollen die Leute denn da machen, wenn Sie die Politiker dann haben?"
Sven Liebich: "Na, ich versuche ja … das ist natürlich jetzt utopisch mit unserer kleinen, nicht-mal-Hundert-Mann-Demo. Also ich wünschte mir ‘ne revolutionäre Zeit wie ‘89, ‘ne friedliche Revolution. Und dann, würde ich sagen, dann sollten wir wirklich diese, den Bundestag versuchen zu entmachten. Generell - ich weiß es nicht, wie es - da müsst wirklich 'ne Schwarmintelligenz zusammenarbeiten, die das dann sagt: Wie geht’s dann weiter, wenn wir die weggemacht haben."
Jana Merkel: "Wie wollen Sie die denn wegmachen, wie Sie das formulieren?"
Sven Liebich: "Naja, wegbekommen von den Sitzen. Na so wie wir es ‘89 geschafft haben, als die die Volkskammer auflösen mussten, Neuwahlen erzwungen wurden."

21:19
Dann hält Liebich seine Rede: Umsturz-Rhetorik.

21:23
Sven Liebich: "Ich sage, geht zu diesen Parlamenten, geht in den Bundestag, zu den Landtagen. Holt Euch diese Parlamentarier. Damit meine ich das nicht, dass Ihr diese Parlamentarier mit Gewalt aus den Parlamenten holt. Dann meine ich: Versucht, Mehrheiten zu bilden in diesem Land. Trefft Euch auf den öffentlichen Plätzen. Und versucht, wie ‘89 Massen auf die Straße zu bringen. ‘89 haben eine Million Leute gereicht, um dieses System zu stürzen."

21:50
"System stürzen", "Politiker wegmachen", "Revolution". Das sind Liebichs politische Ziele. Die Demos sollen mobilisieren, Menschen überzeugen, sich den Umsturzideen anzuschließen. Das ist das Eine.

22:16
Seine öffentlichen Auftritte erfüllen für Liebich aber nicht nur einen politischen Zweck. Es steckt auch noch etwas anderes dahinter. Ein Muster, das wir schon aus den 90er Jahren von ihm kennen: Bei Sven Liebich geht es offenbar auch immer ums Geschäft. Er nutzt die Demos als eine Art Werbeveranstaltung für seine T-Shirt-Firma.

22:39
Ein Beispiel: Ein sonniger Tag im Sommer 2016. Wir sind in Erfurt, vor dem Messegelände der Thüringer Landeshauptstadt. Hier wird heute Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet. Liebich hat hier eine Demo angemeldet. Er kniet auf dem Dach eines grauen Transporters. Einige Mitstreiter sortieren Schilder, stecken Fahnen ans Auto und an den Straßenrand.

23:04
Diese Fahnen, die müsst Ihr Euch so vorstellen: Sie sind rot, in der Mitte ein weißer Kreis mit einem schwarzen Symbol. Wenn Ihr vor Eurem inneren Auge jetzt eine Hakenkreuzfahne aus dem Dritten Reich seht - ja, genau die ist augenscheinlich das Vorbild für Liebichs Fahnen. Nur hat er das Hakenkreuz in der Mitte durch ein Eurozeichen ersetzt. Auch auf den Shirts und Plakaten prangt dieses Symbol. Dazu in Frakturschrift die Worte "Heil Merkel". Liebich lässt Sprechchöre proben:

23:39
Sven Liebich: "Und deswegen bitte ich um ein dreifaches 'Heil Merkel. Heil Merkel. Heil Merkel'. Dankeschön. Sie ist nicht Frau Merkel, sie ist die Führerin."

23:52
Liebich nennt das hier "Satire". Bezeichnet die Teilnehmer der Demo als "Merkel-Jugend". Analog zur Hitler-Jugend. Er vergleicht also Angela Merkel mit Adolf Hitler. Vom Autodach herunter gibt er den Regisseur dieser Aktion. Jetzt soll ein Gruppenfoto gemacht werden:

24:11
Sven Liebich: "Diejenigen, die die roten T-Shirts anhaben, bitte in den Vordergrund, die Schilder schön sichtbar, die Fahnen und Schilder hier noch einsammeln, dass wir wirklich das - ich komme gleich runter."

24:22
Die Aktion soll gute Bilder liefern. Die T-Shirts, Fahnen und Schilder hat Sven Liebich mitgebracht. Wir sprechen ihn darauf an. Nochmal zur Erinnerung: Das Ganze findet 2016 statt. Damals hat Sven Liebich uns noch Fragen beantwortet. Das ist heute anders.

24:40
Jana Merkel: "Darf ich noch ‘ne Frage stellen zu den T-Shirts."
Sven Liebich: "Ja."
Jana Merkel: "Haben Sie die heute verschenkt an die Teilnehmer oder ist das sozusagen von Ihnen gedruckt und verkauft?"
Sven Liebich: "Nein, nein, verschenkt. Also an. Ich meine klar, es ist dann im Endeffekt trotzdem Werbung für meine Firma, aber ich würde von keinem jetzt auch nur einen Cent für so ein T-Shirt nehmen. Also das habe ich geschenkt. Sind Werbeausgaben, einfach nur (lacht). Na sind es ja wirklich, weil diese Leute gucken irgendwann, in der Zeitung wird wahrscheinlich wieder stehen 'Der Typ macht T-Shirts', und dann wird das T-Shirt auf der Startseite sein. Und wer es möchte kann es sich dann auch kaufen."
Jana Merkel: "Das heißt, es ist auch gut für Ihr Unternehmen sozusagen?"
Sven Liebich: "Gut oder schlecht. Ich glaube, es ist ergebnisneutral. Viele wenden sich ab, aber auch viele finden das vielleicht auch gerade interessant. Also es schadet nicht. Es ist ja auch ´ne Form des Guerilla-Marketings, denke ich."

25:29
Hitler-Vergleiche als Guerilla-Marketing. Und Demonstranten als wandelnde Werbetafeln. Uns stellt sich die Frage: Was ist Liebich wichtiger - seine politische Botschaft oder sein Geschäft? Heute will er nicht mehr mit uns sprechen. Wir schicken ihm diese Frage und viele andere Fragen per E-Mail. Er antwortet nicht.

25:54
Klar ist: Sven Liebich greift Themen auf, die polarisieren können. Reagiert schnell auf aktuelle politische Ereignisse. Kaum ist etwas passiert, findet sich kurz darauf ein entsprechendes Motiv in seinem Online-Shop - und auf seinen Demos. Fluchtkrise, Ukraine-Krieg, Debatten über Medien, den Islam, Korruption.

26:20
Und 2020 beginnt die Pandemie:

26:22
Sprecher: "Jetzt also auch in Deutschland. Das Corona-Virus ist angekommen. Ein Mann aus Bayern hat sich damit infiziert".
Quelle: ARD-Mittagsmagazin vom 28.01.2020

26:28
Sprecher: "Bund und Länder einigten sich darauf, Treffen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit zu verbieten. Sachsen und Sachsen-Anhalt gingen noch einen Schritt weiter und verhängten Ausgangsbeschränkungen."
Quelle: MDR Aktuell, 22.03.2020

26:41
Das Corona-Virus wird zum alles bestimmenden Thema. Infektionsschutzmaßnahmen, Lockdown, Impfdebatte. Liebich setzt sofort auf das Corona-Thema. Postet zum Beispiel ein Video davon, wie er mit einer Pestmaske durch die Stadt läuft. In seinem Shop verkauft er bald Stoffmasken mit der Aufschrift "Maulkorb". Und gelbe Davidsterne, auf denen "ungeimpft" steht.

27:06
Und Liebich meldet immer weiter Demos an. Nicht mehr nur montags. Ab 2020 ist er oft mehrmals pro Woche auf dem Markt und hetzt: 

27:18
Sven Liebich: "Drosten und das RKI, die haben Euch belogen! Jetzt sage ich einen Satz für die Presse. Ein Stöckchen. Merkel ist länger an der Macht als Adolf Hitler. Und es ist immer noch kein Stauffenberg in Sicht. Ob ich das gutheißen mag oder nicht, das erspare ich mir. Aber Merkel hat gesagt, Stauffenberg war ganz geil."

27:42
Stauffenberg und das Hitler-Attentat - das bringt Sven Liebich in Bezug auf Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Spiel. Diese Aussage stammt von einer Demo im Juni 2020. Auf derselben Veranstaltung wird ein Kamerateam des MDR von Liebich-Anhängern beschimpft und körperlich bedrängt.

28:01
Demoteilnehmer: "Ihr dreckigen Mistaffen …"
Sven Liebich: "Wir sehen uns nächste Woche"
Demoteilnehmer: "… Kakerlaken seid Ihr. Richtige Mistviecher."
Menge: "Haut ab. Haut ab. Haut ab. Lügenpresse. Lügenpresse. Haut ab."

28:19
Allein 2022 meldet Liebich 90 Versammlungen an. Kann man diese Dauerbeschallung auf dem Markt irgendwie stoppen, diese Demos unterbinden? Diese Frage stellen sich viele Menschen, mit denen wir für diesen Podcast sprechen. Und immer wieder hören wir die Kritik, die Stadt müsste mehr tun. Also ist es jetzt Zeit mit dem Mann zu sprechen, der in Halle das Sagen hat.

28:46
Jana Merkel: "Gehen Sie montagsabends noch über den Markt oder vermeiden Sie das?"
Bernd Wiegand: "Na, mir geht es so wie vielen anderen auch. Ich gehe montagsabends nicht über den Markt, versuche das zu vermeiden."

28:55
Das ist Bernd Wiegand, Halles Oberbürgermeister. Wir treffen ihn nicht im Rathaus, sondern in einem Konferenzraum im MDR-Funkhaus in Halle. Denn Bernd Wiegand ist zum Zeitpunkt des Interviews nicht im Dienst, er wurde im April 2021 suspendiert. Ihm wird Vordrängeln bei der Corona-Impfung vorgeworfen. Wiegand bestreitet den Vorwurf. Während wir diesen Podcast aufnehmen, läuft der Rechtsstreit über Wiegands Suspendierung noch.

29:26
Seit 2011 ist Bernd Wiegand Oberbürgermeister in Halle. Er sorgt sich um den Ruf seiner Stadt wegen Liebichs Dauerpräsenz. Wiegand erzählt uns von Beschwerden, von besorgten Anwohnern, genervten Gewerbetreibenden und irritierten Touristen.

29:44
Die Stadt habe versucht, mit eigenen Veranstaltungen Liebich den Marktplatz streitig zu machen, um ihn und seine Demos zu verdrängen.

29:52
Geholfen habe das nicht, sagt er. Und auch vor dem Verwaltungsgericht scheitert die Stadt immer wieder. Liebich darf trotzdem demonstrieren. 

30:01
Bernd Wiegand: "Und wir haben das hinzunehmen. Ich gebe mich aber damit nicht zufrieden, und das ist nicht meins, so hier stehenzubleiben. Deshalb werde ich weiter alles versuchen, um Herrn Liebich hier nicht auf dem Markt auftreten zu lassen. Aber letztendlich muss man sagen, dass das Versammlungsrecht so schwer wiegt und die Gesetze so nicht ausreichend sind und die Einschränkungsmöglichkeiten des Versammlungsrechts so nicht ausreichend sind, dass hier eine komplette Verbannung vom Markt möglich ist. Wir warten alle auf eine gesetzliche Änderung, um diese Nische dann auszuräumen. Juristisch spricht man von Gesetzeslücke, wenn man das so bezeichnen mag."

30:39
Und tatsächlich wird in Sachsen-Anhalt 2020 darüber diskutiert, das Versammlungsgesetz zu verschärfen. Und zwar wegen der Dauerdemos von Sven Liebich. 

30:50
Die Landesregierung beschließt im Herbst 2020 einen Gesetzentwurf. Es soll künftig einfacher werden, Demonstrationen einzuschränken oder sogar zu verbieten. "Wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet sind", heißt es. 

31:09
Es folgt eine kontroverse öffentliche Diskussion: Braucht es wirklich eine "Lex Liebich"? Sollte man das Versammlungsrecht für alle verschärfen, wegen dieses einen Rechtsextremisten? Müssten bestehende Gesetze nicht nur konsequenter angewandt werden? Bedenken werden laut. Schließlich ist das Recht auf Versammlungsfreiheit ein Grundrecht.

31:16
Der Gesetzentwurf wird im Landtag diskutiert und dann passiert - nichts. Man wird sich in der Regierungskoalition nicht einig über die Details. Auch die Juristen des Landtags sollen Bedenken angemeldet haben. Letztlich verschwindet der Gesetzentwurf in irgendeiner Schublade.

31:58
Weder die Stadt noch die Landespolitik finden ein Mittel, um Liebichs Demos zu unterbinden, ihn vom Markt zu verbannen. Warum ist das so kompliziert?

32:09
Das lassen wir uns jetzt mal erklären. Und zwar von der Behörde, die das Versammlungsrecht in Halle durchsetzen muss: der Versammlungsbehörde. Und die sitzt in der Polizeiinspektion Halle.

32:38
Jana Merkel: "Guten Tag Hallo, ich grüße Sie. Jana Merkel vom Mitteldeutschen Rundfunk. ich habe einen Termin mit Herrn Ripke."

32:40
Michael Ripke holt mich am Eingang ab. Ein großer, freundlich lächelnder Mann in Uniform. Er ist Pressesprecher der Polizeiinspektion Halle. 

32:52
Michael Ripke: "Gut hergekommen?"
Jana Merkel: "Mal abgessehen von der Parkplatzsuche, ja. (lacht)"
Michael Ripke: "Heute ist echt eng, ja."

32:48
Michael Ripke führt mich durch die langen Flure zu seinem Büro. Und gleich zu Beginn erklärt mir der Pressesprecher, dass er auf Fragen zu konkreten einzelnen Personen keine Auskunft geben darf. Also auch nicht zu Sven Liebich.

33:12
Michael Ripke: "Wir sind als Behörde dazu angehalten, die Persönlichkeitsrechte zu wahren. Und das gilt natürlich auch für Persönlichkeitsrechte von Anmeldern oder Versammlungsleitern von Versammlungen, auch wenn sie sich damit sicherlich irgendwo in die Öffentlichkeit begeben. Dennoch sind diese Persönlichkeitsrechte einzuhalten, und daran halten wir uns als Behörde."

33:34
Also muss ich meine Fragen anders formulieren, allgemeiner. Das wirkt ein bisschen umständlich, geht aber nicht anders.

33:43
Jana Merkel: "Wir wissen, dass es einzelne - oder dass es einen einzelnen Anmelder einer Versammlung gibt, die regelmäßig stattfindet. Die gehen bis ins Jahr 2067. Das sind noch 44 Jahre. Wieso ist das möglich, bis 2067 im Voraus schon Versammlungen anzumelden?"
Michael Ripke: "Das Versammlungsrecht oder die Gesetze dazu regeln nicht, wie lange im Voraus man eine Versammlung anmelden kann. Die einzige zeitliche Regelung ist, dass man 48 Stunden vor Bekanntgabe einer Versammlung diese bei der zuständigen Versammlungsbehörde anzumelden hat."

34:21
Eins betont Michael Ripke immer wieder: Die Versammlungsbehörde sei in erster Linie dazu verpflichtet, Versammlungen zu ermöglichen. Eine Versammlung von vornherein zu verbieten - dafür gebe es im Gesetz hohe Hürden. Auch für den Abbruch einer Demo:

34:37
Michael Ripke: "Da gibt es höchstrichterliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dazu, die genau sagen: Also das kann nur das letzte Mittel sein, eine Versammlung aufzulösen."
Jana Merkel: "Weil das Versammlungsrecht eben so einen hohen Stellenwert hat?"
Michael Ripke: "Genau."

34:50
Die Behörde darf aber bestimmte Beschränkungen aussprechen - wenn Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Versammlung entstehen können. Die Behörde kann zum Beispiel Alkohol oder Glasflaschen verbieten, bestimmte Fahnen oder Symbole untersagen. Sie muss solche Beschränkungen aber juristisch begründen.

35:08
Das ist auch bei Sven Liebich so. Im Laufe der Jahre bekommt auch er verschiedene Beschränkungen für seine Demos. Er darf zum Beispiel eine bestimmte Lautstärke nicht mehr dauerhaft überschreiten: 75 Dezibel maximal. Das ist ungefähr so laut wie ein Rasenmäher.

35:24
Soviel zur Theorie. Aber wie sieht das in der Praxis aus?

35:30
Das schauen wir uns vor Ort an: Ein Montagabend im Februar 2023. Wir sind auf dem Marktplatz. Gleich beginnt Liebichs Demo, er baut seine Technik auf. Kurz bevor es losgeht, stellt ein Mitarbeiter der Versammlungsbehörde eine Art Mikrofon auf. Es ist ein geeichtes Messgerät, mit dem die Lautstärke gemessen wird. Der Beamte richtet es auf Liebichs Lautsprecher aus. Mit einem Maßband misst er den Abstand zur Box aus. Das wirkt alles ziemlich akribisch auf uns.

36:03
Dann geht es los. Und kaum läuft die Kundgebung, da dreht Liebich den Lautsprecher, und zwar von dem Messgerät weg. Wir beobachten den Mitarbeiter der Versammlungsbehörde. Der scheint erst mal nicht zu reagieren.

36:20
Wir fragen uns, trickst Liebich da jetzt? Umgeht er die Lautstärke-Auflage? Wir gehen in die Richtung, in die der Lautsprecher jetzt zeigt. Weg von der Kundgebung. Und messen dort die Lautstärke. Nicht mit einem geeichten Messgerät, sondern mit dem Handy. Das ist nicht besonders genau, das wissen wir. Wir versuchen es trotzdem.

36:41
Jana Merkel: "95 Dezibel? Okay, das ist ein deutlich über den Pegel. Deutlich lauter, als er dürfte."

36:49
Erlaubt sind, wie gesagt, 75 Dezibel - in direkter Nähe der Kundgebung. Wir gehen weiter, ans Ende vom Marktplatz - und der ist wirklich sehr groß. Wir messen auch von dort noch mal.

37:01
Jana Merkel: "Ja, er hat den Lautsprecher hier rüber gedreht."
Thomas Vorreyer: "Jetzt wir, wie viel - 80 Meter weg? Das sind 75 dB gerade gewesen."

37:10
Dürfte Liebich aus so weiter Entfernung noch so laut zu hören sein? Verstößt er da gerade gegen die Beschränkung? Eine Frage für den Pressesprecher der Polizeiinspektion, Michael Ripke.

37:23
Jana Merkel: "Das ist ja so ein bisschen knifflig. Weil wir hier quasi nicht über die Person reden können, über die ich gerne reden würde. Wenn jetzt der Lautsprecher aber weggedreht wird, dann ist die ganze Messung ja tatsächlich vielleicht nicht mehr so ganz aussagekräftig. Würde das dann sozusagen intern noch einmal besprochen werden?"
Michael Ripke: "Also ich kann jetzt zu diesem Fall nichts sagen. Da liegen mir jetzt keine Erkenntnisse vor, wie das jetzt dort konkret in dem Fall war. Wenn jetzt ein Versammlungsleiter die Beschallung immer wieder drehen würde und man dann ein Katz-und-Maus-Spiel macht, dann ist es ja auch trotzdem immer noch die Einschätzung der Versammlungsbehörde - ist es zu laut, oder es ist hinnehmbar. Diese Einschätzung muss man dann vor Ort treffen, und das ist dann immer auch genau die individuelle Entscheidung des Bediensteten der Versammlungsbehörde da vor Ort."

38:07
Eine Woche später, bei der nächsten Demo, dreht Liebich den Lautsprecher wieder weg vom Messgerät. Das beobachten wir in einem Livestream. Aber dieses Mal kommt er damit nicht durch. Mehrfach fordert ihn eine Mitarbeiterin der Versammlungsbehörde auf, das zu lassen. Doch Liebich spielt sein Lautsprecher-Spielchen weiter. Bis schließlich eine neue Beschränkung ausgesprochen wird, die seine Lautstärke noch weiter einschränkt. In der Folge kann Liebich vorläufig seinen Lautsprecher nicht mehr nutzen. Der Effekt: Es wird im Frühling 2023 erstmal leiser auf dem Marktplatz von Halle.

38:55
Die Straße ist nur eins der Felder, auf denen Sven Liebich sich austobt. Auf einem anderen ist seine Hetze auch ohne Lautsprecher deutlich vernehmbar:

39:07
Im Internet, in sozialen Netzwerken. Dort erreicht der Rechtsextremist Tausende. Hass frei Haus, rund um die Uhr. Und seine Hetze - hat Folgen … 

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MDR

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