Autoren im Interview Extrem rechts – der Hass-Händler und der Staat: Warum wir diesen Podcast machen
Hauptinhalt
23. Mai 2023, 13:24 Uhr
Der Podcast "Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat" dreht sich um die Frage, wie ein Rechtsextremist in Halle seit vielen Jahren aktiv sein kann, obwohl Behörden und Justiz seine Aktionen im Visier haben. Diese Geschichte muss erzählt werden, sagen die Podcast-Hosts Jana Merkel, Thomas Vorreyer und Tim Schulz. Warum, das erklären sie im Interview.
Für den Podcast "Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat" haben sich Jana Merkel, Thomas Vorreyer und Tim Schulz monatelang mit Sven Liebich beschäftigt, einem Rechtsextremisten, der seit Jahrzehnten in und um Halle aktiv ist. Im Interview erklären sie, warum sie gerade dieses Thema ausgewählt haben und wie sie bei der Recherche vorgegangen sind.
MDR: In Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gibt es verschiedenste Themen, über die man berichten kann. Warum ausgerechnet Rechtsextremismus?
Thomas Vorreyer: Rechtsextremismus ist ein großes gesellschaftliches Problem. Er bedroht die Demokratie, die Art und Weise, wie wir zusammenleben. Und er bedroht, wie unsere Recherche zeigt, immer wieder auch einzelne Menschen. Wir drei beschäftigen uns als Journalistinnen und Journalisten schon lange mit Rechtsextremismus, seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Akteuren – auch mit dem Mann, um den es in diesem Podcast geht.
Rechtsextremismus ist ein großes gesellschaftliches Problem. Er bedroht die Demokratie, die Art und Weise, wie wir zusammenleben.
Jana Merkel: Das Thema erfüllt alle journalistischen Relevanzkriterien: Es gibt Menschen, die davon ganz massiv betroffen sind. Es findet in der Region statt, aber auch überregional. Es betrifft Politik, Behörden, Justiz und viele weitere gesellschaftlich relevante Bereiche.
Die Hosts des Podcasts: Jana Merkel
- Als Journalistin tätig seit 2008 beim MDR, seit 2014 vor allem für die Redaktion Politische Magazine und Reportagen
- Themen: Politik und Rechtsextremismus, vor allem in Ostdeutschland, längerfristige und hintergründige Recherchen, ab und zu auch investigativ
- Beim Podcast zuständig für: "Ich habe quasi die Fäden zusammengehalten und am Ende einen großen Teil der Skripte geschrieben. In der Recherche war ich unter anderem für Fragen zum Versammlungsrecht zuständig, für die Polizei, die Stadt Halle, Liebichs Umfeld und Vorgeschichte sowie die Betroffenen."
Weshalb ist "Extrem rechts" ein Podcast, und nicht ein Film oder ein anderes Format?
Jana Merkel: Die Tiefe und Ausführlichkeit, die in einem Podcast möglich sind, die bietet kein anderes Format. In der tagesaktuellen Berichterstattung hat man nur ein paar Minuten und in den Hintergrundbeiträgen fürs Fernsehen, die Tim und ich oft machen, ist eine 30-minütige Doku das Maximum. Der Podcast gibt uns die Chance, uns mit noch größerer analytischer Tiefe und vielfältigen Perspektiven mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Tim Schulz: Wenn wir fürs Fernsehen produzieren, müssen wir oft reduzieren und können nicht so sehr ins Detail gehen. Beim Podcast können wir uns mehr Zeit nehmen, mehr erklären und verständlicher machen, wie etwas funktioniert und warum es ein Problem ist.
Thomas Vorreyer: Wir wollen Hörerinnen und Hörer mitnehmen an die Orte, die für diese Geschichte eine Rolle spielen, und die Situationen der Menschen, um die es geht, hörbar und erlebbar machen.
Die Hosts des Podcasts: Thomas Vorreyer
- Als Journalist tätig seit mehr als 15 Jahren, seit 2020 auch beim MDR und seit 2022 bei tagesschau.de
- Themen: Politik, Ostdeutschland und investigative Recherchen
- Beim Podcast zuständig für: "Recherchen zu Finanzen und Unternehmen, Umfeld, Strafverfolgung, NSU. Und ich habe den Prozess vor dem Landgericht Halle verfolgt."
Die erste Podcast-Staffel heißt "Der Hass-Händler und der Staat". Wer genau ist dieser Hass-Händler?
Tim Schulz: Der Hass-Händler ist Sven Liebich, ein Rechtsextremist, der hauptsächlich in Halle sehr aktiv ist und viele Vernetzungen in der Szene hat. Der Name "Hass-Händler" rührt daher, dass er mit der Ideologie, die er vertritt, Geld verdient. Er verkauft zum Beispiel T-Shirts und hat früher rechtsextremistische Musik vertrieben.
Thomas Vorreyer: Liebich hat Produkte verkauft, die einzelne Menschengruppen explizit zur Zielscheibe machen, wie Geflüchtete, Schwarze Menschen oder Menschen muslimischen Glaubens. Es gibt Motive, in denen man einen Gewaltaufruf erkennen könnte. Früher hat Sven Liebich Neonazi-Musik vertrieben. Er hat sich nicht die ganze Zeit, aber einen wesentlichen Teil seines Lebens damit beschäftigt, von Hass zu leben.
Jana Merkel: Es gibt nicht viele Akteure, die gleichzeitig rechtsextremen Aktivismus betreiben und daraus ein Geschäft machen. Was Sven Liebichs Rolle in der Szene so speziell macht, ist, dass er quasi das Merchandise für verschiedene politische Milieus vertreibt. Neben seinem Shop ist er mit Demos auf der Straße aktiv und bespielt Social-Media-Kanäle im Netz.
Die Hosts des Podcasts: Tim Schulz
- Als Journalist tätig seit 2017, seit 2019 für verschiedene Formate und Redaktionen des MDR, darunter die politischen Magazine Exakt und FAKT.
- Themen: Rechtsextremismus, Verschwörungsideologien, umwelt- und sozialpolitische Themen
- Beim Podcast zuständig für: "In der Recherche habe ich mich vor allem mit Sven Liebichs Vorgeschichte in der Neonaziszene und seinen Aktivitäten in den sozialen Medien beschäftigt. Ich habe in Archiven recherchiert, ehemalige Mitstreiter und Weggefährten ausfindig gemacht und mich durch Tausende Posts in Liebichs digitalen Kanälen gearbeitet."
Der andere Akteur im Podcast-Titel ist der Staat. Was hat der mit Liebich zu tun?
Jana Merkel: Unsere Kernfrage ist: Wie geht der Rechtsstaat mit Sven Liebich um? Es gibt viel Kritik am Umgang der Justiz und der Staatsanwaltschaft mit ihm. Viele Menschen, die von seinen Verbalattacken betroffen sind, haben ihn immer wieder angezeigt. Sie haben den Eindruck, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht konsequent agieren. Das ist die strafrechtliche Ebene. Dann gibt es noch die Frage, wie mit seinen Demos umgegangen wird. Liebich steht jeden Montag in Halle auf dem Markt, und das seit Jahren. Er hat bis 2067 Demos angemeldet. Da fragen sich viele Leute, wie das möglich ist und ob man das nicht stärker einschränken kann.
Unsere Wahrnehmung ist aber, dass es nie zu größeren Konsequenzen für ihn [Liebich] gekommen ist. Da ist die Frage aufgekommen: Warum ist das so?
Thomas Vorreyer: Extremismus wird vor allem dann zum Problem, wenn er nicht zurückgedrängt wird. Auch dafür haben wir den Rechtsstaat und Behörden, die sich darum kümmern sollten. Bei dieser und bei anderen Recherchen haben wir festgestellt, dass Recht aber nicht immer Gerechtigkeit für die Betroffenen bedeutet. Das zeigen die Liebich-Fälle gut auf.
Tim Schulz: Wir wissen, dass verschiedene Behörden Liebich immer wieder im Visier hatten, dass zum Beispiel der Verfassungsschutz Informationen gesammelt hat. Dass es in den 1990er-Jahren auch Razzien gab. Unsere Wahrnehmung ist aber, dass es nie zu größeren Konsequenzen für ihn gekommen ist. Da ist die Frage aufgekommen: Warum ist das so?
Jana Merkel: Unser Ziel ist nicht, ein Urteil über jemanden zu fällen – egal, über wen. Wir wollen verstehen, warum die Dinge sich so entwickelt haben, warum es so läuft, wie es läuft.
Wenn man sich die Aktionen von Sven Liebich anschaut, entsteht der Eindruck, dass es ihm offenbar vor allem um Aufmerksamkeit geht. Wie geht ihr damit um, dass er sie mit diesem Podcast bekommt?
Tim Schulz: Das ist tatsächlich ein Dilemma für uns als Autorenteam. Weil wir aus unseren Recherchen wissen, dass rechtsextreme Akteure mediale Aufmerksamkeit gern für ihre eigenen Zwecke nutzen. Aber ich halte es trotzdem für wichtig, über Liebichs Methoden und Strategien zu sprechen. Denn die sind – etwa wenn wir auf die Verbreitung von Desinformation und Falschzitaten im Internet schauen – weit verbreitet in der rechtsextremen Szene.
Ja, wir gucken uns kritisch an, was Liebich macht, aber wir gucken noch genauer und detaillierter, wie der Rechtsstaat mit ihm umgeht.
Jana Merkel: Es geht nicht darum, Sven Liebich größer zu machen, als er ist. Man kann aber auch nicht so tun, als gäbe es kein Problem. Das ist ein schmaler Grat und wir haben im Team oft besprochen, wie wir damit umgehen. Wir haben dieses Thema ausgewählt, weil es pars pro toto steht: Wir wissen, dass es in der Gesellschaft ein erhebliches Problem mit Rechtsextremismus gibt. Und wir wissen, dass es in Deutschland ein Problem mit der Aufarbeitung von rechtsextremen Straftaten gibt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat gesagt, Rechtsextremismus sei die größte Bedrohung für unsere demokratische Gesellschaft. Wenn Politikerinnen und Politiker ein Problem so deutlich benennen, dann ist unsere journalistische Aufgabe, zu prüfen, was getan wird, um solche Probleme in den Griff zu bekommen. Ja, wir gucken uns kritisch an, was Liebich macht, aber wir gucken noch genauer und detaillierter, wie der Rechtsstaat mit ihm umgeht.
Thomas Vorreyer: Die Aufmerksamkeit ergibt sich aus dem Vorwurf derjenigen, die von Liebichs Aktionen betroffen sind, dass der Rechtsstaat nicht so funktioniert, wie er funktionieren sollte. Das müssen wir unabhängig vom Auslöser ausleuchten, weil es an die Grundfesten unserer Demokratie geht. Der Podcast zeigt, wie viel Schaden eine einzelne Person anrichten kann, wenn es Nachlässigkeiten seitens Staat, Gesellschaft und Politik gibt.
Liebich ist seit vielen Jahren aktiv, hat Hunderte Demos organisiert und beschäftigt zahlreiche Behörden. Wie seid ihr all dem nachgegangen?
Thomas Vorreyer: Wir haben verschiedene Recherchearten miteinander verbunden: Am Anfang stand der Berufungsprozess, der von September bis Oktober 2022 vor dem Landgericht Halle lief. Wir sind in Archive gegangen, in Bibliotheken, haben im Internet recherchiert, in Registern. Wir haben mindestens ein Dutzend unterschiedliche Behörden angefragt und versucht, Leute aus Liebichs damaligem und heutigem Umfeld zu sprechen. Dafür waren wir quer durch Deutschland unterwegs. Wie gut das gelaufen ist, will ich nicht spoilern, – aber wir haben Leute gesprochen. Und wir haben viele Experten- und Hintergrundgespräche geführt.
Jana Merkel: Es ist eine wirklich umfangreiche Recherche. Wir haben das aber vorher strukturiert, verschiedene Themenstränge identifiziert, uns aufgeteilt und an denen entlang recherchiert. Wir konnten dabei auf vielen Erkenntnissen aufbauen, die aus früheren Recherchen stammen. Wir beschäftigen uns nicht zum ersten Mal mit diesem Fall. Deshalb konnten wir auch auf Material zurückgreifen, das beispielsweise Tim und ich schon vor Jahren für Magazin-Beiträge zu diesem Thema gedreht haben.
Tim Schulz: Vieles von dem, was Liebich tut, spielt sich im Internet ab, vor allem bei Telegram. Da habe ich mich besonders rein vertieft. Mit einem Analysetool systematisch zu schauen, mit wem er vernetzt ist, welche Reichweite seine Posts generieren, das hat nochmal ein paar interessante Erkenntnisse an die Oberfläche gespült.
Das klingt nach einem enormen Rechercheaufwand.
Jana Merkel: Wir hätten den Podcast nicht in dieser Ausführlichkeit machen können, wenn wir nicht schon so lange in diesem Themenbereich recherchieren würden. Dadurch haben wir ein Netzwerk, mit dem wir schon lange vor Recherchebeginn in Kontakt standen. Zu bestimmten Quellen hätten wir das Vertrauen nicht aufbauen können, hätten wir nur zwei Monate dafür Zeit gehabt.
Thomas Vorreyer: An der Stelle ist es uns wichtig, Danke an den MDR zu sagen, dass wir die Zeit dafür bekommen haben. Das ist etwas Besonderes und nicht selbstverständlich.
Jana Merkel: Und ohne ein starkes Team, das konstruktiv an der Geschichte arbeitet, würde es auch nicht gehen. Das sind nicht nur wir drei Autoren, sondern wir haben einen Redaktionsleiter, der das Projekt durch alle Entscheidungsebenen gebracht hat, und Kolleginnen und Kollegen, die an der Entwicklung des Projekts beteiligt waren und das jetzt bis zum Schluss mit uns durchziehen.
Was war für euch das Spannendste an der Recherche? Was hat euch am meisten bewegt?
Tim Schulz: Wir haben mehrfach mit einem mulmigen Gefühl im Bauch bei Leuten geklopft oder geklingelt, weil wir nicht wussten, wie die Person uns entgegentritt, was für eine Weltanschauung die Person hat. Das war auch immer eine Spurensuche, denn einige der Personen waren nicht immer leicht zu finden.
Jana Merkel: Die Frage, was mich bewegt hat, finde ich schwierig, weil wir natürlich eine professionelle Distanz halten. Deswegen dürfen wir uns von den Geschichten der Betroffenen nicht emotionalisieren lassen. Aber auch aus journalistischer Perspektive ist es frappierend, wenn Menschen sagen: Ich vertraue dem Rechtsstaat nicht mehr. Das zog sich durch alle Gespräche mit den Betroffenen. Ich glaube, das ist etwas, wo Journalismus dann hinschauen und nachfragen muss.
MDR
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. Mai 2023 | 05:30 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/d59cae58-5877-4eaf-b885-488bfac23dd2 was not found on this server.