Ein Finger drückt eine Hausklingel
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Podcast "Extrem rechts" Zum Nachlesen: Folge 6, Es tut sich was

27. Juni 2023, 00:01 Uhr

Die Hass-Geschäfte von Liebich entpuppen sich als Familienangelegenheit. Wie aber steht es um die Finanzen der Firma? Und: Gleich mehrere Behörden werden aktiv gegen Liebich und die Firma. Wird das Eis für ihn dünner?

Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat

Die Sneaker eines Mannes, der auf einem Autodach steht
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Ein Justizbeamter steht vor einer Sicherheitsschleuse.
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Sprecherin Jana Merkel und Sprecher Thomas Vorreyer

Jana Merkel: "Dreizehn Briefkästen, davon einer vom *Name gepiepst*"
Thomas Vorreyer: "Aber der ist ja auch extra."
Jana Merkel: "Na dann, versuchen wir mal unser Glück, hm?"

Wir gehen durch ein offenes Tor, eine breite betonierte Einfahrt hinauf. Auf dem Grundstück gibt es Wohngebäude und Gewerbeflächen: einen Flachbau, Rolltore, Garagen und eine größere Halle.

0:34
Jana Merkel: "Also hier wohnen, glaub ich, auch Leute auf dem Grundstück." 
Thomas Vorreyer: Ich sehe jetzt zumindest schon mal nicht seinen typischen Transporter."

00:43
Meine Kollegen Thomas Vorreyer, Tim Schulz und ich, Jana Merkel, sind auf dem Gelände unterwegs, auf dem der Rechtsextremist Sven Liebich einen Online-Shop betreibt. Es ist ein unscheinbares Grundstück im Osten von Halle. Von hier aus wurden T-Shirts und Aufkleber mit teils rassistischen, islamfeindlichen und verschwörungsideologischen Motiven verkauft. 

1:07
Wir sind auf der Suche nach Sven Liebich. Wir wollen herausfinden, wie die Firma arbeitet, wie das Geschäft läuft – und wir wollen wissen, mit wemSven Liebich womöglich zusammenarbeitet. 
Auf dem Hof ist niemand zu sehen. Wir bleiben vor einer Art Halle mit großen Fenstern stehen.

01:27
Jana Merkel: "Es sind auf jeden Fall Regale mit zwei oder drei, mindestens drei Etagen, eher vier. Mit so großen Postkisten, Plastikkisten, mit Umschlägen drin, Versandtaschen drin."

01:42
In diesem Gebäudekomplex werden Shirts bedruckt, verpackt und von hier aus verschickt. Plötzlich tritt eine Frau aus einer der Türen. Sie sieht uns und unsere blauen MDR-Mikros. 

01:55
Jana Merkel: "Hallo, guten Tag. Das war, glaube ich, seine Schwester.
Thomas Vorreyer: "Das war seine Schwester?"
Jana Merkel: "Ich glaube, ja. Ja, da bin ich mir relativ sicher."

02:05
Die Frau verschwindet sofort wieder hinter der Glastür. 

02:09
Jana Merkel: "Na, und ich habe ja einmal ein Foto gesehen von ihr. Und ich glaube, dass ich sie wiedererkannt habe. Und sie hat sofort – Hallo und Tschüss, Tür zu."

02:15
Die Frau ist die Schwester von Sven Liebich. Und sie spielt eine Schlüsselrollein unserer Recherche. Denn sie ist hier in der Firma nicht einfach nur eine Mitarbeiterin. Sie ist die Inhaberin des Unternehmens.

Wir klopfen an der Tür zur großen Halle. 

02:33
Thomas Vorreyer: "Hier sieht man auch. Also hier sind die ganzen Versandsachen. Hier steckt ein Schlüssel."
Jana Merkel: "Anlieferzone *Name gepiepst*. Genau."
Thomas Vorreyer: "Aber klopfen wir jetzt?"
Jana Merkel: "Ja, können wir machen."

02:48
Eine weitere Frau öffnet die Tür. 

02:50
Jana Merkel: "Hi, guten Tag. Wir sind vom Mitteldeutschen Rundfunk. Wir sind auf der Suche nach Herrn Liebich oder *Name gepiepst*"

02:56
Die Frau sagt, sie sei eine Mitarbeiterin. Wir fragen nach Sven Liebich und seiner Schwester. Die seien beide nicht da, sagt sie. Und die Frau, die hinter der Tür verschwunden ist? Das sei eine andere Kollegin, behauptet die Mitarbeiterin. Weitere Fragen will sie nicht beantworten. Dann geht sie über den Hof und verschwindet im anderen Gebäude.

03:20
Wir gehen noch mal zu der Glastür, hinter der die Schwester von Sven Liebich verschwunden ist. Und wir klingeln. Von drinnen sind Stimmen zu hören. Inzwischen wurde eine Jalousie heruntergelassen. Niemand reagiert. Wir klingeln ein zweites Mal. Es tut sich nichts. Als wir gerade gehen wollen, geht plötzlich eine andere Tür ein paar Meter weiter auf. Es ist wieder die Schwester von Sven Liebich.

03:47
Jana Merkel: "Hallo." 
Thomas Vorreyer: "Dahinten."
Jana Merkel: "Huch. Ach da. Frau *Name gepiepst, wir würden gerne nur ganz kurz mit Ihnen. Sind Sie *Name gepiepst*?
Jana Merkel: "Okay, die Tür war wieder zu. Sie hat uns zum Verlassen des Grundstücks aufgefordert. Dann machen wir das jetzt auch. Wir gehen."

04:10
Ihr hört: "Extrem rechts - Der Hass-Händler und der Staat". Ein ARD-Podcast des Mitteldeutschen Rundfunks, in Zusammenarbeit mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.

Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat

Die Sneaker eines Mannes, der auf einem Autodach steht
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Ein Justizbeamter steht vor einer Sicherheitsschleuse.
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Folge 6: Es tut sich was

4:31
In dieser Folge graben wir uns in die Geschäfte von Sven Liebich ein. Wir wollen herausfinden: Wie glaubwürdig sind Liebichs Behauptungen vor Gericht, er würde nur wenige hundert Euro verdienen? Wie viel Geld steckt in der T-Shirt-Firma? Und wer arbeitet mit ihm zusammen – wer unterstützt den Rechtsextremisten bei seinem Geschäft mit dem Hass?

05:01
Und wir suchen Antwort auf die zentrale Frage, die uns diesen ganzen Podcast über begleitet: Geht das alles ungehindert immer so weiter?

05:13
Wir recherchieren die Anfänge der Firma. Spätestens 2008 taucht der Internetshop zum ersten Mal auf. Damals betreibt Liebich den Online-Versand noch als Einzelunternehmer. Drei Jahre später, 2011, wird dann eine GmbH gegründet, die seitdem den Shop betreibt. Sven Liebich ist seither nicht mehr Eigentümer, sondern angestellter Geschäftsführer. Er macht PR, vertritt die Firma nach außen, auch vor Gericht. Die GmbH gehört nun zwei Gesellschaftern. Eine Gesellschafterin ist die Schwester von Sven Liebich. Auf sie kommen wir nachher noch mal zurück.

05:55
Der zweite Gesellschafter ist ein Mann. Wir nennen ihn "Karsten P."
2011 steckt er zur Gründung 12.500 Euro Kapital in die GmbH, genau wie Liebichs Schwester. Und gemeinsam mit ihr beschließt er, Sven Liebich zum Geschäftsführer zu machen. 

06:17
Wir fragen uns: Wer ist Karsten P.? Woher kennt er Sven Liebich und dessen Schwester? Gibt es eine politische Verbindung? Wir recherchieren und sprechen mit zahlreichen Quellen in Halle. Aber niemand kennt Karsten P. Wir durchforsten Archive und soziale Netzwerke, doch im rechtsextremen Kontext taucht der Name Karsten P. bei unserer Recherche nicht auf. 

06:45
Im Handelsregister finden wir eine Adresse von Karsten P.: und zwar in München. 
Wir forschen weiter nach und finden heraus, dass ein Mann mit diesem Namen in München als Lehrer arbeitet. Meine Kollegen Tim und Thomas machen sich auf den Weg nach Bayern. Sie wollen versuchen, mit Karsten P. zu sprechen. 

Durchsage: "Sehr geehrte Fahrgäste. Unser nächster Halt in wenigen Minuten. München Hauptbahnhof gegen 11:51 Uhr." 

07:11
Karsten P. ist inzwischen aus der Firma ausgestiegen. Im September 2020 hat er seine Anteile an der GmbH an Liebichs Schwester verkauft. Das passierte keine zwei Wochen nach dem Urteil am Amtsgericht Halle, bei dem Aufklebermotive aus dem Shop zum ersten Mal als strafbare Volksverhetzung verurteilt wurden. Hatte das Urteil etwas mit seinem Ausstieg aus der Firma zu tun? Warum hat Karsten P. 2011 überhaupt mit Liebichs Schwester die GmbH gegründet und Sven Liebich als Geschäftsführer eingesetzt? All das wollen wir ihn fragen. Wir fahren zu seinem Arbeitsplatz. 

07:48
Tim Schulz: "Das links könnte hier schon ein Teil von der Schule sein, ne?"
Thomas Vorreyer: "Ja."
Tim Schulz: "Quasi mitten in der Münchner Innenstadt."
Thomas Vorreyer: "Müssen wir bloß einen Parkplatz finden."

07:57
Bevor wir reingehen, packen wir die Mikros weg. Denn wir haben keine Aufnahmeerlaubnis für das Gebäude. Wir fragen im Sekretariat nach Karsten P. und erfahren, er sollte jede Minute kommen.

08:09
Wir warten und ein paar Minuten später taucht er auf. 
Im Treppenhaus sprechen wir ihn an und stellen uns vor, als Journalisten vom MDR. Wir fragen ihn, ob er aus Halle stammt. Er weicht aus und will wissen, warum wir ihn das fragen. Als wir ihn auf Sven Liebich ansprechen, bestreitet Karsten P., ihn zu kennen. Auch die Firma kenne er nicht. Später sagt er, dass er Sven Liebich und dessen Schwester doch kenne, aber nur aus der Presse. Karsten P. fordert uns auf, das Gebäude zu verlassen. Er betont, wir würden ihn verwechseln, er käme nicht aus Halle.

08:45
Auf dem Weg nach draußen kommt uns eine Kollegin von Karsten P. entgegen. Sie begrüßt uns freundlich und fragt, ob sie helfen könne. Die Art, wie sie spricht, klingt nicht bayerisch, eher nach Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Wir sprechen sie darauf an. Sie erzählt, dass sie tatsächlich aus Ostdeutschland stamme und kurz nach der Wiedervereinigung nach München gezogen sei. Und sie erzählt uns von ihrem Kollegen: Karsten P. Der stamme Zitat "auch von drüben", und zwar aus Halle. Und er würde sich bestimmt über Besuch aus der Heimat freuen.

09:23
Karsten P. hat uns abblitzen lassen. Zurück im Auto telefonieren wir im Team und besprechen, was passiert ist. 

09:30
Thomas Vorreyer: "Hallo, wir sind’s."
Jana Merkel: "Alles gut?"
Thomas Vorreyer: "Ja, also, weiß nicht. Tim, möchtest du erzählen?"
Tim Schulz: "Wir haben unseren, ja, Menschen getroffen, den wir finden wollten. Er wollte aber nicht mit uns reden. Und er hat auch gesagt, dass es, dass wir ihn mit jemandem verwechseln müssen.
Jana Merkel: "Aha?"
Thomas Vorreyer: "Er hat auch zuerst gesagt, er würde Sven Liebich nicht kennen. Und dann später, als wir nochmal gefragt haben, ob er die beiden kennen würde, hat er dann gesagt, aus der Presse. Beziehungsweise er kennt sie und dann eben auf Nachfrage, aus der Presse."
Jana Merkel: "Hm, harte Nuss, der Herr."
Thomas Vorreyer: "Ja."
Jana Merkel: "Eine harte Nuss. Aber ich bin erstmal total, ich bin erstmal völlig baff, dass ihr ihn tatsächlich getroffen habt und dass euch auch jemand bestätigt hat, dass er offensichtlich wirklich aus Halle ist. Das wäre ja ein wahnsinniger Zufall, wenn es noch jemanden mit dem gleichen Namen gäbe, der aus Halle nach München gegangen ist. Das ist ja nahezu unvorstellbar eigentlich. Das muss er sein."
Thomas Vorreyer: "Aber wir sollten ihn zuhause abpassen, oder?"
Jana Merkel: "Ja, glaube ich schon. Also ein zweiter Versuch sollte schon erlaubt sein, denke ich."
Thomas Vorreyer: "Dann machen wir das."

10:37
Wir prüfen es mehrfach und die Abfragen im Melderegister und anderen Datenbanken bestätigen es: Wir haben den richtigen Karsten P. gefunden. Er hat 2011 die GmbH mit gegründet. Deshalb versuchen wir es noch einmal. Diesmal an der Privatadresse von Karsten P.

10:55
Thomas Vorreyer: "Wollen wir jetzt klingeln?" 
Tim Schulz: "Scheint niemand da zu sein."

11:10
Also warten wir. Und warten. Mehrere Stunden. Aber ohne Erfolg. Karsten P. taucht nicht auf. Wir werfen einen Brief in seinen Briefkasten, mit unseren Kontaktdaten und der Bitte um ein Interview. Und fahren zurück. 

11:35
Eine Woche später kommt Post in der Redaktion an: Ein Brief aus München, Absender Karsten P. Er schreibt: 

11:44
Zitat:"(...) vielen Dank, für Ihre Anfrage (...) bezüglich eines Interviews. Ich stehe Ihnen für ein Interview nicht zur Verfügung. Mit der Bitte, dies zu respektieren,Karsten P.*"
Quelle: Brief von Karsten P.* (*Name geändert), 11.02.2023

11:54
Daraufhin schicken wir ihm eine Mail mit unseren Fragen an seine berufliche Mailadresse. Wir wollen wissen, woher er Sven Liebich und dessen Schwester kennt, warum er die GmbH mit gegründet hat und warum er 2020 aus der Firma ausgestiegen ist. Wir fragen, wie er es kommentiert, dass über die Firma volksverhetzende, rassistische Aufkleber vertrieben wurden. Die Antwort kommt wieder per Post. In einem zweiten Brief, von seiner Privatadresse in München. Karsten P. schreibt uns: 

12:29
Zitat: "(...) Ich stehe Ihnen zur Beantwortung der Fragen nicht zur Verfügung. (...)"
Quelle: Brief von Karsten P. (Name geändert), 23.04.2023

12:33
Es bleibt dabei. Keine Antworten vom Mitgründer und langjährigen Miteigentümer der Firma Karsten P. aus München. 

12:46
Bleibt noch die zweite Person, die die Firma mitgegründet hat. Die ebenfalls 12.500 Euro zur Gründung in die GmbH eingebracht hat. Und die – das wissen wir inzwischen – eine Schlüsselfigur in Liebichs Geschäften ist: Es ist seine Schwester. Ihr gehört die GmbH mittlerweile allein. Aber die geschäftliche Zusammenarbeit mit ihrem Bruder reicht noch viel weiter zurück. 

13:21
Spulen wir noch mal zurück in die 90er Jahre, in Liebichs Zeit als führender Neonazi.  
In Folge 3 haben wir darüber gesprochen, dass er damals Neonazi-Musik vertrieben hat, über einen Versand namens Ultima TV. Auch da soll seine Schwester schon mitgeholfen haben. Das behauptet Liebich 1997 selbst in einem Interview mit einem Neonazi-Magazin. 

13:49
Und nicht nur bei dem Versand soll die Schwester dabei gewesen sein. In Folge 3 haben wir auch über einen Laden gesprochen: einen Szeneladen, den Sven Liebich in Halle betrieben hat. Heute hat dort ein Zahnarzt sein Lager. Von 2000 bis 2007 verkaufte dort Sven Liebich Szenekleidung für Neonazis. Wir bekommen Einblick in den Mietvertrag. Und da steht Erstaunliches drin. Denn als Mieter steht da nicht der Name Sven Liebich, sondern der Name seiner Schwester. Sie hat den Laden gemietet.

14:37
Seit gut zwei Jahrzehnten ist seine Schwester also in die Geschäfte von Sven Liebich verstrickt. 
Und dann kommt kurz vor der Veröffentlichung dieser Folge der Jahresbericht 2022 des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt heraus. Zum ersten Mal wird darin nicht nur Liebich selbst, sondern auch seine Schwester erwähnt. Ohne ihren Namen. Aber im Zusammenhang mit der aktuellen Firma. Die Behörde schreibt, auch Liebichs Schwester gehöre der rechtsextremistischen Szene an.  

15:11
Wir wollen mit der Schwester sprechen. Auf dem Firmengelände hat sie uns abgewiesen. Wir versuchen es deshalb ein zweites Mal, diesmal an ihrer Wohnadresse. In einem Altbauviertel in Halle. Wir stellen unser Auto an einer Straßenecke in der Nähe ab und suchen nach der richtigen Hausnummer. Sie kommt uns direkt vor dem Haus entgegen. Wir gehen mit dem Mikro auf sie zu und sprechen sie an. 

15:29
Jana Merkel: "Hallo Frau *Name gepiepst*, guten Tag. Frau *Name gepiepst*? Entschuldigung, Frau *Name gepiepst*? Frau *Name gepiepst*, Jana Merkel vom MDR. Wir würden gerne mit Ihnen darüber sprechen, warum sie die Geschäfte für ihren Bruder führen beziehungsweise anmelden."

16:09
Sie sagt kein Wort, geht an uns vorbei, schließt die Haustür auf und verschwindet - Wie schon in der Firma.  Wir schicken anschließend unsere Fragen per Mail an die Adresse der Firma. Aber Liebichs Schwester antwortet nicht. 

16:34
Nachdem die Schwester nicht mit uns reden will, bleibt uns noch ein letzter Ansatzpunkt: Sven Liebich hat nämlich noch einen Bruder. Vor Gericht gibt Liebich an, er würde mietfrei bei diesem Bruder wohnen. Wir machen uns auf den Weg zu der Adresse. Das Navi führt uns in ein kleines Dorf in Sachsen. Kurz hinter der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt. 

17:01
Jana Merkel: "Es gibt tatsächlich doch noch Ortsnamen in Sachsen-Anhalt, die ich noch nie gehört habe. Hab ich gerade festgestellt."
Thomas Vorreyer: "Da drüben müsste Sachsen sein. Ich glaube, wir fahren gerade rein, oder sind schon drin."

17:20
Im Dorf angekommen, stellen wir das Auto am Dorfteich ab und gehen auf die Suche nach der richtigen Adresse. Es ist Feierabendzeit und schon dunkel. 

17:29
Thomas Vorreyer: "Haben wir ‘nen Scheinwerfer?"
Jana Merkel: "Es ist ja duster hier in der Straße jetzt, ja?"

17:34 
Wir gehen eine Sackgasse hinunter. An ihrem Ende steht das Haus, das wir suchen. Es wirkt schlicht und betagt, zum Teil mit Efeu überwuchert, das Dach nur mit Teerpappe gedeckt. Wir stehen vor einem blickdichten hohen Holztor. Die braune Farbe blättert ab. 

17:54
Jana Merkel: "Dann klopfen wir doch mal. Ja, es ist Licht an. Muss jemand da sein. Klopfen?"
Thomas Vorreyer: "Ja."

18:11
Auf der anderen Seite des Tors hören wir Schritte. Und dann schließt jemand von innen auf.

18:17
Jana Merkel: "Hallo, guten Abend."

18:21
Vor uns steht Sven Liebichs Bruder. Wir stellen uns als Journalisten vor und rechnen damit, dass er sofort wieder verschwindet, so wie seine Schwester. Aber er reagiert anders. Er kommt raus auf die Straße und spricht mit uns. Aufnehmen dürfen wir das Gespräch aber nicht. Knapp drei Minuten reden wir miteinander, dann geht der Bruder wieder ins Haus. Wir gehen zurück zum Auto. 

18:55
Jana Merkel: "Also mich hat das total überrascht, dass er wirklich vor’s Tor tritt und mit uns spricht, auch vergleichsweise lange dafür, dass er ja auch gleich wieder hätte verschwinden können, als er das MDR-Mikro gesehen hat."
Thomas Vorreyer: "Ja. Ich hatte den Eindruck, dass er auf jeden Fall mit im Boot ist. Also egal auf welche Art, er scheint, das zu teilen, was sein Bruder macht, und das auf irgendeine Art und Weise auch zu unterstützen." 
Jana Merkel: "Aber sind wir wieder ein Stück schlauer. Wir haben uns ja gefragt, welche Rolle möglicherweise der Bruder spielt. Und er hat uns gesagt, er unterstützt seinen Bruder. Er finde das gut, was er macht. Auf mich hat das so ein bisschen so einen demonstrativ solidarischen Eindruck gemacht gerade."

19:43
Ehemaliger Insider: "Das ist damals schon auch aufgefallen, dass da anscheinend die Familie mitgemacht hat, also die Geschwister. Man könnte sagen, das war wie ein richtiges Familienunternehmen, eigentlich. Vor allem die Schwester war da viel dabei, so wie ich mich erinnern kann."

19:56
Das erzählt uns jemand über die rechtsextremen Geschäfte von Sven Liebich vor gut 20 Jahren. Unser Gesprächspartner war damals selbst Teil der Neonaziszene, hat sich aber inzwischen distanziert. Der ehemalige Insider will anonymbleiben, um sich und sein Umfeld zu schützen. Deshalb spricht ein Kollege seine Aussagen nach. Wir fragen den Insider nach Liebichs Schwester. 

20:22
Jana Merkel: "Und wie ist denn die so aufgetreten, die *Name gepiepst*? War die eher so im Vordergrund aktiv, oder eher so zweite Reihe?" 

20:29
Ehemaliger Insider: "Nee, im Vordergrund gab es nur Liebich. Das war immer klar. So in der Rückschau würde ich sagen, man kann sich das so vorstellen wie so ein Unternehmen und das sind die Angestellten gewesen. Und er der Chef. Auf Aktionen im Vordergrund oder in der Organisation von Demos oder so waren die eher nicht, denke ich. Also wirklich so die zweite Reihe. Da war die Schwester, der Bruder, das war quasi so ‘ne richtige Familienbande. Also, die haben – soweit ich das weiß – ja wohl auch lange unter einem Dach größtenteils gelebt, auch sehr minimalistisch. Also das wirkte so, als hätten die wirklich eigentlich nur für die Szene und für den Versand gelebt, ja. So wirkte das."

21:13
Eine Art Familienbetrieb – damals wie heute. 
Jemand schickt uns eine Zeitschrift der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau von 2015. Darin ein Artikel mit Fotos: ein Firmenporträt der T-Shirt-Firma von Sven Liebich und seiner Schwester. Auf einem Foto steht der Bruder an einer Druckmaschine und wird auch namentlich genannt. Also hat er zumindest 2015 auch selbst für die Firma gearbeitet.

21:50
Das Magazin der IHK Halle-Dessau zitiert Sven Liebich: " ’Seit unserer GmbH-Gründung im Dezember 2011 sind an die 6.000 Motive entstanden – und Tag für Tag kommen um die fünf neue hinzu’, sagt Geschäftsführer Sven Liebich, der in dem Acht-Mann-Betrieb auch seine Geschwister *Name gepiepst*, *Name gepiepst* und *Name gepiepst* an seiner Seite weiß."
Quelle: "Mitteldeutsche Wirtschaft - Das Magazin der IHK Halle-Dessau", Oktober 2015

22:10
Moment: In diesem Artikel sind DREI Geschwister von Sven Liebich aufgezählt. Der Bruder, die Schwester und dann ist da noch eine zweite Schwester. Die kannten wir bisher nicht. Und bisher ist sie auch kaum aufgefallen. 

22:28
Das ändert sich Anfang April 2023, kurz bevor wir ins Studio gehen, um diesen Podcast aufzunehmen. Denn zu diesem Zeitpunkt wird Sven Liebich als Geschäftsführer abgelöst. Und durch die zweite Schwester ersetzt. 
Wir fragen schriftlich bei der Firma nach: Warum hat jetzt die jüngste Schwester den Job als Geschäftsführerin übernommen? Warum wurde Sven Liebich abgelöst? Gibt es einen Zusammenhang zu laufenden Ermittlungen gegen Sven Liebich? 
Auch die zweite Schwester reagiert nicht auf unsere Anfrage.

23:10
In der Recherche zur Firma stößt Thomas auf etwas Merkwürdiges. Er findet einen weiteren Internetshop. Der heißt anders als der Shop von Sven Liebich, aber es gibt auffällige Ähnlichkeiten. 

23:27
Thomas Vorreyer: "Diese Geschichte mit dem anderen Shop, das ist alles sehr seltsam. Also die allergrößte Überschneidung ist, dass beide Shops die gleichen Sachen vertreiben, also der *Name gepiepst vertreibt die Shirts von *Name gepiepst, also von Liebich. Auf Amazon zum Beispiel oder auf Ebay. Und entweder ist da noch eine Legende mit dabei. Oder es gibt eine, tatsächlich mindestens eine weitere Person, die wir ab jetzt zu Liebichs Unterstützernetzwerk zählen müssen."

24:00
Da ist also ein weiterer Onlineshop und der verkauft zum Teil die gleichen Shirts und Motive wie die Firma von Sven Liebich. Dieser zweite Shop gehört aber einer Person, die wir bisher noch nicht kennen. Sie heißt Bianca S. Wir recherchieren, wollen herausfinden, welche Verbindung es zwischen Bianca S. und ihrem Shop und der Firma von Sven Liebich gibt.  
Wir finden zahlreiche Hinweise, die dafür sprechen, dass es eine enge Verknüpfung der beiden Geschäfte geben könnte: 

24:33
Den Shop von Bianca S. gibt es seit 2008. Das ist dasselbe Jahr, in dem wir auch die ersten Aktivitäten von Liebichs Shop finden. Und Liebichs alte Firmen-E-Mail-Adresse ist auf der Website von Bianca S. angegeben. Die Websites beider Shops sind sehr ähnlich aufgebaut, nur die Farbgebung unterscheidet sich. Auch die Produktkategorien tragen zum Teil die gleichen Namen. Und die Produkte sind teilweise identisch – als Hersteller wird teilweise Liebichs Firma angegeben. Für manche dieser Motive hat Sven Liebich sich vor Jahren die Rechte beim Deutschen Marken- und Patentamt gesichert. Hat er den Verkauf dieser geschützten Motive über den Shop von Bianca S. autorisiert? Ist dieser Shop eine Art Ableger von Liebichs Firma? Ein Partner? 

25:27
Das wollen wir von Bianca S. wissen und fahren zur Adresse ihres Onlineshops, im Osten von Halle. Wir stehen vor einem Eckhaus. Im Erdgeschoss gibt es eine Art Ladenfläche. Darüber Wohnungen. Wir finden in dem Haus aber keine T-Shirt-Produktion, keinen Versandhandel. Nur einen Briefkasten mit dem Firmennamen. Aber es gibt keine Klingel dazu. Auf dem Hof läuft uns ein Nachbar über den Weg. Er begrüßt uns freundlich. 

25:59
Thomas Vorreyer: "Hallo."
Jana Merkel: "Hallo. Guten Tag."
Nachbar: "Hallo."

26:03
Wir fragen ihn nach Bianca S. und dem Onlineshop.

26:06
Jana Merkel: "Frau *Name gepiepst*, haben Sie die schon mal gesehen?"
Nachbar: "Frau *Name gepiepst*? Die wohnt doch schon gar nicht mehr hier."
Jana Merkel: "Ach, die wohnt gar nicht mehr hier?"
Thomas Vorreyer: "Hat die mal hier gewohnt?"
Nachbar: "Hat, die hat, glaube ich, hier mal gewohnt."
Thomas Vorreyer: "Weil die betreibt eine Firma von hier aus. So ein T-Shirt-Geschäft.
Nachbar: "Die lebt schon lange nicht mehr hier.
Thomas Vorreyer: "Nee?"
Nachbar: "Nee. Die ist bestimmt schon vier, fünf Jahre, ein paar Jahre garantiert weg." 

26:26
Er geht mit uns ums Haus und zeigt auf die Ladenfläche.

26:29
Nachbar: "Also, so wie ich es mitgekriegt habe, hat die immer T-Shirts bestellt und muss sie dann hier gedruckt haben. Hier unten drinnen."
Thomas Vorreyer: "Hier unten drin in der Garage?"
Nachbar: "Nee, hier, hier drinne."
Jana Merkel: " Hier im Erdgeschoss?"
Nachbar: "Ja."

26:47
Im Erdgeschoss sitzt jetzt eine andere Firma. Der Nachbar hat aber einen Tipp für uns. Die Firma von Bianca S. sei umgezogen. 

26:58
Nachbar: "Da vorne."
Thomas Vorreyer: "Ja?"
Nachbar: "Da sind zwei Backsteinbuden. Hier vorne."

27:03
Er zeigt die Straße runter.

27:05
Nachbar: "Hier vorne."
Jana: "Ja?"
Nachbar: "Wenn man hier vorgeht, auf der linken Seite, da guckt ihr mal rin. Da ist hinten so ein, wie sagt man, so ein bisschen Gewerbehof. Und da guckt ihr mal rein. Und da ist die, glaube dann, ob sie da wohnt, das weiß ich nicht, aber mit ihre T-Shirts da hin gezogen."
Thomas Vorreyer: „Da sind die T-Shirts sozusagen drin?"
Nachbar: "Ja. Da ist ihre Firma drin. Das ist hier. Da wird gebaut und ganz, ganz weit hinten, auf der linken Seite. Da sind zwei Backsteinhäuser, ziemlich groß. Und, und da ist hinten so ein bisschen Garage. Und da guckt Ihr mal. Da müsste da was sein."

27:44
Wir folgen seiner Wegbeschreibung und landen vor einer Adresse, die wir schon kennen. Es ist das Firmengelände von Sven Liebichs Onlineshop. Hierher soll Bianca S. ihre Firma verlegt haben, meint der Nachbar. Aber wir finden hier keinen Hinweis auf die Firma von Bianca S. 

28:06
Also suchen wir weiter. Wir wollen mit Bianca S. sprechen und suchen sie an ihrer privaten Adresse auf. Wir klingeln. Ihr hört jetzt unser Gedächtnisprotokoll, das wir im Studio nachgesprochen haben.

28:24
Bianca S.: "Hallo?" 
Jana Merkel: "Hallo, guten Tag, Frau *Name gepiepst*. Mein Name ist Jana Merkel vom Mitteldeutschen Rundfunk. Dürfte ich Sie mal kurz sprechen? Es geht um Ihren Onlineshop."
Bianca S.: "Nein."
Jana Merkel: "Nein?"
Bianca S.: "Ich weiß nicht, wen Sie meinen."
Jana Merkel: "Sie wissen nicht, wen ich meine, aber Sie sind doch Bianca *Name gepieps* vom *Name gepiepst*?"
Bianca S: "Nein, bin ich nicht."
Jana Merkel: "Sind Sie nicht?"
Bianca S.: "Nein, wie kommen denn Sie darauf?"
Jana Merkel: "Wir haben diese Adresse im Zusammenhang mit der Firma gefunden."
Bianca S.: "Tja, dann weiß ich nicht, wer Ihnen das erzählt hat. Wer sind Sie?" 
Jana Merkel: "Jana Merkel vom Mitteldeutschen Rundfunk."
Bianca S.: "Ah, ok, gut".
Jana Merkel: "Also Sie sagen, Sie haben keine T-Shirt-Firma oder einen T-Shirt-Versandhandel?"
Bianca S.: "Nein, das habe ich nicht. Na gut. Danke, ich muss mich um meine Kinder kümmern."
Jana Merkel: "Kennen Sie Sven Liebich?"
Bianca S.: "Aus den Medien, also wenn der das ist."
Jana Merkel: "Weil diese Firma, die verkauft auch T-Shirts von Sven Liebichs Shop."
Bianca S.: "Kenn ich wirklich nicht. Ich möchte jetzt auch nicht weiter mit Ihnen reden. Wirklich. Ich habe nämlich zu tun. Danke." 
Jana Merkel: "Okay, alles klar. Dankeschön."

29:24
Die Frau behauptet, wir würden sie verwechseln. Doch unsere Recherche und die Abfragen im Melderegister ergeben: Hier wohnt die Bianca S., die wir suchen. Die Bianca S., deren Shop Produkte von Sven Liebich verkauft. 
Wir finden schließlich heraus, dass Bianca S. nicht nur eine geschäftliche Beziehung zu Sven Liebich hat. Sondern offenbar – zumindest zeitweise – auch eine engere private Beziehung. Auch an Bianca S. schicken wir unsere Fragen noch einmal schriftlich per Mail. Und bekommen keine Antwort. 

30:09
Niemand will mit uns über die Geschäfte von Sven Liebich reden: 
Nicht der ehemalige Miteigentümer der Firma Karsten P. 
Nicht Liebichs Schwester, der die Firma heute allein gehört. 
Nicht der Bruder, dessen Haus Sven Liebich als Meldeadresse angibt. 
Nicht die zweite Schwester, die inzwischen die Geschäftsführung übernommen hat. 
Und nicht Bianca S., die mutmaßlich eine Art Ableger von Liebichs Online-Shop betreibt. 

30:39
Wir wollen aber weiterhin wissen: Wie viel Gewinn macht die Firma und wie glaubwürdig ist Liebichs Gehalt von wenigen hundert Euro, das ihm geringe Tagessätze im Fall von Geldstrafen beschert?

30:55
Wir schauen uns deshalb die Bilanzen der Firma an, die Jahresabschlüsse. Die sind öffentlich zugänglich, über das Unternehmensregister. 
Um aus den Zahlen schlau zu werden, holen wir uns fachliche Unterstützung. Von Florian Köbler. Er ist Diplom-Finanzwirt und der Vorsitzende der Deutschen Steuer Gewerkschaft. 

31:15
Florian Köbler - Vorsitzender Deutsche Steuergewerkschaft: "Bei einer GmbH oder bei einer Bilanz, man macht sich da schon ein – ich will jetzt nicht sagen komplett nackt – aber man ist schon dann sehr gläsern, ja. Also wie steht die Firma tatsächlich wirtschaftlich da."

31:27
Florian Köbler schaut sich für uns die Bilanzen der Liebich-Firma an. Für die Jahre 2011 bis 2020 – aktuelle Zahlen gibt es zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht. 

31:38
Florian Köbler - Vorsitzender Deutsche Steuergewerkschaft: "Ich glaube, dass die Geschäfte der Firma, wie die laufen, sieht man schon ganz gut. Also die, die ersten Jahre waren schwer in Ordnung. In so eine Firma hätte man auch investieren können. Mit so einer Firma kann man sicherlich auch Geschäfte machen. Der Jahresüberschuss ähm war zum Teil im sechsstelligen Bereich."

31:57
Mehr als 600.000 Euro Überschuss erzielt die Firma insgesamt in den ersten fünf Jahren. Aber Florian Köbler bemerkt: Die Gewinne werden offenbar nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet. Die Eigentümer der Firma – die Schwester und damals auch noch Karsten P. aus München – zahlen sich nichts von den Gewinnen aus, soweit die Angaben in den Bilanzen. Sondern die Firma legt ihr Geld an. In den ersten acht Jahren sind es über 180.000 Euro, laut den Unterlagen. 

32:27
Thomas Vorreyer: "Was kann sich dahinter verbergen?"
Florian Köbler - Vorsitzender Deutsche Steuergewerkschaft: "Im blödesten Fall ein Bankkonto. Das können auch Unternehmensbeteiligungen sein, die irgendwie für das Unternehmen heute wertvoll sind." 

32:37
Wo genau hat die Firma das Geld angelegt? Gibt es vielleicht eine Unternehmensbeteiligung an der Firma von Bianca S.? Das lässt sich aus den Bilanzen nicht feststellen. Auf unsere Nachfrage dazu, bekommen wir von beiden Firmen keine Antwort. Florian Köbler stellt bei der Analyse der Bilanzen fest, dass nach den ersten guten Jahren in Liebichs Firma plötzlich etwas schiefgeht.

33:02
Florian Köbler - Vorsitzender Deutsche Steuergewerkschaft: "Und im Jahr 2018, das ist so ein bisschen die Sollbruchstelle, ab diesem Jahr brechen, ich erkläre mir jetzt mal das so, dass die Umsätze wohl einbrechen. Also irgendetwas wird da gewesen sein und dann kippt das Ganze ein bisschen bei dem Unternehmen. Und dann sind diese Verluste ja auch immer weiter angestiegen. Also ‘18 halt der Verlust 49.000 Euro, oder Jahresfehlbetrag. Und dann im Jahr 2019 ja sogar die 117.000."

33:29
Zusammengerechnet sind das über 160.000 Euro Verlust in nur zwei Jahren. Und auch 2020 laufen die Geschäfte offenbar schlecht, stellt Florian Köbler fest. Bei so hohen Verlusten könnte man einen Teil des Vermögens verkaufen, um der Firma zu helfen, sagt Florian Köbler. Das brächte frisches Geld – aber das ist nicht passiert.

33:52
Florian Köbler - Vorsitzender Deutsche Steuergewerkschaft: "Die Finanzanlagen bleiben relativ konstant. Das ist so ein Stück weit erstaunlich. Also, das ist jetzt auch nicht, es ist auch nicht schlimm. Vielleicht sind die Finanzanlagen einfach auch fest, ja. Also ich sage jetzt mal, ganz blöd, irgendwelche Bundesanleihen, die auf so und so viele Jahre, vielleicht kommen die da nicht ran. Vielleicht wollen sie die auch nicht auflösen. Das, das ist alles Spekulation."

34:14
Das Geld bleibt also fest angelegt. Aber wo genau – das bleibt unklar. Und was ist mit dem Gehalt von Sven Liebich? Ist es glaubwürdig, dass er als Geschäftsführer nur ein paar hundert Euro verdient? Wir wissen zwar, dass die Firma in den ersten Jahren sechsstellige Gewinne macht, aber zu seinem Gehalt finden sich in den Bilanzen keine Angaben. Und unsere schriftlichen Fragen dazu beantwortet die Firma nicht. 

34:49
Unterm Strich steht: Ob Sven Liebich wirklich nur ein paar hundert Euro verdient, wie er vor Gericht behauptet – das finden wir nicht heraus. Aber wir wissen, dass er Kosten hat:
Er bezahlt einen Anwalt, der ihn in den Strafverfahren vertritt. Außerdem Anwälte für diverse Klagen gegen die Versammlungsbehörde. Wir wissen von insgesamt 20 Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in den letzten fünf Jahren. Auch mit der Stadt Halle gab es rechtliche Auseinandersetzungen. 

35:21
Und auch die Zivilklage von Renate Künast wurde für Sven Liebich teuer. Sie hatte ihn wegen des Fake-Zitats auf Entschädigung verklagt. Ein Zivilgericht hat ihr Recht gegeben. Liebich muss der Grünen-Politikerin 10.000 Euro Entschädigung zahlen, plus die Kosten des Verfahrens, und auch hier seinen Anwalt. 

35:48
Wie er das alles – und die Technik für seine Dauerdemos – von angeblich wenigen hundert Euro Gehalt bezahlt, wissen wir nicht. Aber manches deutet darauf hin, dass die Firma ihn – über sein Gehalt hinaus – finanziell unterstützt. 

36:11
Liebich erhält 2017 einen Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung. Ob die Firma dabei eine Rolle spielte, wissen wir nicht genau, aber wir kennen das Strafmaß: 680 Tagessätze zu je 25 Euro. Diese Strafe wird kurz darauf mit einer anderen Geldstrafe zusammengezogen. Insgesamt muss Liebich 17.500 Euro zahlen.

36:37
Offenbar zahlt er erst mal nur einen kleinen Teil der Strafe. Einige Monate nach dem Urteil bekommt er deshalb Besuch von den Behörden. Laut der Akten hat er diese Strafe dann komplett bezahlt. Und wir haben einen Hinweis, woher das Geld dafür gekommen sein könnte. Diesen Hinweis gibt Sven Liebich selbst in einem Video. 

37:00
Sven Liebich: "Der Haftbefehl war aus September letzten Jahres und wegen einem alten Strafbefehl, den ich nicht beglichen habe. Den hat jetzt die Firma, bei der ich angestellt bin, weil ich ja der Geschäftsführer bin, für mich beglichen. Sozusagen hab ich einen Kredit aufgenommen, um ja weiter hier die Geschäfte leiten zu können."
Quelle: Telegram, Sven Liebich, 18.01.2018

37:17
Das Video stammt aus dem Januar 2018 und wurde in der Firma aufgenommen. Wenn Liebichs Aussagen stimmen, dann waren noch über 16.000 Euro Strafe offen. Und diese gut 16.000 Euro habe die Firma für ihn bezahlt, quasi als Kredit. 

37:44
Wir haben viele Fragen an Sven Liebich: Ob er den Betrag für die Geldstrafe an die Firma zurückgezahlt hat, warum er nicht selbst der Eigentümer der Firma ist, ob die Angaben zu seinem Gehalt stimmen, welche Rolle die Firma von Bianca S. spielt? Und viele mehr. Bei einer seiner Demos im Februar 2023 sprechen wir ihn an und bitten um ein Interview. 

38:11
Jana Merkel: "Hallo, Herr Liebich, guten Abend. Herr Liebich? Hallo."
Sven Liebich: "Sie wissen, dass ich mit Ihnen nicht rede."

38:22
Wir versuchen es noch einmal, doch ein Mann stellt sich dazwischen.

38:26
Jana Merkel: "Herr Liebich, es gehört doch auch dazu, dass wir auch Sie befragen. Wenn wir Vorwürfe über Sie zu Ohren kriegen, dann müssen wir doch auch" 
Mann:"Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir keine Kommentare abgeben und uns mit ihnen nicht unterhalten. Ganz einfach. Und tschüss."
Jana Merkel: "Aber Sie sind nicht Herr Liebich."
Thomas Vorreyer: "Sie sind nicht Herr Liebich."
Jana Merkel: "Und wir würden gerne mit Herrn Liebich sprechen."

38:40
Sven Liebich beschwert sich bei den anwesenden Polizeibeamten über uns.  

38:44
Sven Liebich: "Ich werde hier übelst angequatscht und belästigt."
Jana Merkel: "Ich wollte nur noch mal fragen, ob wir vielleicht miteinander sprechen können, Herr Liebich."
Mann: "Lügenpresse! 
Sven Liebich: "Genau. Lügenpresse. Wir reden nicht mit der Lügenpresse."

38:58
Sven Liebich will nicht mit uns reden. Wir schicken ihm deshalb einen ausführlichen Fragenkatalog per E-Mail. Eine Antwort erhalten wir bis zum Redaktionsschluss für diesen Podcast nicht. Ein Rechtsextremist und sein Familienbetrieb, der Hass im Netz verkauft, seit über 10 Jahren läuft der Laden. Bisher nahezu unbehelligt. Doch jetzt tut sich etwas. 

39:33
Sprecherstimme: "Schon seit Monaten hat der Staatsschutz des Landeskriminalamtes im Auftrag des Generalstaatsanwalts ermittelt. Heute waren fast 100 Polizeibeamte im Einsatz, um Beweismittel zu sichern." 
Quelle: MDR Sachsen-Anhalt, 27.04.2022

39:46
Hausdurchsuchung in der Firma von Sven Liebich im April 2022. Die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg ermittelt jetzt. Und zwar nicht nur gegen Sven Liebich, sondern auch gegen seine Schwester, die Eigentümerin. Der Vorwurf: Das Betreiben einer kriminellen Handelsplattform im Internet. Dieser Paragraph ist ziemlich neu im Strafgesetzbuch. Er soll Ermittlungsbehörden helfen, schneller und konsequenter gegen Darknet- oder Internet-Shops vorzugehen, die mit illegaler Ware handeln: etwa Drogen, Waffen oder eben rechtsextremer Propaganda. Als wir diese Folge im Juni 2023 aufnehmen, laufen die Ermittlungen noch.

40:31
Und noch etwas tut sich: Liebichs Bewährungsstrafe wird rechtskräftig, wegen der Verleumdung von Renate Künast und wegen Volksverhetzung. Im März 2023 wird seine Revision verworfen. Das heißt, Sven Liebich ist nun auf Bewährung. Und zwar für die nächsten drei Jahre. So lange dauert der Bewährungszeitraum. Und in diesen drei Jahren darf er sich grundsätzlich keine weiteren Straftaten erlauben. Sonst müsste er für zehn Monate in Haft.

41:07
Dazu kommt ein weiteres Verfahren – und das betrifft Sven Liebichs Geschäft. Gegen ihn läuft inzwischen nämlich ein Verfahren zur Gewerbe-Untersagung. Das hat die Stadt Halle in Gang gesetzt, genauer das Gewerbeamt. Das Amt kann einem Unternehmen oder einer Person untersagen, ein Gewerbe weiterzuführen, wenn eine Unzuverlässigkeit im Sinne der Gewerbeordnung nachgewiesen wird. Das heißt zum Beispiel, wenn Steuern nicht bezahlt werden oder die Löhne oder Sozialversicherung für die Angestellten nicht pünktlich bezahlt werden. Und auch Straftaten im Zusammenhang mit dem Gewerbe können ein Anlass für ein Gewerbe-Entzugsverfahren sein. Was im Fall von Sven Liebich zu diesem Verfahren geführt hat, erfahren wir nicht. Nach unseren Informationen hat Sven Liebich dagegen Widerspruch eingelegt. Der Ausgang ist bei Redaktionsschluss noch offen. 
Sven Liebich und seine Schwester äußern sich dazu nicht. 

42:04
Auch bei der Staatsanwaltschaft Halle gibt es Neuigkeiten: Seit Anfang Mai dieses Jahres gibt es die sogenannte "Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet". Die ist für ganz Sachsen-Anhalt zuständig und führt nun alle Verfahren im Land, die mit Hass und Hetze im Netz zu tun haben. Insgesamt sollen sich nun mehr Staatsanwälte um diesen Deliktbereich kümmern.
Was die Fälle von Sven Liebich betrifft, gibt es auch eine Veränderung: Die bisher für die Liebich-Fälle zuständige Staatsanwältin bearbeitet inzwischen andere Fälle. Wir fragen bei der Staatsanwaltschaft nach, ob der Personalwechsel mit der öffentlichen Kritik am Umgang mit den Liebich-Verfahren zu tun hat. Die Antwort bekommen wir nur schriftlich,

42:55
Zitat: "Es ist zutreffend, dass die Bearbeitung der Ermittlungsverfahren gegen Sven Liebich nunmehr in der Hand eines anderen Dezernenten der Staatsanwaltschaft liegt. Eine irgendwie von außen geäußerte Kritik war für diesen Umstand ohne Bedeutung."
Quelle: E-Mail der Staatsanwaltschaft Halle vom 18.04.2023

43:21
Mitte Mai 2023 steht Sven Liebich wieder vor Gericht. Vor dem Amtsgericht Halle werden ihm 24 Straftaten angelastet: Darunter Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede und Hausfriedensbruch. Die vorgeworfenen Taten fallen in die Zeit, bevor die Bewährungsstrafe rechtskräftig wurde. Das heißt also, im Falle einer Verurteilung droht ihm nicht zwangsläufig eine Haftstrafe. Unser Kollege Tim spricht Sven Liebich auf die Vorwürfe an:

43:55
Tim Schulz: "Herr Liebich, Tim Schulz vom Mitteldeutschen Rundfunk. Wie stehen Sie denn zu den Vorwürfen, die geäußert wurden?"
Sven Liebich: "Ich stehe zur Lügenpresse nicht gut."
Tim Schulz: "Ihnen wird ja eine ganze Reihe von Straftaten vorgeworfen. Was sagen Sie denn dazu?"

44:05
Liebich und seine Verteidigerin gehen weg, er will auch dieses Mal nicht mit uns sprechen.

44:12
Draußen vor dem Amtsgericht haben sich rund 30 Menschen vom Bündnis "Halle gegen Rechts" versammelt und protestieren. Auf Transparenten fordern sie, rechtsextreme Straftaten konsequenter zu verfolgen. Mit dabei ist auch "Katrin Schmidt" von den Omas gegen Rechts. Ihr kennt Katrin Schmidt aus der ersten Folge, mit ihr haben wir diesen Podcast angefangen. Um sie vor Sven Liebich und seinem Umfeld zu schützen, haben wir ihren Namen geändert. Auch ihr Fall wird im neuen Prozess verhandelt. An diesem ersten Prozesstag ist noch offen, ob sie als Zeugin aussagen muss. 

44:52
Katrin Schmidt (Name geändert): "Naja, das ist so ein bisschen unberechenbar, was da jetzt passiert. Nee. Keine Ahnung. Aber trotzdem denke ich, ich muss was dagegen tun. Wir müssen was dagegen tun. Wir müssen uns einfach wehren."

45:03
Wenn sie in den Zeugenstand muss, dann wird Liebich ihre Identität erfahren. Das ist Katrin Schmidt bewusst. In der ersten Folge hat sie uns erzählt, wie erschüttert ihr Vertrauen in den Rechtsstaat ist. Weil sie nicht nachvollziehen kann, warum die Staatsanwaltschaft das Verfahren zu ihrer Anzeige eingestellt hat. Nur weil Katrin Schmidt hartnäckig blieb und Beschwerde einlegte, ist ihr Fall nun auch Teil der Anklage. Dreieinhalb Jahre nach ihrer Anzeige.

45:36
Katrin Schmidt (Name geändert): "Es ist einfach so, dass man das Gefühl hat, man engagiert sich gegen rechts, man kommt in Gefahr und man, man wird vom Staat da alleine gelassen in dieser Situation. Und das ist was, was ich einfach überhaupt nicht verstehen kann, weil die extreme Rechte greift einfach unsere Demokratie an. Sie greift unseren Staat an. Und das muss doch das Interesse des Staates sein, den Menschen zu helfen und sie zu unterstützen, die da dagegen sind, die einfach den Rechten ein Stopp vor die Nase setzen. Es kann nicht sein, dass wir da alleine gelassen werden. Und ich meine, wenn der Staat nicht will, dass die Menschen sich immer mehr zurückziehen, wenn sie sich vorher gegen Rechts engagiert haben, dann muss er da was tun. Das kann nicht so weitergehen."

46:12
Das Urteil in dem Prozess gegen Sven Liebich wird im Juli 2023 erwartet. 

46:25
Nach dieser Recherche – am Ende dieses Podcasts fällt uns ein kurzes, knackiges Fazit schwer. Denn die Sache ist kompliziert. 

46:36
Der Fall Liebich zeigt ein Dilemma der Demokratie: Die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit garantiert das Grundgesetz – sie gelten für jeden. Doch Rechtsextremisten wie Sven Liebich nutzen diese demokratischen Freiheiten – für ihren Kampf GEGEN die Demokratie. 

46:59
Unsere Ausgangsfrage für den Podcast war: Kann es sein, dass der Rechtsstaat im Fall Sven Liebich an seine Grenzen stößt? 

47:13
Sicher ist: Unter den Machenschaften von Sven Liebich leidet eine ganze Stadt. Er hetzt auf der Straße und im Netz, er macht Menschen zur Zielscheibe – und verdient Geld mit dem Hass. Das alles geht seit Jahren so – und die Behörden hatten Sven Liebich immer im Blick. Doch bis heute kann er weitermachen. 

47:39
Auch wenn sich aktuell vieles bewegt – eine neue Anklage, ein Gewerbe-Entzugsverfahren, strengere Auflagen für die Demos – wie das ausgeht – und ob der Rechtsstaat es schafft, Sven Liebich das Handwerk zu legen – ist offen.

47:54
Unsere Recherche hat gezeigt: Er säße vermutlich bereits hinter Gittern, wenn die Staatsanwaltschaft Halle anders agiert hätte.  Aber ihr Vorgehen – das begründet die Staatsanwaltschaft Halle mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Mit den Regeln der Strafprozessordnung. Und auch diese Regeln gelten im Rechtsstaat aus guten Gründen für alle. 

48:20
Unsere Recherche hat aber auch gezeigt: Oft brauchen die Betroffenen nicht nur Mut zur Anzeige, sondern auch einen langen Atem, um für ihre Rechte einzustehen, um den Rechtsstaat in die Pflicht zu nehmen.

48:37
2020 hat der Landtag von Sachsen-Anhalt die Verfassung des Landes geändert. In einem neuen Artikel steht nun, Zitat: "Rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen."
Quelle: Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt

48:59
Wie durchsetzungsfähig der Rechtsstaat am Ende ist, das hängt von den zuständigen, handelnden Personen ab: In den Ermittlungsbehörden, den Staatsanwaltschaften und bei den Gerichten. Es liegt in ihrer Hand, wie konsequent der Rechtsstaat Hasskriminalität und rechtsextreme Straftaten verfolgt und die Betroffenen schützt.

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MDR

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