Lucie Lehmann steht am DJ Pult
Lucie Lehmann alias DJ Lucie Vuittong legt in Halle und Umgebung auf. Bildrechte: MDR/Josephine Reinländer

Sexuelle Übergriffe Wie Sexismus den Arbeitsalltag von weiblichen DJs beeinflusst

09. Oktober 2022, 13:55 Uhr

Die DJ-Szene in Sachsen-Anhalt ist stark von Männern geprägt. Für junge weibliche Künstlerinnen ist es schwer Fuß zu fassen. Während Auftritten sind sie zudem häufig Sexismus ausgesetzt – sowohl von Partybesuchern, als auch von männlichen Kollegen oder Veranstaltern. Zwei DJs berichten von ihren Erfahrungen im Club-Alltag.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Lucie Lehmann aus Halle ist DJ aus Leidenschaft – und das bereits seit sechs Jahren. "Am meisten Spaß macht mir dabei, dass ich den Leuten meine Musik zeigen kann, die mich erfüllt und berührt", erzählt die 24-Jährige. In Halle und Umgebung legt sie vor allem House-Musik auf. Mit Erfolg. Über die Jahre habe sie sich einen guten Nebenverdienst aufgebaut, sagt die Hallenserin.

Doch so sehr die Studentin diesen Job liebt, vor den Problemen der Branche kann auch sie die Augen nicht verschließen. Nachtclubs sind häufig Schauplatz von Sexismus und sexueller Belästigung. Als DJ sei sie davon genauso betroffen wie die anderen Partybesucherinnen. "Es ist ein Problem, das wir nicht mehr weglächeln oder unter den Teppich kehren können", betont sie. In den vergangenen Jahren sei dem Thema zwar endlich mehr Beachtung geschenkt worden, trotzdem müsse in der Szene noch einiges getan werden, um Clubs sowohl als Freizeitort, als auch als Arbeitsplatz sicherer zu gestalten.

Sexuelle Belästigung beginnt verbal

Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Sexismus als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Ein Teil dessen sind etwa typische Geschlechterrollen und bestimmte Erwartungen gegenüber Frauen beziehungsweise Männern. Auch sexuelle Belästigung kann als Teil von Sexismus gesehen werden – oder aber daraus resultieren. Oft verlaufen die Grenzen aber schwimmend, wie auch Lucie Lehmann aus ihren eigenen Cluberfahrungen berichten kann: "Es kommt nicht selten vor, dass Leute im Club angefasst oder ungefragt geküsst werden. Es fängt aber auch schon damit an, dass ungefragt Drinks bestellt werden. Das ist in dem Fall nicht nett, sondern ein Übergehen, eine Übergriffigkeit."

Es kommt nicht selten vor, dass Leute im Club angefasst oder ungefragt geküsst werden. Es fängt aber auch schon damit an, dass ungefragt Drinks bestellt werden. Das ist in dem Fall nicht nett, sondern ein Übergehen, eine Übergriffigkeit.

Lucie Lehmann alias DJ Lucie Vuittong

Sexismus beginne aber bereits im Verbalen, wie Lehmann zu Beginn ihrer DJ-Karriere erleben musste. "Gerade am Anfang war es für mich sehr schwer, als weibliche DJ in der Szene Fuß zu fassen. Es wird dir teilweise einfach nicht zugetraut, dass du das tatsächlich schaffst. Aber warum können Frauen nicht das Gleiche erreichen wie Männer? Oder manchmal sogar noch mehr?" Auch heute, sechs Jahre später, ist das Thema für sie präsent. "Wenn ich als einzige Frau auf einer Party auflege, stelle ich mir oft die Frage, ob ich nur für die Quote gebucht wurde oder wirklich wegen der Musik", erzählt sie.

Umgang mit Sexismus ist abhängig vom Club

DJ Equipment auf einem Tisch
Noch immer ist es für weibliche DJs schwerer, in der Szene Fuß zu fassen. Bildrechte: MDR/Josephine Reinländer

Wenn es in Magdeburg dunkel wird und die Clubs ihre Türen öffnen, ist auch Caroline Gerda Knapp mittendrin. Als DJ Gerda versucht die Umweltpsychologin in der Landeshauptstadt Fuß zu fassen. Mit Sexismus musste sie ebenfalls schon häufiger Erfahrungen machen, auch, wenn sie zunehmend damit umzugehen weiß. "Je älter und selbstbewusster ich wurde, desto besser habe ich gelernt, Situationen, in denen ich mich unwohl fühle, aus dem Weg zu gehen. Als DJ ist das noch einfacher geworden. Ich habe ja den Backstage-Bereich als Rückzugsort, bekomme schneller Getränke an der Bar und bespiele eine gewisse Rolle im Club. Wenn ich jedoch beobachte, dass jemand bedrängt wird oder in einer unangenehmen Situation steckt, gehe ich aktiv auf die Leute zu und frage nach", erzählt die 29-Jährige.

Sexistische Kommentare gebe es trotzdem immer: "Da muss noch einiges getan werden, damit das nicht weiter normalisiert wird." Dabei komme es jedoch sowohl auf den Club und sein Konzept, als auch auf das Klientel der Veranstaltung an. "Manchmal gehe ich nicht auf Partys, wenn die an einem bestimmten Wochentag stattfinden und ich weiß, welche Gruppen der Club anzieht. In einigen Clubs gibt es mehr Vorfälle als in anderen", erzählt Knapp. Auch der Umgang des Clubs mit Alkohol- und Drogenkonsum spiele eine Rolle.

Fehlende Diversität macht es DJ-Newcomerinnen schwer

Eine Frau steht in einem Garten an einem DJ Pult
Caroline Knapp legt als DJ Gerda in Magdeburg auf. Bildrechte: Giovanna Gahrns

Ein weiteres Problem: Die DJ-Szene wird vor allem von männlichen Künstlern geprägt. Die Anzahl an weiblichen DJ-Acts auf Festivals liegt weltweit bei nur rund 28 Prozent, wie eine Erhebung des Netzwerks "Female Pressure" zeigt. Es fehlt an Vorbildern und Räumen, um sich auszuprobieren, weiß auch Caroline Knapp. Deshalb hat sie mit einigen DJ-Kolleginnen und -Kollegen aus Magdeburg das Kollektiv "Tables will turn" gegründet. Mit ihrem privaten Equipment gibt die Gruppe seit etwa einem Jahr regelmäßig DJ-Workshops für alle, die Lust haben, sich in dem Bereich auszuprobieren. "Es fällt schon auf, dass es der Szene noch an Diversität fehlt. Weibliche DJs sind einfach noch nicht so zahlreich und fest in der Szene integriert", so Knapp. Die Hürde für Anfängerinnen sei auch relativ hoch, weil die Technik teuer sei.

Viele Clubs haben meist auch schon ihre festen Resident-DJs. Als Newcomerin sei es dann schwer, hier noch einzusteigen, vor allem, da Buchungsanfragen häufig über Freundschaften laufen. "Man merkt einfach, dass die Jungs mehr integriert sind. Verbindungen sind alles!", berichtet sie. Während einige männliche Kollegen von dieser Situation profitierten, gebe es jedoch auch DJs, die den weiblichen Nachwuchs unterstützten. Diese Erfahrung hat auch Lucie Lehmann gemacht. Besonders am Anfang waren es zwei langjährige männliche Freunde, die sie motiviert und bestärkt hätten, erzählt sie. "Es tut gut zu wissen, dass es auch Männer gibt, die ein Auge darauf haben und sich bemühen, FLINTA Personen in der Clubszene zu unterstützen."

Was sind FLINTA Personen?

"FLINTA" steht für Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binär, Trans und Agender Personen. Der Begriff bezeichnet Menschen, die eine andere Geschlechtsidentität als cis hetero männlich haben.

Sexismus im Club: Gefragt ist jeder einzelne

An Clubbesucher und -besucherinnen hat Lucie Lehmann eine Bitte: "Achte auf deine Umgebung, achte auf deine Getränke und achte vielleicht auch darauf, wie die Menschen dir begegnen. Wenn jemandem etwas auffällt, dann sollte man das melden. Das erfordert Ehrlichkeit."

Auch die Organisatoren und Clubbetreiber stehen in der Verantwortung, ein Miteinander zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen. "Das ist nicht immer einfach, da Clubs auch Profit machen wollen. Und viele Leute, die viel Trinken, bedeuten ein erfolgreiches Partywochenende", so Caroline Knapp. Das Publikum könne man sich in gewisser Weise aber auch erziehen. So könnten Plakate über Sexismus aufklären. Sogenannte Awareness-Teams, kleine Gruppen, die speziell zu dem Thema geschult sind, könnten im Club präsent und als Ansprechpartner da sein. Die Security, die Garderobe und das Barpersonal müssten untereinander gut kommunizieren, fordert die DJ. Es könnte außerdem einen ruhigen Raum ohne Musik und mit etwas Licht geben, in dem man sich ausruhen kann, ohne gleich den Club verlassen zu müssen.

MDR (Sarah-Maria Köpf, Josephine Reinländer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 09. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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