Podcast "Digital leben" Das bessere soziale Netzwerk ist selbstgemacht
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24. April 2022, 12:29 Uhr
Aufmerksamkeitsökonomie, Überwachungskapitalismus, Hass- oder Propagandamaschine sind Begriffe für das Internet und wie dort Geld verdient und Stimmung gemacht wird. Vor allem bei den kommerziellen sozialen Medien. Dabei gibt es die Funktionen, die soziale Medien so spannend machen, auch ohne Konzerne und deren Gewinnstreben. Einige Sachsen-Anhalter zeigen, wie es gehen kann.
Auf seiner Internetseite schreibt der Magdeburger Verein Softwerke Großes: Die Mitglieder wollen sich für "die digitale Freiheit und Selbstbestimmung im Internet einsetzen." Der Verein organisiert Workshops und bietet freie Internet-Dienste. Zum Beispiel die Plattform machteburch.social – ein Micro-Blogging-Dienst, ähnlich wie Twitter, auf dem Nutzerinnen und Nutzer weltweit kurze Nachrichten, Fotos oder Videos verschicken oder teilen können.
Der Dienst heißt Mastodon und nimmt Twitter ein wenig aufs Korn: Hat der US-Konzern einen hellblauen Vogel als Maskottchen, ist es bei Mastodon ein hellblaues Mammut und die Kurznachrichten heißen entsprechend nicht Tweets sondern Trööts.
Mastodon wird nicht zentral von einem Unternehmen angeboten und beruht auf einer freien Software, die ein Student in Jena 2016 entwickelt hat.
Mastodon: Ein Teil des Fediverse
Die Micro-Blogging-Plattform Mastodon ist ein Teil des Fediverse, einem Netzwerk voneinander unabhängiger Netzwerke, das ab 2008 entstand. Das Wort Fediverse ist aus Federation (englisch für Föderation) und Universe (Universum) zusammengesetzt. Am Fediverse kann jeder und jede teilhaben und eine eigenen Server, eine so genannte Instanz, aufbauen und sich dort meist kostenlos anmelden.
Weltweit nutzen wohl etwa vier Millionen Menschen das Fediverse. In Deutschland sind der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, der Landesdatenschützer Baden-Württembergs und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bei Mastodon.
Einen Mastodon-Server, auch Instanz genannt, kann praktisch jeder einrichten. Hannes Kuehn hat das mit zwei Freunden vor zwei Jahren gemacht. "Wir wollten das einfach mal ausprobieren, die beiden hatten das Know-How und jetzt hat sich die kleine, feine Mastodon-Instanz dem Verein angeschlossen."
Welche Dienste es im Fediverse noch gibt
Im Fediverse gibt es viele Plattformen, die auf Open Source basieren und sehr ähnliche Funktionen bieten wie klassische, kommerzielle soziale Netzwerke. In den vielen Fällen genügt ein einziges Konto bei einem dieser sozialen Netzwerke, um auch andere nutzen zu können. Das sind einige Fediverse-Alternativen zu kommerziellen sozialen Netzwerken:
- statt Instagram Pixelfed,
- statt Twitter Mastodon (z.B. machteburch.social) oder Pleroma,
- statt Facebook friendica, Hubzilla oder Diaspora,
- statt Youtube PeerTube.
Außerdem gibt es noch die Audioplattform Funk Whale, die Blogging-Plattformen Plume oder WriteFreely oder die Eventplattform Mobilizon .
Hannes studiert an der Hochschule Magdeburg-Stendal Journalismus im sechsten Semester und hat im Januar 2021 mit weiteren Freunden den Verein Softwerke gegründet. Er ist mittlerweile Betreiber der Mastodon-Instanz. "Zur Zeit haben wir 143 registrierte Profile. Alle sind von Hand geprüft, es sind also keine Bots dabei. Und 39 davon sind regelmäßig aktiv", sagt Hannes.
Ein Magdeburger Verein und sein soziales Netzwerk
Für sein selbst gemachtes soziales Netzwerk hat der Verein keinen Computer im Keller stehen, sondern bei einem Rechenzentrum entsprechende Kapazitäten gemietet. An Mastodon begeistert Hannes, dass es eine freie und quelloffene Software ist. "Der Bauplan der Software liegt offen", sagt er. Der Facebook-Konzern Meta würde nie verraten, wie Instagram oder WhatsApp funktionieren. Selbst Apple täte das nicht. "Das ist ein kleiner Vertrauensvorschuss für Open-Source-Software."
Außerdem habe der Verein – und auch sonst kein Betreiber von Mastodon-Instanzen – kein Interesse, Geld mit den Inhalten auf der Plattform zu verdienen. Ein weiterer Punkt: Der Magdeburger Verein hat seine Mastodon-Instanz selbst in der Hand und unter Kontrolle "Weil es eine selbstorganisierte Sache ist, sind wir frei, uns quasi eigene Regeln zu schaffen. Das geht bei klassischen sozialen Medien nicht", sagt Hannes Kuehn.
Dem Verein Softwerke sei es deshalb auch nicht wichtig, möglichst viele Nutzer auf seiner Mastodon-Instanz zu haben: "Es geht uns um Bildung. Wir möchten den Menschen zeigen und erklären, wie das Internet funktioniert, wie bestimmte Dienste funktionieren und einen niedrigschwelligen eigenen Einstieg bieten." Wenn eine Schule oder ein Verein selbst ein eigenes Mastodon-Netzwerk anlegen wollten, würde Softwerke Fragen beantworten, Workshops anbieten und beim Einrichten helfen, sagt Hannes.
So ähnlich stellt es sich auch Informatik-Professorin Jana Dittmann von der Uni Magdeburg vor. Auch sie richtet gerade eine Mastodon-Instanz ein und installiert dafür extra einen neuen Server an der Uni. "Mir ist Datensicherheit besonders wichtig. Und wer die umsetzen möchte, muss ein System selbst gestalten können." Das sei mit Open-Source-Software möglich, die man auf einem eigenen Gerät installieren kann.
Ressourcenschonende soziale Netzwerke
Für Dittmann haben selbst gebaute soziale Netzwerke auch einen ökologischen Effekt: "Nutzen unsere Studierenden die Instanz, geht es direkt in unser Uni-Rechenzentrum und nicht über weltweit verteilte Server." Weltweiter Datenverkehr würde an vielen Stellen Strom verbrauchen und Geräte abnutzen. Ein regionales oder lokales soziales Netzwerk wäre umweltschonender.
Außerdem seien bei Mastodon keine Dritten beteiligt, die zum Beispiel Werbung schalten und so weitere Ressourcen benötigen würden. "Man könnte sogar den Strom auf einem Dach mit einer Solarzelle lokal erzeugen", meint Dittmann.
Forderung: öffentliche Institutionen ins Fediverse
Und geht es nach Jana Dittmann, sollten nicht nur Privatmenschen das Fediverse und Mastodon nutzen. Sie wünscht sich, dass die Social-Media-Experten von Verwaltungen der Städte, Landkreise oder dem Land auf das Fediverse und die Instanz an der Uni Magdeburg aufmerksam werden. "Sie sollten überzeugte Nutzer von diesen alternativen sozialen Medien werden und auch uns Feedback geben, um es noch besser zu machen, damit wir eine landesweite Lösung haben, eine Land-Sachsen-Anhalt-Community im Fediverse."
Sachsen-Anhalts amtierender Datenschutzbeauftragter Albert Cohaus sieht sogar, dass Behörden, Kommunen, Universitäten, Ministerien und Staatskanzleien datenschutzgerechten sozialen Medien zu einem Erfolg verhelfen können. "Das wäre schon eine starke Marktmacht, die entweder die vorhandenen Anbieter zwingt, sich datenschutzgerecht zu verhalten oder eben diese anderen Systeme erfolgreich zu gestalten." Würde das europaweit gelingen, hätten solche Alternativen Erfolg, ist sich Cohaus sicher. Aber bisher sei sein Eindruck, dass viele Institutionen nichts von solchen Alternativen wüssten, sagt Cohaus im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben"
"Aber Datenschutzbeauftragte sind natürlich auch nicht die Stiftung Warentest und empfehlen bestimmte Produkte. Manches muss vielleicht noch entwickelt oder ergänzt werden." Aber es wäre ein wichtiges Signal für eine digitale europäische Gesellschaft, das sie und nicht US-Konzerne souverän über die eigenen Daten bestimmen könnte.
Der Faktor Mensch
Bislang allerdings hat das Fediverse bei weitem nicht so viele Nutzer wie Facebook und Co. Fediverse- und Social-Media-Expertin Stephanie Henkel aus Dresden glaubt, dass das daran liegt, dass nicht so viele bekannte Persönlichkeiten oder Medienschaffende im Fediverse aktiv sind.
Wer aber wirklich einen echten Austausch wolle, sei im Fediverse viel, viel besser aufgehoben, sagt Henkel. Die Nutzerinnen und Nutzer seien hier freundlicher und würden weniger pöbeln. "Viele geben sich mehr Mühe und überlegen, ob sie jemanden mit einem Post triggern könnten", sagt sie. Deshalb könnte man im Fediverse Inhaltswarnungen vorschalten: "Wer etwas über den Ukraine-Krieg schreibt, kann davor eine Meldung für die Nutzer setzen, die vielleicht das hundertste Kriegsbild nicht mehr ertragen."
Trotzdem gäbe es natürlich Verstöße gegen Regeln. Die Regeln allerdings legt jede Instanz selbst fest. Das hat auch der Magdeburger Verein Softwerke für machteburch.social gemacht und blockt einige andere Instanzen, die zum Beispiel Verschwörungserzählungen, Rassismus oder Spam verbreiten. Auf seiner Regel-Seite nennen die Magdeburger diese Instanzen, so dass jeder, der sich dort umschauen will, sich dort trotzdem ein Konto einrichten kann.
Auf der eigenen Instanz hätten sie bisher nur einige Male einschreiten müssen, sagt Hannes Kuehn: "Und wie bei klassischen Social Medien kann man bei uns auch Beiträge oder Profile melden und wir warnen den Urheber oder löschen dessen Profil." Aber – anders als herkömmlichen sozialen Medien – sei man auch immer ansprechbar.
MDR (Marcel Roth)
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