Interview Geschlossener Kreißsaal: Wie lange Fahrtwege die Geburt beeinflussen
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Von Annekathrin Queck, MDR SACHSEN-ANHALT
25. Januar 2024, 16:30 Uhr
In Deutschland gibt es immer weniger Krankenhäuser, die Geburten betreuen. Auch in Sachsen-Anhalt gab es in den vergangenen Jahren Kreißsaalschließungen, zum Beispiel in Zeitz. Dadurch müssen Schwangere für die Geburt zum Teil deutlich längere Wege auf sich nehmen. Warum das problematisch ist, erklärt der Verein "Mother Hood", der sich für sichere Geburten einsetzt, im Interview.
MDR SACHSEN-ANHALT: Weil in Deutschland immer mehr Geburtsstationen schließen, müssen Familien teilweise 30 bis 40 Minuten fahren, um in den nächsten Kreißsaal zu kommen. Welche Folgen können lange Fahrtwege für die Geburt haben?
Katharina Desery, Vorstand im Verein "Mother Hood": Das wissen wir nicht genau und das ist das große Problem. Es gibt keine Studien oder Befragungen, es gibt nur vereinzelte Stimmen. Je länger der Anfahrtsweg unter Wehen ist, desto unangenehmer ist das für die Frau. Das heißt nicht, dass es nur nicht "schön" ist, sondern die Frau in einer hochemotionalen Situation ist und weiß, sie muss 30, 40 oder 50 Minuten bis zum nächsten Kreißsaal fahren. Dann ist vielleicht noch nicht einmal sicher, ob der Kreißsaal nicht überfüllt ist und sie woanders hinfahren muss oder ob ihr in dem überfüllten Kreißsaal geholfen wird, in einen anderen Kreißsaal zu kommen.
Je länger der Anfahrtsweg unter Wehen ist, desto unangenehmer ist das für die Frau.
Katharina Desery Katharina Desery ist Vorstandsmitglied und Pressesprecherin des Verbandes "Mother Hood" (engl. für "Mutterschaft"), der sich für sichere Geburten und die Rechte von Frauen und Familien einsetzt. Außerdem fordert der Verband eine bessere geburtshilfliche Versorgung in Deutschland.
Diese Ungewissheit bedeutet unnötigen Stress in einer Situation, in der sich Frauen auf die Geburt einstellen sollten, freuen, guter Hoffnung sein und loslassen sollten. Denn die Geburt hat auch viel mit Öffnung zu tun – im wahrsten Sinne des Wortes.
Durch so eine Stresssituation kann sich eine Geburt unnötig hinziehen. Es kann zum Beispiel zu einem Stopp der Wehen kommen. Abgesehen davon ist das Risiko für sogenannte Parkplatz-Geburten umso höher, je weiter die Frauen fahren müssen. Das kommt zwar relativ selten vor, aber auch da wissen wir nicht, wie oft es tatsächlich passiert oder wie viele Kinder im Krankenwagen zur Welt kommen.
Welche Gefahren können entstehen, wenn eine Frau so lange im Auto unterwegs ist?
Diese Frage kann ich als Elternvertreterin nicht gut beantworten. Ich kann Ihnen nur erzählen, was das für die Frauen emotional bedeuten kann. Aber, ob der Anfahrtsweg von 30, 45 oder 60 Minuten ein gesundheitliches Risiko mit sich bringt, kann ich schwer einschätzen. Die meisten Risiken einer Geburt zeichnen sich ab und passieren nicht von jetzt auf gleich. Natürlich gibt es Situationen, zum Beispiel in der Plazentaablösung, da muss es schnell gehen, aber das ist nicht die Regel.
Die meisten Geburten sind erst einmal gesund. Und bei denen, die mit gewissen Risiken behaftet sind, sind es meist Risiken, die man schon vorher identifizieren kann. Das ist auch ganz wichtig, denn wenn eine Frau zum Beispiel eine Präeklampsie hat, muss man im Vorfeld genau mit ihr besprechen, was sie tun sollte. Aber das gesundheitliche Risiko können Ihnen Ärzte und Hebammen besser erklären.
Stichwort: Präeklampsie Als Präeklampsie bezeichnet man das erstmalige Auftreten oder eine Verschlimmerung von Bluthochdruck zusammen mit einer vermehrten Eiweißausscheidung im Urin nach der 20. Schwangerschaftswoche.
Nach Aussage des Landeshebammenverbands führen lange Fahrtwege auch zu häufigeren Interventionen wie dem frühzeitigen Einleiten der Geburt, um ein Hin- und Herfahren der Frauen zu vermeiden. Was macht das mit einer Schwangeren, wenn die Geburt beeinflusst wird?
Grundsätzlich ist es tatsächlich so, dass wir von vermehrten sogenannten Früh-Aufnahmen sprechen. Wenn die Frauen spüren, dass die Geburt losgeht, kann es noch fünf Stunden, genauso aber auch 15 Stunden oder länger dauern. Gerade bei Erstgebärenden ist alles möglich. Die Frauen wissen nicht, was sie jetzt tun sollen und bevor sie hin und hergeschickt werden, fahren sie lieber rechtzeitig in die Klinik. Und in der Klinik muss sich oder möchte man sich natürlich auch um die Frauen kümmern.
Aber in dieser Phase am Anfang der Geburt, in der Latenzphase, ist es ganz wichtig, sie in Ruhe und in einem guten Umfeld zu erleben. Aber viele Frauen sind dann schon in den Geburtsstationen auf einem Zimmer und warten, dass die Geburt vonstatten geht. Dort können sie sich natürlich nicht so frei bewegen, wie sie es vielleicht zu Hause tun könnten.
Eingriffe während der Geburt erleben manche Frauen auch als übergriffig und leiden unter psychischen Folgen. Welche Rückmeldungen erreichen Ihren Verband zu diesem Thema? Wie groß ist das Problem?
Ungefähr bei 30 Prozent der Geburten erlebt eine Frau die Geburt als belastend oder traumatisch – das ist schon eine relativ hohe Zahl. Nicht jede dieser Frauen hat die Geburt als respektlos oder gewaltvoll empfunden. Es kann auch andere Gründe haben, warum Frauen traumatisiert sind. Aber ein häufig genannter Grund ist schon, dass, wenn nicht vernünftig mit den Frauen kommuniziert wird, sie sich wie eine Gebärmaschine fühlen, die irgendwie funktionieren muss: Keiner spricht mit ihnen, keiner erklärt ihnen, was passiert oder in Notfällen wird über ihren Kopf hinweg entschieden und sie haben im Nachhinein nicht die Gelegenheit, das, was sie erlebt haben, zu besprechen.
Man muss sich immer wieder vor Augen halten: Die Geburt des eigenen Kindes ist für die meisten Frauen ein emotionaler Kraftakt, im Positiven wie im Negativen. Da ist alles dabei und das ist für jede Frau einzigartig. Häufig ist es so, dass, wenn die Bedingungen nicht gut sind, dieses hochwichtige Ereignis negativ verläuft. Das kann extreme Auswirkungen auf das weitere Leben haben und eine starke Belastung sein.
Um den Bogen zu den Kreißsaalschließungen zu schlagen, muss man sich vorstellen: Die Wehen fangen an oder es gibt einen Blasensprung und die Frauen fahren los. Entweder kommt es zu einem Geburtsstillstand aufgrund der Fahrt oder sie kommen möglicherweise schon völlig gestresst im Kreißsaal an. Wenn sie dann auch nicht vernünftig versorgt und begleitet werden, entsteht ein Kreislauf, der einfach nicht gut für eine Geburt ist.
Überall in Deutschland haben in den vergangenen Jahren Kreißsäle geschlossen. Wie ist denn Ihrer Einschätzung nach gerade der Zustand der Geburtshilfe in Deutschland?
Also wenn ich mir die Zahlen angucke, dass bis zu 30 Prozent der Frauen traumatisiert sind, bis 50 Prozent der Frauen irgendeine Art von Respektlosigkeit oder Gewalt, also Übergriffe während der Geburt, erleben – Wenn ich mir diese ganzen Probleme, die wir in der Geburtshilfe haben, anschaue, dann kann ich der geburtshilflichen Versorgung keine gute Note geben. Im Gegenteil: Ich muss sagen, die geburtshilfliche Versorgung ist schlecht, die ist nicht überall schlecht, nicht zu jeder Schicht schlecht. Es ist ganz klar, dass es Teams gibt, die sehr gut arbeiten in kleineren Kliniken, in großen Kliniken. Es gibt sehr engagierte Hebammen und Ärztinnen und Ärzte, aber es kommt viel zu oft vor, dass die Versorgung auch vom Glück abhängig ist.
Es kommt viel zu oft vor, dass die Versorgung auch vom Glück abhängig ist.
Wir haben viel zu wenig Hebammen. Frauen müssen sich eine Hebamme mit drei, vier anderen Frauen teilen. Da kann eine Versorgung nicht gut sein, das geht einfach nicht.
Ihr Verband beschäftigt sich damit, wie Frauen eine gute Geburt erleben können oder was es bräuchte, damit die Geburtshilfe besser wird. Was genau fordern Sie?
Das Allerwichtigste ist, dass während der Geburt eine Eins-zu-Eins-Betreuung ermöglicht wird. Frauen müssen sich darauf verlassen können, dass eine Hebamme an ihrer Seite ist, wenn sie sie brauchen. Damit einhergehend müssen die Geburten besser vergütet werden.
In den Regionen, in denen Kreißsäle schließen, müssen wir aber auch gucken, dass die Frauen nicht alleine gelassen werden. Wir können nicht auf der einen Seite Kreißsäle schließen und uns auf der anderen Seite keine Gedanken darum machen, wie die Schwangeren dort versorgt sind. Selbst, wenn ein Kreißsaal aufgrund von geringen Geburtenzahlen oder weil man kein Personal findet, schließen muss, muss es vor Ort ein vernünftiges Konzept geben, wie die Frauen versorgt werden. Es kann nicht sein, dass sie ganz alleine 45 Minuten durch die Gegend fahren müssen. Da muss es vor Ort Konzepte geben und die Frauen müssen gut informiert werden, an wen sie sich in so einer Situation wenden können.
Die Fragen stellte Annekathrin Queck für MDR SACHSEN-ANHALT.
MDR (Annekathrin Queck)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 25. Januar 2024 | 06:30 Uhr
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