CIECH Soda Deutschland Industrie Fabrik, 2020
Über eine Genehmigung zum Einleiten von Salz in die Bode wird derzeit gestritten. Produzent und Umweltverband wollen vor Gericht ziehen. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / Steffen Schellhorn

Kommentar Salz in Bode: Behörden-Kompromiss mit Sprengkraft

23. November 2022, 15:56 Uhr

Um die Regeln zur Einleitung von Industrieabwässern in die Bode gibt es Streit. Umweltverbände und der Sodahersteller Ciech klagen aus unterschiedlichen Motiven gegen das Land. MDR-Reporter Tom Gräbe sieht neues Konfliktpotential.

Tom Gräbe
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Der Zustand der Hartholzauenwälder an der Bode in Staßfurt: mittel-schlecht. Der Erhaltungszustand der Kammmolch-Population: mittel-schlecht. Mops-Fledermaus: mittel-schlecht. Feuchte Hochstaudenfluren: mittel-schlecht. Fischotter: auch.

Der Expertenbegriff "mittel-schlecht" kommt ganze elf Mal vor in den 215 Seiten Einleitgenehmigung. So viele Seiten braucht das Landesverwaltungsamt, um in Worte zu fassen, nach welchen Regeln der Sodahersteller Ciech Produktionsabwässer in die Bode leiten kann. In dieser Einleitgenehmigung kommt das Adjektiv "schlecht" häufiger vor. Jedoch als Teil eines "Verschlechterungsverbots". Der Zustand der Bode soll eher besser werden.

Maximal-komplexe Antwort gesucht

Gefühlt jeder Fisch, jeder Liter Wasser, jede Libelle, jedes Ökosystem, jede chemische Verbindung, die aus den Leitungen des Sodawerks in die Bode fließt, hat in dem Papier einen eigenen Absatz im Text und in den Tabellen. Die maximal-komplexe Antwort auf eine einfach zu formulierende Frage: Wie lassen sich die Interessen von Umweltschutz und Wirtschaft vereinbaren?

Trotz des extrem aufwändigen Genehmigungsverfahrens, trotz der Expertisen, Stellungnahmen, Erörterungsterminen, der beeindruckend tiefen Inventur der Ökologie der Bode, wird diese Frage jetzt früher oder später Gerichte beschäftigen. Auch das ist eher: mittel-schlecht.

Alle sind unzufrieden

Den Umweltverbänden gehen die neuen Regelungen nicht weit genug. Der Sodahersteller will gegen Grenzwerte vorgehen, die er nicht einhalten kann oder will. Beide Seiten klagen, schreibt das Landesverwaltungsamt. Das muss man erstmal schaffen.

Dabei sind die gesetzlichen Regeln so kompliziert, dass die Entscheidung wie ein Kompromiss anmutet. Offensichtlich ein mittel-schlechter. Es gibt einen ganzen Katalog an Auflagen. Ciech muss bis Januar 2023 einen Plan vorlegen, wie Ammoniak und Chlor im Wasser reduziert werden sollen. Außerdem müssen spezielle Filter eingebaut und ein Kühlwasserkonzept vorgelegt werden.

Verstoß gegen EU-Recht?

Einlauf in die Bode, 2020
Gegen die Wiederinbetriebnahme des Einlaufs in die Bode gab es im vergangenen Jahr auch Protest. Bildrechte: IMAGO / Steffen Schellhorn

Das Problem dabei aus Sicht des BUND und des Landesanglerverbands: Die Wasserrahmenrichtlinie der EU sieht vor, dass 2027 alle Gewässer in einen guten ökologischen Zustand gebracht werden müssen. Die Entscheidung zur Bode untergrabe die rechtlich vorgeschriebene Verbesserung des Flusses, hieß es.

Die eigentliche Ursache liegt aber weit zurück: Seit 130 Jahren wird in Staßfurt aus Salz und Kalk Soda hergestellt. Seit 130 Jahren dürften deshalb Abwässer aus der Produktion in die Bode fließen. Lange vor den ersten Umweltgesetzen. Seitdem ist viel Wasser die Bode hinuntergeflossen. In den letzten Jahren wahrscheinlich weniger als üblich, wegen der Dürre. Die Gesellschaft ist sensibler geworden für Umweltfragen. Die Regeln sind strenger.

Einzigartiger Produktionsstandort

Ciech – ein großer Arbeitgeber in Staßfurt – kann aber auch nicht weg. Der Salzstock unter Staßfurt, der Kalktagebau, der Fluss und die gute Bahnanbindung, alles an einem Fleck. Das dürfte in dieser Kombination weit und breit einmalig sein.

Staßfurt Stadtansicht
Die Bode bei Stassfurt. (Archivbild) Bildrechte: imago images/Shotshop

Das 215 Seiten starke Papier, die Einleitgenehmigung, mutet daher auch an wie ein sorgsam austarierter Kompromiss. Was kann der Umwelt zugemutet werden, was dem Unternehmen? Auf der einen Seite: Wirtschaftsinteressen eines großen Arbeitgebers in der Region Staßfurt, noch dazu eines Chemie-Unternehmens, das Grundstoffe herstellt. Auf der anderen: Der Schutz und die Verbesserung der Umwelt.

Gerichte müssen jetzt Kompromiss finden

Ein Kompromiss immer bedeutet auch: Verzicht auf Forderungen. Aber das haben jetzt Gerichte zu entscheiden. Bis es Rechtssicherheit gibt, wird es noch dauern. Das ist auch eher: mittel-schlecht. Für Ciech und die Umweltverbände. Und für die Fische und die Mopsfledermäuse und die Hochstauden und die Harthölzer… Mittel-gut wäre vielleicht eine konsequentere Entscheidung gewesen. Dann würden vielleicht nur die Umweltverbände oder nur der Sodahersteller klagen. Dieser Kompromiss ist am Ende gar keiner…

MDR (Tom Gräbe)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. November 2022 | 08:30 Uhr

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