Ein zerstörtes, symbolisches Buch als Mahnmal.
An der Stelle der am 9. November 1938 zerstörten Synagoge in der Julius-Bremer-Straße steht ein vom Magdeburger Metallgestalter Josef Bzdok 1988 errichtetes Mahnmal für die jüdischen Opfer des Naziregimes. Bildrechte: picture alliance / dpa-Zentralbild | Stephan Schulz

Jüdisches Leben Der lange Weg zu einer neuen Synagoge für Magdeburg

18. Oktober 2019, 20:05 Uhr

Bereits seit Jahrzehnten soll in Magdeburg eine neue Synagoge gebaut werden. Unweit des zur NS-Zeit zerstörten Gebäudes soll ein Neubau entstehen. Doch die Umsetzung des Vorhabens zieht sich hin – auch, weil es in Magdeburg zwei jüdische Gemeinden gibt. Teil 1 unserer Serie zum jüdischen Leben in Sachsen-Anhalt.

Maria Hendrischke
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg keine neue Synagoge gebaut wurde. Dabei gibt es schon seit den 1990er Jahren den Plan, eine neue Synagoge in Magdeburg zu bauen. Denn derzeit treffen sich die jüdischen Gläubigen der Landeshauptstadt in kleinen Gemeindehäusern.

Bis November 1938 hatte Magdeburg eine Synagoge. In der Innenstadt, nahe des Alten Markts, beteten die damals etwa 2.300 jüdischen Magdeburger. Bei den Novemberpogromen wurde das Innere des Gebäudes zerstört, im darauffolgenden Jahr wurde der Bau gesprengt. Nun soll im Zentrum der Landeshauptstadt, in der Julius-Bremer-Straße, eine neue Synagoge entstehen – nur wenige Hundert Meter vom Standort der zerstörten Synagoge entfernt. Ein Banner mit der Aufschrift "Otto braucht eine Synagoge" steht auf dem künftigen Baugrundstück.

Dieter Steinecke, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins "Neue Synagoge zu Magdeburg", ist optimistisch, dass dort 2021 oder 2022 der Neubau steht. Der Bau hätte aus seiner Sicht wichtigen symbolischen Wert:

Wir haben die alte Synagoge 1938 zerstört. Wir haben sechs Millionen Juden ermorden lassen. Insofern diese Entscheidung: Wir müssen symbolhaft auch wieder an dieser Stelle eine neue Synagoge aufbauen lassen.

Dieter Steinecke, Förderverein "Neue Synagoge zu Magdeburg"

Land will 2,8 Millionen Euro beisteuern

Der Stadtrat von Magdeburg habe vor Kurzem mit großer Mehrheit beschlossen, das Grundstück der Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg zu schenken, sagt Steinecke. Jetzt müsse nur noch der Schenkungsvertrag unterzeichnet werden. Ende 2018 hat außerdem der Landtag im Haushaltsplan für 2019 eine Verpflichtungsermächtigung von 2,8 Millionen Euro für den Synagogen-Neubau vorgemerkt. Das Geld soll gezahlt werden, sobald Bildungs- und Finanzausschuss dem Konzept der Synagogen-Gemeinde Magdeburg zugestimmt haben sowie ein konkreter Bau-Entwurf vorliegt.

Das Ziel der Synagogen-Gemeinde und des Fördervereins ist also in greifbare Nähe gerückt. "Aber es bedarf noch einer Menge Arbeit", sagt Steinecke.

Und eine Menge Arbeit und vor allem Zeit liegen offenbar schon hinter dem Förderverein. Schon 1999, also vor 20 Jahren, hat er sich gegründet, um die Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg beim Bauvorhaben mit Spendensammlungen und Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. 2014 hat die Gemeinde schließlich einen Bauantrag gestellt. 2016 ist ein Kuratorium am Kultusministerium gebildet worden, um mit Vertretern der Synagogen-Gemeinde, politischen Fraktionen und Kirchen den Weg für den Synagogenbau zu ebnen.

Warum steht die Magdeburger Synagoge nicht schon längst?

Politische Überzeugungsarbeit nötig

Im aktuellen Koalitionsvertrag bekennt sich die Landesregierung zum Vorhaben, eine Synagoge zu bauen. Doch der politische Bereich habe für das Projekt erst gewonnen werden müssen, erklärt der Vorsitzende des Kuratoriums, Superintendent Stephan Hoenen. "Wir haben viele Herausforderungen. Da gibt es von Bildung über Innere Sicherheit eine ganze Menge Themen, die Abgeordnete bedenken."

Auch Steinecke sagt: "Ich hätte mir gewünscht, als 2014 der Förderantrag gestellt wurde, dass es zügiger geht." Doch der damalige Entwurf für die Synagoge hätte etwa 7,5 Millionen Euro gekostet. Zugleich habe die jüdische Gemeinde in Magdeburg nur etwa 500 Mitglieder – Tendenz sinkend. "Das war auch der Grund der Landesregierung, damals zu sagen: 'Macht das denn Sinn, so eine große Synagoge?'", sagt Steinecke. In der Folge sei die Synagogen-Planung angepasst worden. Der neue Entwurf, auf dem die Berechnungen beruhen, geht laut Steinecke von Baukosten in Höhe von etwa 3,5 Millionen Euro aus.

Zudem habe es bei den Menschen, die politische Verantwortung tragen, ein Umdenken geben müssen. Die neue Synagoge solle eine Begegnungsstätte sein, sowohl für Juden als auch für alle, die sich über die jüdische Geschichte informieren wollen, sagt Steinecke.

Eine Synagoge für zwei jüdische Gemeinden?

Und noch etwas hat das Projekt verzögert. In Magdeburg gibt es zwei jüdische Gemeinden: Zum einen die orthodoxe Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg, zum anderen die liberale jüdische Gemeinde. Die bereits länger bestehende orthodoxe Gemeinde war von Beginn an am geplanten Synagogen-Neubau beteiligt. Diese Gemeinde hat auch von der Stadt das Baugrundstück erhalten, auf dem die von Landesmitteln geförderte Synagoge gebaut werden soll.

Die stellvertretende Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde, Larisa Korshevnyuk, sagt: Einerseits sei die Idee, eine neue Synagoge nahe der 1938 zerstörten zu bauen, schön. Andererseits, ergänzt sie, müsse dieses Gebäude aber an die heutigen Bedürfnisse angepasst sein. Der größte Unterschied zwischen den beiden Magdeburger Gemeinden ist laut Korshevnyuk, dass in ihrer Gemeinde Männer und Frauen nebeneinander beten und auch Frauen den Gottesdienst leiten dürfen. Bei der orthodoxen Synagogen-Gemeinde sind Männer und Frauen bei den Gottesdiensten räumlich getrennt und Frauen dürfen beispielsweise nicht Rabbinerin werden.

Liberale Gemeinde mit Petition an Landtag

Korshevnyuk kritisiert: Wenn es im Neubau nur einen Gebetsraum gäbe, dann könnte dort nur eine der zwei jüdischen Gemeinden Magdeburgs ihre Glaubensauffassung leben. Im Kuratorium zur neuen Synagoge Magdeburgs sei die liberale jüdische Gemeinde nicht vertreten, sagt sie. Auch der Bund der Steuerzahler hat die Kritik der liberalen jüdischen Gemeinde aufgegriffen und durch die grundsätzliche Frage ergänzt, ob öffentliche Mittel überhaupt für Planung und Bau von Sakralbauten aufgewandt werden sollten.

Die liberale jüdische Gemeinde schlägt als Alternative vor, eine Synagoge mit zwei Gebetsräumen zu bauen. So könnten beide Gemeinden unter einem Dach beten – und zugleich ihre jeweiligen Glaubensauffassungen leben, erklärt Korshevnyuk. Die Gemeinde habe ihre Einwände mehreren Politikern mitgeteilt und im Juli eine Petition an den Landtag gestellt.

Neue Synagoge für Dessau

Nicht nur in Magdeburg soll eine neue Synagoge entstehen. Auch die jüdische Gemeinde in Dessau will bauen. Etwa 1,7 Millionen Euro werden für die Mischung aus Anbau und Neubau veranschlagt, sagt der Landesbeauftragte für jüdisches Leben, Wolfgang Schneiß. Landesmittel kommen nicht zum Einsatz; das Bauprojekt soll von Sponsoren und durch Mittel des Bundes finanziert werden.

Keine Einigung der jüdischen Gemeinden

Die Landesregierung antwortete in einer Zwischeninformation auf die Petition, dass alle Menschen jüdischen Glaubens den Synagogenneubau für ihre Gottesdienste nutzen könnten. Der Ritus der Synagogen-Gemeinde bleibe grundsätzlich orthodox. Eine gemeinsame Nutzung der Synagoge durch beide Gemeinden setze eine Einigung voraus. Diese sei jedoch auch nach zwei Gesprächen zwischen Vertretern beider Gemeinden im November 2018 und im Mai 2019 nicht zustande gekommen. Doch ein "verdoppelter" Synagogenbau sei zu teuer: "Daher begleitet das Kuratorium ebenso wie der Förderverein den von der Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg geplanten Bau weiter."

Am 5. November 2019 soll der Synagogen-Gemeinde nun offiziell das Baugrundstück übertragen werden. Die liberale jüdische Gemeinde hat mitgeteilt, dass sie die neue Synagoge nicht nutzen werde, wenn sie so wie geplant, mit einem Gebetsraum, gebaut wird.

Maria Hendrischke
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über die Autorin Maria Hendrischke arbeitet seit Mai 2017 als Online-Redakteurin für MDR SACHSEN-ANHALT - in Halle und in Magdeburg. Ihre Schwerpunkte sind Nachrichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts, Politik sowie Erklärstücke und Datenprojekte. Ihre erste Station in Sachsen-Anhalt war Magdeburg, wo sie ihren Journalistik-Bachelor machte. Darauf folgten Auslandssemester in Auckland und Lissabon sowie ein Masterstudium der Kommunikationsforschung mit Schwerpunkt Politik in Erfurt und Austin, Texas. Nach einem Volontariat in einer Online-Redaktion in Berlin ging es schließlich zurück nach Sachsen-Anhalt, dieses Mal aber in die Landeshauptstadt der Herzen – nach Halle. Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt sind die Klausberge an der Saale. Aber der Harz ist auch ein Traum, findet sie.

Quelle: MDR/mh

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