"Moritzplatz" Neue Neustadt: Geschichten aus dem Magdeburger Problemviertel
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02. Dezember 2019, 08:36 Uhr
Nichts als Lärm und Müll im Ghetto? Junge Menschen aus der Neuen Neustadt wollen zeigen, dass das Leben in ihrem Stadtteil mehr zu bieten hat. Deshalb drehen sie eine TV-Serie über das komplizierte wie spannende Miteinander im Magdeburger Norden.
Früher in Pakistan hatte Rahman nur seinen Spiegel. Der war für ihn damals Bühne und Publikum zugleich. Denn: "Schon als ich ein kleines Kind war, habe ich mich für Schauspiel interessiert", sagt der heute 28-Jährige. Doch: "Da, wo ich herkomme, in dieser Kultur, darfst du solche künstlerischen Sachen wie Singen oder Schauspielern nicht machen." Proben musste Rahman deshalb in seinem Zimmer ganz heimlich.
Längst muss sich der Mann aus Pakistan für seine Leidenschaft nicht mehr verstecken. Er hat seine Heimat verlassen und steht mittlerweile sogar vor der Kamera – und das demnächst bei einem "ganz besonderen Projekt", wie er sagt.
"Es gibt keine gute Geschichte ohne Konflikte"
Die Neue Neustadt gilt als das große Problemviertel in Magdeburg – und bietet Stoff für Filme. "Kein Stadtteil hat in den vergangenen Jahren für so viel Aufmerksamkeit gesorgt", sagt Susann Frömmer vom Offenen Kanal. "Es wird oft als Brennpunkt betitelt. Ich weiß nicht, ob das zutrifft, aber Fakt ist: Die Mieten sind hier günstig. Das zieht viele Leute an, aus verschiedenen Kulturen, die sich nicht unbedingt leiden können – deshalb kommt es hier öfter zu Konflikten."
Genau um diese Konflikte soll es bei der TV-Serie "Moritzplatz" des Offenen Kanals gehen. Drei Staffeln in drei Jahren soll es geben, jeweils mit vier Folgen á 15 Minuten. Im Mittelpunkt: der Moritzplatz, zentraler Punkt der Neuen Neustadt. Und vor allem: die Geschichten der Jugendlichen aus dem Stadtteil. "Sie sollen sich in der Serie wiederfinden", sagt Projektleiterin Frömmer. Und: "Die Jugendlichen bringen so viele Stories mit, wir brauchen uns für das Drehbuch gar nichts ausdenken, sondern sie einfach nur sinnvoll zusammenfügen."
Die Mieten sind hier günstig. Das zieht viele Leute an, aus verschiedenen Kulturen, die sich nicht unbedingt leiden können – deshalb kommt es hier öfter zu Konflikten.
Für das Zusammenfügen ihrer Geschichten sind die Jugendlichen selbst verantwortlich – unter Anleitung von Susann Frömmer, dem Technischen Leiter Patrick Jannack und Drehbuchautor Jasper Ihlenfeldt. Eine Doku wird es nicht, sondern eine fiktive Handlung. Aber: "Wir wollen authentische Charaktere schaffen, die unter den Konflikten leiden müssen, an ihnen aber auch wachsen können", sagt Ihlenfeldt. "Es gibt keine gute Geschichte ohne Konflikte. Und wir leben in einer Gesellschaft mit Konflikten, die gelöst und angegangen werden müssen. Das können wir mit so einer Serie super gut, weil das das Medium unserer Zeit ist."
25 Jugendliche und junge Erwachsene machen mit bei dem Projekt. Viele von ihnen leben im Magdeburger Norden, Neue Neustadt oder den angrenzenden Vierteln. Sie stammen aus Deutschland, Syrien, Mali, Island, der Dominikanischen Republik oder Pakistan. Aktuell schreiben sie gemeinsam am Drehbuch. Gedreht werden soll dann in den Oster- und Pfingstferien des kommenden Jahres, geschnitten im Juni. Die Premiere der ersten Staffel ist für Juli 2020 geplant. Sie werden gemeinsam Ideen entwickeln, vor und hinter der Kamera stehen, die besten Szenen am Ende zusammenschneiden – alle zusammen. Dieses Filmprojekt ist auch Sozialarbeit.
Das wollen die "Moritzplatz"-Macher erreichen
Quentin zum Beispiel ist 15 Jahre alt und kommt aus Magdeburg. Er ist filmbegeistert. Und er macht bei dem Projekt mit, weil er überzeugt ist, dass mehr in der Neuen Neustadt steckt als nur Probleme:
Auch Maximilian aus Wolmirstedt will das Problemviertel und seine Bewohner kennenlernen. Der 23-Jährige will verstehen, warum es zu Konflikten kommt – und sie in der Serie darstellen. Was er besonders lobt, ist das Miteinander der "Moritzplatz"-Teammitglieder:
Rahman aus Pakistan lebt seit 2015 in Magdeburg. Er hat sein Heimatland verlassen, um Schauspieler zu werden. Und er weiß: "Beim Offenen Kanal habe ich immer eine offene Tür." Beim Kurzfilm "Hoffnung" spielte er vor zwei Jahren bereits die Hauptrolle. Jetzt wird er wieder vor der Kamera stehen. "Nach unserer Serie werden die Touristen hier nach Neue Neustadt kommen", sagt er mit einem Lächeln im Gesicht.
Rentner, Rumänen, Rechte: Wenn Welten aufeinanderprallen
Gedreht werden soll natürlich am Moritzplatz. Aber nicht nur: am Neustädter Friedhof soll gedreht werden, an einer der Schulen des Stadtteils und auch im Zoo oder am Neustädter See noch weiter nördlich. Auch die "Grüne Straße" mitten in Neue Neustadt ist fest eingeplant. Denn dort stehen die für den Stadtteil typischen Wohnblöcke, mit unzähligen Satellitenschüsseln, mit bröckelndem Putz an der Fassade, zugehängten Fenstern. Es ist laut. Der Müll steht auf der Straße.
"Es gibt hier eine sehr starke rumänische Community. Es gibt sehr viele Rentner, die hier wohnen. Und es gibt sehr viele Leute aus dem eher rechten Spektrum. Die verstehen sich nicht so gut und prallen gelegentlich aufeinander", sagt Projektleiterin Susann Frömmer. "Es hat sich aber schon etwas getan in den vergangenen Jahren. Es gibt auch viele Menschen, die versuchen, das Image der Neuen Neustadt aufzupeppen – und wir zählen mit unserer Serie dazu."
"Moritzplatz" schon preisgekrönt
Weit vor Ausstrahlung durfte sich das Projekt bereits über einen Förderpreis freuen: "Moritzplatz" sicherte sich den mit 50.000 Euro dotierten "The Power of the Arts – Initiative für eine offene Gesellschaft"-Award. Der Preis unterstützt Projekte, die sich mit Mitteln der Kultur für eine offene Gesellschaft und ein "neues Wir" einsetzen.
Über den Autor
Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.
Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.
Quelle: MDR/dg
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