Beratung am Autofenster an der A2 Rastplatz-Aktion: Faire Löhne auch für Lkw-Fahrer aus Mittel- und Osteuropa

17. August 2020, 10:59 Uhr

Lkw-Fahrer bringen alles, was im Supermarkt liegt oder im Internet bestellt wird. Was ihre Bezahlung angeht, sind die Bedingungen jedoch nicht für alle gleich. Das hat Folgen, von schlechterer Versorgung unterwegs bis zu Vereinsamung. Doch es beginnt allein mit dem Mindestlohn: Michael Wahl von der Initiative "Faire Mobilität" will helfen. MDR SACHSEN-ANHALT hat ihn begleitet.

Denis ist 26 und ganz frisch im Geschäft: Gerade mal ein halbes Jahr fährt er Lkw. Der Belarusse hat sich dazu entschieden, kreuz und quer durch Europa unterwegs zu sein, um besseres Geld zu verdienen, wie er sagt. Seine Spedition sitzt in Litauen, er pendelt von Belarus aus dorthin, startet dann auf seine Touren – und macht an diesem Tag Rast an der A2. Doch kennt er all seine Rechte als Fahrer über deutsche Straßen, und sei es nur zur Durchfahrt? Darüber spricht Michael Wahl mit ihm. Wahls Erfahrung: Die meisten Fahrer aus Mittel- und Osteuropa wüssten nicht, welche Rechte sie eigentlich hätten, würden zu schlecht bezahlt. Jeder aber sollte im Bilde sein, findet Wahl. Dafür sei es gut, dahin zu gehen, wo die Leute sind – direkt an den Rastplatz.

So fahren Michael Wahl und seine Kollegen von "Fairer Mobilität" regelmäßig und bundesweit zu ihren Rastplatzberatungs-Aktionen an den Autobahnen. Manchmal auch ins Ausland. Sie bündeln dafür ihre Sprachkompetenz. Er selbst spricht fließend polnisch, andere im Team bulgarisch, ungarisch oder rumänisch. Das müssen sie auch, wenn sie mit den Fahrern von Speditionen aus Mittel- und Osteuropa in echten Austausch treten wollen.

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So geht Wahl an einem der größeren Rastplätze an der A2 bei Magdeburg an diesem Nachmittag von Lkw zu Lkw, schaut, wer gerade mal ausgestiegen ist oder am Fenster sitzt, sucht dort gezielt das Gespräch. Er trifft diesmal auf Fahrer aus Polen, Tschechien und eben Belarus, verteilt Flyer. Auch mit einem Fahrer aus Deutschland hätte er gern gesprochen, aber der war gerade erst aufgewacht, wollte noch seine Ruhe. Verständlich, findet Michael Wahl, geht weiter.

Da, wo Gespräche zustandekommen, gibt es Interesse, Austausch, die Trucker erzählen vom Alltag. Wahl sagt, in erster Linie gehe es bei den Rastplatzaktionen um die Fahrer aus Mittel- und Osteuropa, um sie über ihre Rechte überhaupt erst einmal zu informieren. Allein in den vergangenen gut drei Jahren seien es rund 90 Aktionen gewesen, bei denen an die 5.000 Fahrer erreicht worden seien. Wahl: "Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch durchsetzen." Fahrer aus Deutschland weise er deswegen aber nicht ab, sondern versuche zu verdeutlichen, wo sie hiesige Möglichkeiten haben und nutzen können, um sich in möglichen Fällen schlechter Bezahlung über Mittel und Wege dagegen beraten zu lassen.

Ein Mann spricht mit einem Lasterfahrer, der aus seinem Fenster hinunterschaut.
Mit einem polnischen Fahrer – Beratung am Autofenster Bildrechte: MDR/Mandy Ganske-Zapf

Dass der deutsche Mindestlohn aber auch für Fahrer mit Arbeitsvertrag im EU-Ausland gelte, sei den Betreffenden kaum bekannt, sagt Wahl. Nämlich sofern und solange sie für ihre Transporte in Deutschland unterwegs seien. Meist würden die Fahrer unter Wert bezahlt, sagt Wahl. Und Spesen dabei als Gehaltsanteil verrechnet. Das sehe am Ende zwar nach Mindestlohn aus, entspreche dem aber nicht. Die Rede ist dann von etwa 1.500 Euro – Spesen schon drin. Bei inländisch angestellten Fahrern sollte das in etwa allein den Grundlohn ausmachen, in der Regel mehr, wenn der Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde eingehalten wird. Die realen Einkommen schwanken.

Ihm sei klar, dass der Weg für die Leute, um gegen diese Art von Sozial- und Lohndumping vorzugehen, nicht automatisch vor ein Gericht führen könne. Aus Angst vor Kündigung. Viele hätten keine Wahl, wenn Jobs nur zu diesen Bedingungen zu haben seien. "Er muss den schlechten Job annehmen, um seine Familie zu ernähren."

Wer hinter der Rastplatzaktion steht:

Das Projekt "Faire Mobilität" des DGB, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, ist eine Kooperation mit dem Bundesarbeitsministerium und hat bundesweit neun Beratungsstellen, wobei in einzelnen Bundesländern auch mit Projektpartnern gearbeitet wird, darunter in Sachsen-Anhalt mit der Anlaufstelle für migrantische Arbeitskräfte BemA. Rastplatzaktionen sind Teil des Konzepts.

Erklärtes Ziel ist, arbeits- und sozialrechtliche Information an migrantische Arbeitnehmer zu vermitteln, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt tätig sind, insbesondere zur Frage fairer Löhne und Arbeitsbedingungen. Das Projekt läuft seit fast zehn Jahren. Allein 2019 haben sich den Angaben nach rund 7.000 Menschen beraten lassen, weitere rund 6.000 Menschen seien durch Veranstaltungen erreicht worden. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist der Transportsektor, aber auch Bauwirtschaft und Pflege.

Was er den Fahrern aber immer rate: "Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren." Etwa über Tachokarten oder Fotos von Frachtbriefen – so wie an diesem Tag an der A2. Michael Wahl weist einen polnischen Fahrer darauf hin, dass er Ansprüche auch rückwirkend geltend machen könne, bis zu drei Jahre – sofern er gute Nachweise hat. Solche gerichtlichen Auseinandersetzungen hat es in Deutschland bereits gegeben, im Transportsektor, ebenso in der Pflege.

Wir brauchen in ganz Europa gute Bedingungen für Fahrer, die alles, was wir kaufen, durch die Gegend transportieren – und insofern an allem, was wir konsumieren, in irgendeiner Form beteiligt sind. Entsprechend sollten wir sie auch behandeln.

Michael Wahl vom DGB-Projekt "Faire Mobilität"

Für die Bedingungen auf Rastplätzen will Wahl sensibilisieren, zum Beispiel dafür, dass die EU schon seit Längerem versucht, ein Schlafverbot in den Kabinen durchzusetzen. Gerade hat das Europäische Parlament dazu eine Pflicht ab 2021 festgeschrieben, wonach Fahrern wenigstens zu den 45-Stunden-Pausen, die es gibt, eine Unterkunft zu gewähren ist. Wahl findet wichtig, dass sich Bedingungen direkt auf der Strecke verbessern. "Wir brauchen in ganz Europa gute Bedingungen für Fahrer, die alles, was wir kaufen, durch die Gegend transportieren – und insofern an allem, was wir konsumieren, in irgendeiner Form beteiligt sind. Entsprechend sollten wir sie auch behandeln." 

Spediteure aus Deutschland beklagen Billigkonkurrenz

Die Billigkonkurrenz von Speditionen aus Mittel- und Osteuropa macht Spediteuren in Deutschland zu schaffen. Gerade in der Corona-Krise wurden Vorwürfe laut, dass der Preiskampf immer härter werde und zum Beispiel für hiesige Mittelständler kaum zu bestehen sei. Michael Wahl appelliert hier, nicht mit dem Finger nach Osten zu zeigen, sondern bei sich anzufangen. Akteure müssten gemeinsame Lösungen finden, sagt er. Etwa für allgemeingültige Tarifregelungen. Zudem sei die Politik gefragt, um das auch auf Europa auszuweiten. Wobei er seine Aufgabe klar darauf fokussiert sieht, die Fahrer am Ende der Kette zu beraten. "Das ist unser Job."

War es eigentlich schwer für Denis, dem belarussischen Fahrer, an die Arbeit bei der Spedition in Litauen zu kommen? Nein, sagt dieser, ein Kumpel hätte ihn angehauen und er sei froh um den Job, habe zwei Kinder daheim. Und in Litauen – da fänden sie eben selbst kaum noch Fahrer.

Über die Autorin Mandy Ganske-Zapf arbeitet seit März 2014 als freie Mitarbeiterin bei MDR SACHSEN-ANHALT. Sie schreibt vor allem Nachrichten für die Online-Redaktion und ist ab und an im Radio zu hören. Darüber hinaus schreibt sie Texte und Reportagen für Medien in Deutschland und Österreich, entweder zu Themen aus Sachsen-Anhalt oder aber aus Russland. Nach Sachsen-Anhalt gekommen ist sie 2008, anschließend hat sie mehrere Jahre als Redakteurin für die Volksstimme im schönen Landkreis Börde gearbeitet. In ihrer Wahlheimat Magdeburg ist sie am liebsten an Seen und am Elbufer unterwegs und mag Ausflüge ins Saale-Unstrut-Gebiet und in die Weiten der Altmark.

Quelle: MDR/mg

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