Ein Mann und eine Frau halten sich im Arm und sitzen, der Kamera den Rücken zugekehrt, nebeneinander auf einer Bank. 1 min
Sara und Kyan sitzen in ihrer Wohnung. Sie werden brauchen, den rassistischen Angriff in Magdeburg zu verarbeiten. Im Audio hören Sie, was beiden passiert ist. Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer
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MDR SACHSEN-ANHALT Mo 06.01.2025 10:10Uhr 01:03 min

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Bespuckt im Hauptbahnhof Nach dem Anschlag von Magdeburg: Sara und die Angst vor dem Weg zur Arbeit

07. Januar 2025, 11:36 Uhr

Der Attentäter von Magdeburg hat beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt sechs Unschuldige aus dem Leben gerissen und Hunderte weitere traumatisiert. Mehr und mehr wird klar, dass das Attentat auch eine weitere Gruppe trifft: Menschen mit Migrationsgeschichte, die seit dem 20. Dezember offenbar vermehrt rassistisch angegriffen werden – verbal und körperlich. Eine von ihnen erzählt jetzt ihre Geschichte. Weil sie anderen Mut machen will.

MDR San Mitarbeiter Luca Deutschländer
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Sara geht es nicht gut. Seit ein paar Tagen schon kreisen ihre Gedanken immer wieder um diese eine Situation: Sie sieht dann den Mann im Magdeburger Hauptbahnhof vor sich, der sich unvermittelt umdreht – und sie anspuckt. Der "Ihr scheiß Ausländer" ruft. Jetzt muss sie ab Dienstag wieder zur Arbeit und weiß nicht, wie sie das anstellen soll – weil sie Angst hat, wieder beleidigt zu werden. Oder gar angegriffen.

Sara heißt in Wirklichkeit anders. Ihr wahrer Name soll hier aber keine Rolle spielen – um sie zu schützen. Denn was Sara – die gebürtig aus Iran stammt – widerfahren ist, ist seit dem 20. Dezember kein Einzelfall in Magdeburg:

  • 20. Dezember: Ein Deutscher schlägt einen Mann mit Migrationsgeschichte mit der Faust ins Gesicht. "Wegen Leuten wie dir passiert sowas", soll der Mann gerufen haben.
  • 23. Dezember: Eine Frau wird zunächst bedroht und später geschlagen. Der mutmaßliche Angreifer soll "Wir vergasen euch alle" gerufen haben.
  • 1. Januar: An einer Straßenbahnhaltestelle greifen fünf Männer und eine Frau einen Mann mit Bierflaschen und Stöcken an. Er kommt schwer verletzt in ein Krankenhaus.

Die Liste ist nicht vollständig. Aber sie zeigt den Hass und offenen Rassismus, den einige wenige in Magdeburg seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt offen ausleben – und der einen Schatten wirft auf die ungebrochen große Anteilnahme und rührende Hilfsbereitschaft, die seit dem 20. Dezember in Magdeburg zu spüren sind.

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Ein Paar, das anderen Mut machen möchte

Dass nicht alle anteilnehmen und helfen, das hat auch Sara erleben müssen. Wer sie und ihren Mann Kyan – auch er heißt eigentlich anders – an diesem kalten Winternachmittag Anfang Januar bittet, ihre Geschichte zu erzählen, hört einem Paar zu, das sich nach dieser schmerzhaften Erfahrung gegenseitig zu stützen versucht. Und anderen Mut machen will, die vielleicht weniger gut Deutsch sprechen, als Sara und Kyan es tun.

Es war der Morgen des 28. Dezember und Sara und Kyan auf dem Weg zu einem Ausflug. Mal rauskommen. Beide beschließen, mit dem Zug zu fahren, das Deutschlandticket macht es möglich. Also trinken sie im Bahnhof erst einen Kaffee und machen sich dann auf den Weg zum Gleis durch den Bahnhofstunnel. Beide unterhalten sich auf Persisch – als sich nach ihrer Schilderung der Mann plötzlich umdreht, sie anspuckt und beleidigt. Aggressiv habe er gewirkt, erzählen die Beiden. Als Kyan laut nach ihr ruft, ist schnell die Security zur Stelle, kurz darauf auch Beamte der Bundespolizei.

Bundespolizei bestätigt Vorfall nach Anschlag von Magdeburg

Der Sachverhalt, wie es im Beamtendeutsch heißt, wird aufgenommen. Die Bundespolizei bestätigt das. Auf MDR-Anfrage teilt eine Sprecherin mit, Sara habe zunächst mündlich Strafantrag gestellt. Zwei Tage später wird sie das auch schriftlich tun, MDR SACHSEN-ANHALT hat das dazugehörige Schreiben einsehen können. Der Beschuldigte? Ein 45 Jahre alter Mann. Gegen ihn wird jetzt wegen Beleidigung, Körperverletzung und Hausfriedensbruchs ermittelt – den Hauptbahnhof hätte er wegen eines Hausverbots gar nicht erst betreten dürfen.

Der Mann sei Deutscher, teilt die Bundespolizei mit. Sara und Kyan hätten das selbst gar nicht erwähnt, sagen sie. "Der Mann ist Rassist" – das klingt besser für sie. Warum sie das so differenzieren? "Wir pauschalisieren nicht." Weil sie umgekehrt auch nicht wollen, pauschal als "die Ausländer" zu gelten, die Probleme machen.

Sara und Kyan haben beide Jobs in Magdeburg. Der Anschlag vom 20. Dezember habe sie traurig gemacht und wütend. Wenn sie davon erzählen, nehmen beide immer wieder das Wort Katastrophe in den Mund. Sie lebt seit 2017 in der Stadt, er seit 2021. "Vorher war ich Hallenser", sagt er und lacht. Dann schwärmen beide von ihren Jobs. Den Kolleginnen. Den Vorgesetzen. "Magdeburg ist unsere Heimat", sagt Kyan. Sara nickt. Als er aufzählt, warum er sich hier so wohlfühlt, beginnt sie zu weinen und knetet ihre Hände.

Es wird schlimmer. Es gibt einige Menschen, für die sind wir nur 'die Ausländer'.

Sara Iranerin, die in Magdeburg lebt

Man merkt Sara an, dass ihr das Erlebte nahe geht. Es sei nicht das erste Mal, dass sie rassistisch beleidigt worden sei, erzählt sie. "Aber es wird schlimmer." Im Bus zum Beispiel oder in der Straßenbahn. Es gebe da Leute, für die seien Menschen wie sie nur "die Ausländer".

Kyan sagt, er werde Sara so schnell nicht allein auf die Straße lassen.

Sara wollte Frauen immer ermutigen – das wird nun schwer

Warum also ist es dem Paar so wichtig, seine Geschichte zu erzählen? Sie möchten andere Menschen, die ähnliches erleben, unterstützen, sagen sie. "Vor allem Frauen", sagt Sara. "Wie soll es denn erst Frauen gehen, die Kopftuch tragen?", fragt sie. Zuletzt hätten sich viele bei ihr gemeldet und berichtet, ihnen sei Ähnliches passiert. Vor allem Frauen aus Afghanistan seien das gewesen. "Ich habe immer versucht, Frauen zu ermutigen, aktiv in der Gesellschaft zu sein", sagt die 41-Jährige – und man hört heraus, dass ihr das vorerst schwerfallen wird.

Kraft, sagt sie, gibt ihr das Wissen, Kyan an ihrer Seite zu haben. Er sagt, er müsse zuletzt immer wieder an das eine Interview denken. "Wissen Sie, das Gespräch mit der Holocaust-Überlebenden?", fragt er auffordernd.

Kyan meint Margot Friedländer. Sie hatte dem "Spiegel" im Frühjahr gesagt: "Der Hass ist wieder laut geworden."

Kyan findet, sie hat recht.

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MDR (Luca Deutschländer) | Erstmals veröffentlicht am 06.01.2025

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 06. Januar 2025 | 07:10 Uhr

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