Zu Besuch in Osterweddingen Lehrermangel: Warum eine Journalistin als Lehrerin an die Schule ihres Sohnes wechselt
Hauptinhalt
15. November 2021, 19:08 Uhr
Als Anja Schlender merkte, dass es an Lehrkräften an der Grundschule ihres Sohnes in Osterweddingen mangelt, traf sie eine wichtige Entscheidung: Sie gab ihren Journalisten-Job auf und wurde dort Lehrerin. Ein Besuch.
- Lehrermangel in Sachsen-Anhalt: Das Land kann den Bedarf von rund 4.900 Lehrkräften nicht vollständig decken.
- Beruf gewechselt: Anja Schlender war Journalistin und wurde als Seiteneinsteigerin Englisch-Lehrerin, weil an der Grundschule ihres Sohnes Lehrkräfte fehlten.
- Kritik an Seiteneinsteigern: Michael Ritter von der Universität Halle kritisiert, dass Seiteneinsteiger nur einen vierwöchigen Kurs absolvieren müssen.
Anja Schlender hätte nie gedacht, dass sie einmal Lehrerin werden würde, als sie sich damals entschied Amerikanistik zu studieren und danach als Journalistin zu arbeiten. "Das war so nicht geplant, ich mochte meinen Beruf gern. Aber ich habe mitbekommen, dass in der Grundschule meines Sohnes Lehrer fehlen. Die Klassenlehrerin war langzeitkrank", erzählt sie. Und so kam es, dass sie seit Oktober 2020 als Englischlehrerin an der Grundschule in Osterweddingen unterrichtet.
Ich habe Amerikanistik studiert, habe das spaßeshalber zum Landesschulamt geschickt und geschaut, ob die mir das anerkennen würden. Nach 24 Stunden hatte ich die Antwort, dass ich Englisch bis zum Abitur unterrichten dürfte.
Problem: Lehrermangel in Sachsen-Anhalt
Dass Lehrerinnen und Lehrer an Schulen fehlen, damit steht die Grundschule in Osterweddingen nicht alleine da. Wie es aus dem Bildungsministerium Sachsen-Anhalt heißt, besteht bis zum Jahr 2025 ein Bedarf von rund 4.900 Lehrkräften. Diesen könne das Land nicht vollständig mit der eigenen Ausbildung decken.
Wie gravierend die Folgen des Lehrermangels sein können, wird beispielsweise in Aken deutlich. An der Sekundarschule am Burgtor gab es dieses Jahr massive Unterrichtsausfälle, weil viele Lehrkräfte krank waren. Nach Angaben der Schule konnten in manchen Wochen teilweise nur etwas mehr als 50 Prozent der regulären Stunden abgehalten werden.
Kritik am Einsatz von Seiteneinsteigenden
Wie das Bildungsministerium Sachsen-Anhalt weiter erklärt, arbeiten aktuell 1.015 Seiteneinsteigende in den Schulen im Land. Michael Ritter, Professor für Grundschuldidaktik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, kritisiert deren fehlende Ausbildung:
Das Problem der Seiteneinsteiger ist, dass sie mit einer minimalen Vorbereitung an die Schulen müssen und dort die volle Verantwortung für Unterrichtstätigkeiten übernehmen, für die sie gar nicht ausgebildet sind.
Er findet, dass ihnen fachdidaktische, pädagogische und psychologische Fähigkeiten fehlen, die Lehrkräfte normalerweise in einem mehrjährigen Studium lernen. Deshalb plädiert Ritter dafür, dass es für Seiteneinsteiger nicht nur einen kurzen Kurs gibt, sondern ihnen "eine zusätzliche Ausbildung, ein zusätzliches Studium zu ermöglichen, das mittelfristig den sehr engagierten und motivierten Seiteneinsteigern auch die Möglichkeit gibt, die fachlichen Grundlagen zu erwerben."
Zwiespalt: Keine Zeit für Fortbildung und Unterricht
Als Anja Schlender an der Grundschule in Osterweddingen als Seiteneinsteigerin angefangen hat, wurde sie von ihrer Vorgängerin eingearbeitet. "Eine tolle Kollegin mit tollen Methoden – da habe ich mir viel abgeguckt", erzählt sie. Außerdem hätte sie sich viele Fächer bei ihren Kollegen angeschaut und hospitiert.
Genau wie Michael Ritter von der Universität Halle findet sie, dass ein vierwöchiger Kurs nicht ausreicht. Sie würde sich ein kleines Referendariat mit Bezahlung wünschen. Gleichzeitig sieht sie aber auch folgendes Problem:
Wir sollen uns weiterbilden und tun das auch – gleichzeitig fällt dann der Unterricht aus, den wir nicht leisten. Immer wenn wir dort sind, sind wir nicht hier in der Schule. Es muss Vertretung gemacht werden – dann fallen Stunden aus.
Deshalb betont Petra Meyer, Schulleiterin der Grundschule in Osterweddingen, wie wichtig die Seiteneinsteiger für den Schulalltag in Sachsen-Anhalt sind: "Wenn Anja und Co. morgen wieder in ihre alten Berufe zurück gehen würden? Katastrophe. Ich würde alles versuchen, sie davon abzuhalten." Sie hatte besonders vor den Sommerferien schlaflose Nächte, weil sie im Kopf hatte, dass es bald wieder eine Einschulung gibt, aber keine Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Jetzt gebe es glücklicherweise zwei Seiteneinsteiger, die sie unterstützten.
Diskussion über Lehrermangel in Sachsen-Anhalt Aber wie kann das Problem des Lehrermangels gelöst werden? Was muss in Sachsen-Anhalt passieren? Darüber diskutiert die Talk-Runde von FAKT IST! am Montag, 15. November 2021 ab 20:30 Uhr im Livestream und ab 22:10 Uhr im MDR Fernsehen.
Quelle: MDR/Johanna Daher
Dieses Thema im Programm: MDR FAKT IST! | 15. November 2021 | 22:10 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/88feb369-abdb-4e76-a95b-fbb27f361052 was not found on this server.