Auflagen und Vorgaben Wie Landwirte in Sachsen-Anhalt mit der Bürokratie kämpfen
Hauptinhalt
19. September 2024, 19:43 Uhr
In der Erntezeit kommen Sachsen-Anhalts Landwirte kaum zur Ruhe. Mais, Kartoffeln, Rüben, alles muss zügig von den Feldern geholt werden. Spielt das Wetter mit, wird fast rund um die Uhr geerntet. Nach der Feldarbeit ist aber noch nicht Schluss. Viele Landwirte klagen deshalb über einen "bürokratischen Wahnsinn".
- Landwirte bekommen für ihre Arbeit immer neue Vorgaben und Auflagen, wie etwa die Öko-Regelung 5.
- Das kostet Zeit und bindet Mitarbeitende, die auch auf den Feldern benötigt werden.
- Zahlen zeigen, dass die Kosten der Bürokratie für die Landwirte und die Menge der Auflagen immer weiter steigen.
Christian Otto läuft tief gebückt über eine Wiese bei Zörbig im Kreis Anhalt-Bitterfeld. Der Mitarbeiter der Agrargenossenschaft Löberitz lässt die Augen unentwegt am Boden kreisen. Der Agrarwissenschaftler ist auf der Suche nach ganz bestimmten Pflanzen. "Ein Kleinköpfiger Pippau, Rotklee, das Wiesen-Labkraut und die Kohl-Kratzdistel oder ein Herbstlöwenzahn, nicht der normale Löwenzahn, der zählt nicht", sagt Otto, der keineswegs zum Spaß nach diesen besonderen Arten Ausschau hält: "Ich muss mindestens vier Kennarten nachweisen, per Fotobeweis, geostationär, über eine extra App." So schreibt es die ÖR 5 vor, die neue Öko-Regelung 5. "Das ist auch so ein so ein kleines bürokratisches Monster", sagt Otto.
Draußen rumrennen und Unkraut zu suchen, ist auch nicht meine normale Arbeit.
Denn nur, wenn er Kennarten in ausreichender Zahl belegen kann, bekommt das Unternehmen Fördermittel für die extensive Bewirtschaftung seiner Grünflächen zum Schutz der Artenvielfalt. Darauf sind viele Landwirte angesichts niedriger Erzeugerpreise angewiesen. Doch der Nachweis ist aufwendig, weiß der Mann mit dem modischen Zopf: "Eine Dreiviertelstunde muss man schon pro Wiese einplanen und wenn man 50 Wiesen hat, ist man schon eine Weile unterwegs".
Entdeckt Otto bei einer Begehung nur drei Arten, dann muss er später noch einmal los. Ein wenig veralbert komme er sich schon manchmal vor. "Draußen rumrennen und Unkraut zu suchen, ist auch nicht meine normale Arbeit", so der Agrarwissenschaftler. Und die ausführliche Dokumentation gilt immer nur für ein Jahr. "Es würde doch reichen, wenn wir das alle fünf Jahre belegen", findet Otto.
Ein Aktenordner pro Düngung
Und es ist nicht die ÖR 5 allein, die dem Landwirt viel zusätzliche Arbeit bereitet. Da sind Statistiken und Erntemeldungen zu erstellen, Nachweise und Dokumentationen müssen lückenlos geführt werden. Otto zeigt auf einen Stapel Papier. Da geht es um den Einsatz von Düngemitteln: "Zuerst muss ich eine Düngebedarfsermittlung machen, dann bestellen wir Dünger, dann werden jede Menge Analysen gemacht, was da drinsteckt und wieviel, wo auf das Feld kommen soll." Was wirklich aufgebracht wird, muss dann später ebenfalls ergänzt werden. Unmengen an Papier. "Pro Düngung kommt ein ganzer Aktenordner zusammen", sagt Otto und zeigt auf einen Schrank voller Ordner. Im Archiv im Keller stehen etliche solcher Schränke. Bis zu 15 Jahre müssen die Daten aufgehoben werden.
Mitarbeitende werden auf den Feldern benötigt
"Kontrolle ist richtig und muss sein, aber das ist doch übertrieben", findet Thomas Külz, der Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Löberitz. Mit Otto hat er einen Mitarbeiter eingestellt, der sich ausschließlich um die bürokratischen Dinge kümmern soll. "Das alles kostet Geld und Zeit, wir brauchen die Leute eher auf dem Feld", klagt der Chef des Betriebs mit gut 40 Beschäftigten und hat noch ein Beispiel aus dem bürokratischen Alltag parat. "Für den Einsatz eines neuen Mähdreschers brauchen wir eine Ausnahmegenehmigung vom Landesverwaltungsamt. Und vom Landkreis Anhalt-Bitterfeld brauche ich dann nochmal eine weitere Ausnahmegenehmigung." Und das alle drei Jahre neu. "Kann man machen, aber muss man das machen?"
Zahlen zeigen: Steigende Kosten und mehr Auflagen
Alles werde immer komplizierter, so Külz, der gleichzeitig auch Vorsitzender des Bauernverbands Anhalt ist und so die Interessen von etwa 170 landwirtschaftlichen Betrieben im Kreis Anhalt-Bitterfeld vertritt. Familienbetriebe oder kleinere Unternehmen könnten die Bürokratie kaum mehr stemmen. Von den Kosten ganz zu Schweigen. Aktuelle Zahlen belegen das ganze Ausmaß der Bürokratie. So teilte die Bundesregierung kürzlich auf eine kleine Anfrage mit, dass allein für die Erfüllung bundesrechtlicher Informationspflichten dem Sektor Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei jährlich Bürokratiekosten von rund 418 Millionen Euro entstehen.
Und trotz aller Ankündigungen zum Bürokratieabbau sei Besserung nicht in Sicht, so Külz. Im Gegenteil: Das Statistische Bundesamt registrierte seit 2014 mehr als 200 neue bundesrechtliche Vorgaben für die Agrarbranche. Im selben Zeitraum wurden nur gut 50 Vorgaben abgebaut oder zumindest vereinfacht.
Unsere eigentliche Arbeit ist sähen, pflegen, düngen und ernten. Und wenn wir nicht mehr dazukommen, weil wir irgendwelche Ordner füllen müssen, dann stimmt doch was nicht
Überlegungen zu neuen bundesweiten Protesten
Die Flut von Auflagen und Vorgaben kostet die Bauern Zeit, Geld – und vor allem Nerven. Auch die Kontrollen sind zeitaufwendig und teuer. "Die Ämter kommen gar nicht mehr hinterher, die haben auch keine Leute", sagt Külz. Um schwarze Schafe zu überführen, seien Regeln und Vorschriften natürlich wichtig und richtig. Gerade wenn es um gesellschaftlich wichtige Themen wie Umweltschutz, Düngereinsatz oder Fördermittel gehe.
Thomas Külz fordert aber Augenmaß, schlägt etwa stichprobenartige Kontrollen und bei Verstößen höhere Strafen vor. "Unsere eigentliche Arbeit ist sähen, pflegen, düngen und ernten. Und wenn wir nicht mehr dazukommen, weil wir irgendwelche Ordner füllen müssen, dann stimmt doch was nicht. 'Landwirt' sein, wird immer zum Schreibtisch-Job", so der Chef vom Bauernverband Anhalt. Vielleicht – sagt Külz, braucht es erst wieder bundesweite Proteste der Bauern, damit die Politik die Sorgen der Landwirte endlich ernst nimmt.
MDR (Martin Krause, Sebastian Gall)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. September 2024 | 07:45 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/3e959f88-3d4f-4042-873a-5c91dee128a3 was not found on this server.