Datenschutz Landtag verschiebt Datenschutzbeauftragter-Wahl: "Missachtung der Datenschutzaufsicht"

18. Juni 2022, 12:12 Uhr

Sachsen-Anhalts hat seit Jahren keinen offiziell gewählten Landesdatenschützer. Das Thema scheint immer mehr zu einem politischen Ränkespiel zu werden. Dadurch wird das Amt und auch der Datenschutz beschädigt. Droht gar, dass die EU-Kommission einschreitet?

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
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Im Dezember 2010, vor mehr als zehn Jahren also, hat Sachsen-Anhalt Landtag zuletzt einen Datenschutzbeauftragten gewählt. Der hieß Harald von Bose, seine Amtszeit wurde später verlängert und endete 2018. Ein Nachfolger wurde mehrfach nicht gewählt, ein Gesetz geändert – 2020 ist von Bose aus Altersgründen ausgeschieden.

Derzeit leitet Albert Cohaus die Geschäfte der Behörde seit Januar 2021 interimsmäßig. Und Cohaus wollte auch vom Landtag gewählt werden. Er hatte sich mit drei anderen Menschen um das Amt beworben – bekam aber im März überraschenderweise nicht genug Stimmen. Schon damals hatte es heftige Kritik gegeben.

Ein Bewerber hat mittlerweile das Handtuch geworfen. Cohaus scheint wohl im Ring bleiben zu wollen. Wann er allerdings das nächste Mal von seiner Behörde über den Breiten Weg in Magdeburg zum Landtag geht, um sich dort der Wahl zu stellen und ob er dann jemals gewählt wird – das steht in den Sternen.

Was steckt hinter der Verschiebung der Wahl des Datenschutzbeauftragten?

Die Regierungsfraktionen haben in dieser Woche angekündigt, die Wahl des Landesdatenschützers erst nach der Sommerpause wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Hintergrund ist wohl, dass Abgeordnete der CDU-Fraktion ein Mitglied ihrer Partei zu einem Landtagsmandat verhelfen wollen – als Nachrücker für einen ausscheidenden CDU-Abgeordneten, der vorher als Landesdatenschützer gewählt wird. So hatte es die dpa berichtet.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Grünen, Sebastian Striegel, sagt, die CDU versuche, das Amt des Datenschutzbeauftragten zur Verhandlungsmasse zwischen den Koalitionspartnern zu machen. "Das zeugt von einer CDU, die den Staat als Beute sieht und das Amt des Datenschutzbeauftragten als Teil einer offenbar aufzuteilenden Ressource." Die Partei hätte kein echtes inhaltliches Interesse für den Datenschutz, so Striegel.

Die Hängepartie dauert schon viel zu lange. Und es ist ein Zeichen mangelnder Führung innerhalb dieser Parteien und Fraktionen, dass Sachsen-Anhalts Landtag nicht in der Lage ist, einen Datenschützer zu wählen.

Sebastian Striegel, parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Grünen

Heftige Kritik von der Opposition

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Eva von Angern, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion: "Die Wahl ist zur Farce geworden. Es geht mir nicht um das Postengeschacher der Koalition, sondern darum, dass der Datenschutzbeauftragte eine sehr wichtige Rolle hat."

Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragter sei personell sehr schlecht ausgestattet und quasi führungslos. Das sei dem Amt gegenüber völlig unangemessen. "Ich erwarte von der Koalition, dass sie zeitnah eine Antwort gibt, wer das Amt ausüben soll. Und ich gehe davon aus, dass Ministerpräsident Haseloff das Thema abräumen muss."

Schreitet die EU-Kommission ein?

Grünen-Politiker Striegel hält es zudem für möglich, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einleiten könnte. Es ist allerdings umstritten, ob Sachsen-Anhalts Landtag die EU-Datenschutzgrundverordnung verletzt, weil er seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Datenschutzbeauftragten gewählt hat.

Ein Gutachten im Auftrags des Landtags sieht die Vorgänge als unproblematisch an (PDF des Gutachtens). Nach der Datenschutzgrundverordnung müssen die Datenschutzbehörden in der EU unabhängig und frei von jeglicher direkter oder indirekter Einflussnahme von außen entscheiden können. Wie genau das endgültig interpretiert wird, ist offen. Gegen Belgien läuft ein ähnliches Verfahren, weil die EU-Kommission dort die Unabhängigkeit des Datenschützers bedroht sieht.

Dass Brüssel auch nach Sachsen-Anhalt sieht, hat MDR SACHSEN-ANHALT aus Kreisen der EU-Kommission erfahren: Die Kommission habe deutlich gemacht, "dass sie die tatsächliche und vollständige Unabhängigkeit der nationalen Behörden genau überwachen wird, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die Datenschutz-Grundverordnung einhalten".

"Skandal, dass Sachsen-Anhalts Landtag keinen Datenschützer wählt"

Dass die EU-Kommission wirklich einschreitet, bezweifelt der Vorsitzende der Stiftung Datenschutz, Frederick Richter. Er sagte MDR SACHSEN-ANHALT, dass die Chefposten der Datenschutzaufsicht immer mehr zum politischen Spielball würden. "Das ist natürlich schlimm, aber ob von der EU-Kommission-Seite etwas zu erwarten ist, bezweifele ich."

Die Stiftung Datenschutz hat ihren Sitz in Leipzig und wurde 2013 von der Bundesregierung als unabhängige Einrichtung – ähnlich wie die Stiftung Warentest – gegründet, um den Datenschutz zu fördern. Richter sieht einen anderen Punkt, an dem Brüssel einschreiten könnte: "Die EU-Kommission hätte mehr Anlass, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu starten, weil viele Landesdatenschutzbehörden schlecht ausgestattet sind. Viele Bundesländer, viele Landtage lassen ihre Aufsichtsbehörden geradezu verhungern."

Allerdings sei das Datenschutzrecht für die Wirtschaftspraxis heute wichtig, so Richter. Das hätte niemand geahnt, als die Länder die Kompetenz dafür bekommen hätten. "Vielleicht hätte man sich damals anders entschieden, als man die Länderkompetenzen für die Wirtschaftsaufsicht im Datenschutz festgelegt hat", sagt Richter. Er hält es für "einen Skandal, dass der Landtag keinen Landesbeauftragten wählt". Es hätte geeignete Personen gegeben, so Richter. "Ihre Nicht-Wahl konnte man schon als Beschädigung des Amtes auffassen."

Dass jetzt wieder keine Wahl stattfindet, halte ich für eine Missachtung des Amtes und eine Geringschätzung der Datenschutzaufsicht.

Frederick Richter, Vorsitzender der Stiftung Datenschutz

Bundesdatenschutzbeauftragter beobachtet Lage in Sachsen-Anhalt "mit zunehmender Sorge"

Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT äußert sich der Bundesdatenschutzbeauftragte nicht zur verschobenen Wahl. Aber dass auch er kritisch nach Sachsen-Anhalt schaut, zeigt ein Schreiben an Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) und den Landtagspräsidenten Gunnar Schellenberger (CDU).

"Mit zunehmender Sorge" beobachte man die Situation in Sachsen-Anhalt, schreibt Bundesdatenschutzbeauftragter Ulrich Kelber im Mai. Er sieht das Ansehen des Datenschutzes in Gefahr: Die Nichtbesetzung bedrohe die "Wahrnehmung der Funktion unabhängiger Datenschutzbehörden durch die Öffentlichkeit zu schmälern, wenn nicht nachhaltig zu beschädigen", so Kelber in dem Schreiben, das MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt.

Kelber bittet Ministerpräsident und Landtagspräsident, das Besetzungsverfahren zur Chefsache zu machen. Er sieht eine Verschleppung der Nachbesetzung und erwartet, dass das als Verstoß gegen EU-Recht aufgegriffen wird. Dass Sachsen-Anhalt die Personalentscheidung verschleppe, sieht Landtagspräsident Schellenberger in seiner Antwort nicht. Kein Mitglied des Landtages "kann verpflichtet werden, eine bestimmte Person zu wählen", so Schellenberger.

Wie weiter mit der Wahl des Datenschutzbeauftragten?

Was heißt all das für den Herbst, wenn die Wahl des Datenschutzbeauftragten im Landtag ansteht? Weil das Besetzungsverfahren für den Landesdatenschützer läuft, muss es abgeschlossen werden: Entweder, indem einer der Bewerber gewählt wird. Oder indem bewusst keiner gewählt wird und die Stelle dann in einem neuen Verfahren ausgeschrieben wird. In diesem Fall werden die Bewerber sicherheitsüberprüft – das hat beim letzten Mal dazu geführt, dass es ein Jahr gedauert hat, bis der Landtag Vorschläge für den Posten auf dem Tisch hatte.

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MDR (Marcel Roth)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. Juni 2022 | 12:00 Uhr

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