Landtag gedenkt der Opfer von Halle Haseloff: "Deutschland hat Problem mit Antisemitismus und Rechtsextremismus"

24. Oktober 2019, 08:53 Uhr

Auf den Tag zwei Wochen nach dem Anschlag von Halle hat der Landtag von Sachsen-Anhalt der Opfer gedacht. Ministerpräsident Reiner Haseloff betonte darin, dass Deutschland ein Problem mit Rechtsextremismus und Antisemitismus habe – und rief die Gesellschaft auf, energischer und lauter den Mund dagegen aufzumachen.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Am Anfang wird es still im Landtag von Sachsen-Anhalt. Mehrere Sekunden lang ist es so ruhig wie sonst nur dann, wenn der Plenarsaal menschenleer ist: Die Abgeordneten gedenken mit einer Schweigeminute der Toten des Anschlags in Halle vor zwei Wochen. Dazu hat Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch aufgerufen. Brakebusch sagt, dass viele noch unter dem Eindruck der "schrecklichen Bilder" des Angriffs in der Saalestadt stehen. Sie erinnert an die Toten und diejenigen, die Zeugen des "brutalen Anschlags" geworden sind.

Auf der Besuchertribüne des Landtags – dort, wo während der Debatten des Landtags häufig Schulklassen sitzen – haben an diesem Mittwochnachmittag Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt Platz genommen. Auch der Beauftragte des Landes gegen Antisemitismus ist da. Die Sitzung des Landtags an diesem Nachmittag war ursprünglich nicht geplant. Sie wurde einberufen, um den Anschlag von Halle aufzuarbeiten und der Toten zu gedenken. Es ist schließlich Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der die ersten eindringlichen Worte des Tages spricht.

Haseloff sagt, dass es nach diesem Attentat nicht möglich sei, zur Tagesordnung überzugehen. Viele Menschen seien traumatisiert, einige verletzt. "Dieser Angriff war ein versuchter Massenmord an unseren jüdischen Mitbürgern. Er war ein Angriff auf uns alle."

Dafür schäme ich mich.

Reiner Haseloff darüber, dass Juden in Deutschland um ihr Leben fürchten müssen

"Deutschland hat ein Antisemitismus- und Rechtsextremismus-Problem", sagt Haseloff wenige Sätze später – und macht den Nährboden für antisemitische Ressentiments unter anderem in sozialen Netzwerken aus. "Hass und Vorurteile sind schleichendes Gift", warnt Haseloff und kritisiert Ausdrucksweise und Verhalten einiger AfD-Politiker, die dazu beitrügen.

Der Anschlag von Halle hat viele Menschen geschockt, nicht nur in der Saalestadt. Menschen auf der ganzen Welt haben an diesem 9. Oktober auf Sachsen-Anhalt geschaut. Die Meldungen überschlugen sich, nahezu jede große Zeitung und jeder große Sender schickte Journalisten in die Saalestadt. Denn schnell war klar: Dieser Anschlag mit zwei Toten hätte noch zum viel größeren Blutbad werden können. Doch der Attentäter scheiterte beim Versuch, in die mit mehr als 50 Gläubigen besetzte Synagoge der jüdischen Gemeinde einzudringen.

Deutschland und die Welt blicken nach Sachsen-Anhalt

Das noch größere Blutbad anzurichten, ist dem Attentäter nicht gelungen. Das in die Welt getragene Bild ist dennoch tragisch: Antisemitismus und Rechtsextremismus sind noch immer verbreitet in Deutschland. Ausgerechnet in Deutschland – dem Land mit dieser schäbigen, menschenverachtenden Geschichte voller Schuld.

Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass in diesen Tagen viele deutsche Parlamente über das Attentat von Halle sprechen – und beraten, was sie tun können im Kampf gegen Rechtsextremisten oder Antisemiten. Wenige Stunden vor der Regierungserklärung von Reiner Haseloff in Magdeburg warnte der niedersächsische Landtag fraktionsübergreifend vor Antisemitismus. Im Bundestag musste sich Innenminister Horst Seehofer den Fragen des Innenausschusses stellen – und erklären, wie eine Tat wie die in Halle künftig verhindert werden kann.

Auch an diesem Mittwochnachmittag gehen die Blicke vieler Journalisten aus ganz Deutschland nach Sachsen-Anhalt. Reiner Haseloff weiß das. Er sagt während seiner Regierungserklärung: "Hetze und Hass dürfen unser Land nicht vergiften." Die, die leise seien, müssten "viel lauter" Stellung beziehen, fordert er. "Das ist das Gebot der Stunde."

Die Antwort auf Halle muss aus der Mitte unserer Gesellschaft kommen.

Reiner Haseloff

Viele Menschen hätten die Ängste von Juden oft für übertrieben gehalten, sagt Haseloff noch. "Nach Halle muss damit in ganz Deutschland Schluss sein." Stattdessen müssten alle wachsam und sensibel gegenüber offener und latenter rechtsextremer und antisemitischer Äußerungen sein. "Wir müssen genau hinsehen, uns einmischen, nicht schweigen, sondern entschlossen handeln und energisch widersprechen."

Das sagt die AfD

Der Fraktionschef der AfD im Landtag, Oliver Kirchner, nutzte seine Rede für massive Kritik an Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). "Wo war der starke Staat in Halle vor zwei Wochen", fragte Kirchner. Die Landesregierung habe rund um den 9. Oktober versagt, weil die hallesche Synagoge nicht besser geschützt worden sei. Die Menschen in Deutschland hätten ein Recht darauf, sich sicher zu fühlen. Kirchner distanzierte sich vom Attentäter in Halle. Dass der AfD eine Mitschuld an dem Anschlag gegeben werde, sei "grotesk, verwerflich und widerwärtig".

Das sagt die SPD

Die Fraktionschefin der SPD im Landtag, Katja Pähle, rief in Richtung der AfD, die Partei könne sich nicht freizeichnen von ihrer Mitverantwortung am Anschlag von Halle. Der Attentäter habe das Weltbild gehabt, das auch viele AfD-Politiker verkörperten. Es schmerze sie, sagte Pähle, wenn Juden nach dem Attentat darüber nachdenken, aus Deutschland auszuwandern. "Ich hoffe, dass von dieser Landtagssitzung ein starkes und eindeutiges Signal ausgeht" so Pähle. "Jüdisches Leben und jüdischer Glauben sind untrennbar mit der deutschen Kultur verbunden", betonte sie. "Unser Halle wird dem rechten Ungeist widerstehen."

Das sagt die Linke

Für die Linken im Landtag sagte Fraktionschef Thomas Lippmann, es gebe ein Vor und Nach dem Attentat. Schwere Vorwürfe erhob auch er gegen Landesinnenminister Stahlknecht. Er habe die Sicherheitslage der Synagoge in Halle falsch eingeschätzt – "mit dramatischen Folgen". Seine Fraktion sei betroffen vom Krisenmanagement der Landesregierung, sagte Lippmann. "Wir schämen uns dafür." Man werde nicht nach vorn schauen, ehe der Anschlag nicht politisch aufgearbeitet sei. Die Linksfraktion sprach sich für eine Enquete-Kommission aus, in der sich mit Antisemitismus und Rassismus auseinander gesetzt wird.

Das sagen die Grünen

Grünen-Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann sagte, die Tat von Halle sei kein Alarmsignal gewesen. "Sie war leider absehbar". Das gelte zwar nicht für diesen Tag und diesen Ort. Seit 2011 hätten aber viele rechtsextremistische Attentate in Deutschland, Europa und der Welt gezeigt, wie Radikalisierung und Zuspitzung im rechten Milieu stattfinde. "Das ist für jeden sichtbar." Der Rechtsextremismus habe der Zivilgesellschaft den Kampf erklärt. In Deutschland sei nicht genug getan worden, um die Grundwerte des Landes zu schützen. "Deutschland mit seiner historischen Verantwortung hat zu oft weggeschaut", kritisierte sie. Es sei nun an der Zeit, sich schützend vor jüdische Mitmenschen zu stellen.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. Oktober 2019 | 19:00 Uhr

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