Experte für Nutztiere "Der Handel muss aufhören, tierische Lebensmittel zu verramschen"
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16. Januar 2022, 18:27 Uhr
Seit Jahresbeginn dürfen in Deutschland keine männlichen Küken mehr getötet werden. Was aber passiert nun mit den Hähnen? Und welche Alternativen gibt es für kleine und große Betriebe in der Eierindustrie? Nutztierexperte Steffen Maak sieht in dem neuen Gesetz einen klaren Fortschritt fürs Tierwohl – allerdings mit einem großem Aber.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Maak, der deutsche Geflügelmarkt ist mit all seinen Züchtungen und Rassen hochspezialisiert. Blicken wir mal auf das Kernproblem: Warum wurden die männlichen Eintagsküken bisher getötet?
Steffen Maak: In Deutschland arbeiten wir mit hochspezialisierten Linien, die entweder zur Fleischproduktion oder zur Eiproduktion genutzt werden. Die aus der Fleischproduktion sind gemeinhin als Masthähnchen oder Broiler bekannt. Hier werden männliche und weibliche Tiere unabhängig vom Geschlecht gleich gemästet und geschlachtet.
Und daneben gibt es die Legehennen, die zur Eiproduktion aufgezogen werden. Bisher war das Verfahren so: Die männlichen Küken wurden als Eintagsküken getötet, weil sie nicht zur Mast geeignet sind. Und nun haben wir diese 35 oder 45 Millionen Küken und müssen die in irgendeiner Form verwerten oder verhindern, dass sie aus dem Ei schlüpfen.
Starten wir mal mit der naheliegenden Option: die Bruderhähne aufziehen. Wie gut eignen die sich für die Landwirtschaft?
Das Problem ist: Diese Linien sind fast schon über ein Jahrhundert auf ihre Legeleistung selektiert worden. Das heißt: Bei ihnen hat die Fleischleistung überhaupt keine Rolle gespielt. Und entsprechend sind die männlichen Tiere in ihrer Fleischleistung hoffnungslos den Linien unterlegen, die direkt dafür gezüchtet worden sind. Um das mal drastisch zu sagen: Diese Bruderhähne sehen fast aus, als wären sie unter Hungerbedingungen gehalten worden, wenn man sie neben einen Broiler-Schlachtkörper legt. Um überhaupt auf ein vermarktungsfähiges Schlachtgewicht zu kommen, müssen diese Legehähne zirka 80 Tage gemästet werden – das ist mehr als eine Verdopplung der üblichen Mastdauer für Broilerlinien. Und auch dann erreichen sie bei weitem nicht die Fleischfülle, die wir bei den Broilern haben. Das heißt: Wir benötigen mehr Futter und wir benötigen mehr Land, um dieses Futter anzubauen. Insofern ist das nicht wirklich ressourceneffizient.
Und doch gab es ja auch vor dem Gesetz schon Marken und Initiativen, die die Brüderhähne aufgezogen haben. Wie funktioniert das bei denen?
Das funktioniert in relativ kleinen Märkten, wo Leute aus prinzipiellen Erwägungen bereit sind, deutlich mehr auszugeben für Eier. Aber es muss ein Anreiz geschaffen werden für die Produzenten, dass sie dieses eigentlich ineffiziente Produktionsverfahren anwenden. Das wird in einigen Betrieben über den erhöhten Eipreis finanziert – daher kommt der Begriff Bruderhahn. Aber aus meiner Sicht wird das eine Nische bleiben.
Eine andere Möglichkeit, um das Kükentöten zu vermeiden, ist das sogenannte Geschlechtbestimmungsverfahren im Ei. Ist das also die Lösung aller Probleme?
Da sind ja einige Verfahren bereits unter Praxisbedingungen in der Anwendung. In dem "Seleggt"-Programm von Rewe zum Beispiel wird über hormonelle Parameter im Ei nach neun Tagen bestimmt, welches Geschlecht das Embryo hat. Und Eier, die im Falle der Legehennen eben nicht das gewünschte weibliche Geschlecht haben, werden nicht weiter bebrütet und einer industriellen oder Futtermittelverwertung zugeführt. Das funktioniert etwa mit einer Sicherheit von 95 Prozent. Hier haben wir aber natürlich das Problem: Was machen wir mit den fünf Prozent der fehldiagnostizierten männlichen Tiere? Und hier setzt dann eine andere Diskussion an: Dass zumindest ein gewisser Konsens besteht, dass Embryonen des Huhnes bereits ab dem siebten Tag ein Schmerzempfinden haben.
Deshalb soll ja ab 2024 eine Verschärfung des Gesetzes eintreten, die die Vernichtung von Eiern nur noch bis zum sechsten Bruttag zulässt. Da wäre das beschriebene Verfahren ja zu spät dran. Wie könnte das eingehalten werden?
Es gibt noch weitere Verfahren, zum Beispiel die Raman-Spektografie. Die kann das Geschlecht bereits am dritten Bruttag mit etwa der gleichen Sicherheit bestimmen. Hier haben wir allerdings den Nachteil, dass wir relativ teure Geräte dafür brauchen. Und da gibt's auch Kritik von Ökoverbänden, dass damit die industriellen Großbrütereien bevorzugt werden, die sich natürlich eher so ein Gerät hinstellen können.
Der Einsatz der Geschlechtsbestimmung in der Breite der großen und kleinen Betriebe ist also eher unrealistisch?
Das ist sicher eine Sache der Politik und wenn das politisch gewünscht wird, halte ich das durchaus für umsetzbar. Weil das ja nicht Subventionen in Milliardenhöhe erfordert, sondern wirklich überschaubar ist. Aber das ist natürlich eine politische Entscheidung, ob das gefördert wird.
Das ist Steffen Maak Der Nutztierexperte Steffen Maak lebt in Sachsen-Anhalt, arbeitet aber in Dummerstorf bei Rostock. Dort leitet er das Institut für Muskelbiologie und Wachstum am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie. Als Professor lehrt er an den Universitäten Halle, Leipzig und Rostock.
Und dann gibt es ja noch eine dritte Option: die Zweinutzungshühner. Was zeichnet die aus?
Die Zweinutzungslinien sind in beide Richtungen nicht so stark selektiert und wurden früher auf den Bauernhöfen sowohl für die Ei- als auch die Fleischerzeugung genutzt. Und nun gibt es Bestrebungen, solche ausbalancierten Rassen wieder zu entwickeln. Aber man muss auch klipp und klar sagen: Die sind wirtschaftlich unter den gegenwärtigen Bedingungen in keiner der beiden Disziplinen konkurrenzfähig. Aber wenn das gewollt ist, ist das auf jeden Fall umsetzbar. Und zahlreiche kommerzielle Anbieter von Bruteiern und Elterntieren haben auch schon solche Zweinutzungslinien im Angebot.
Könnte man damit rein theoretisch den gesamten deutschen Bedarf an Eiern bedienen?
Der deutsche Eimarkt wird ja bereits jetzt nur zu 70 bis 75 Prozent aus einheimischer Produktion bedient. Und da ist es leicht ausrechenbar: Wenn man die Legeleistung um 25 Prozent verringert, braucht das zum einen eine Ausweitung der Tierbestände um 25 Prozent – was wahrscheinlich kaum machbar ist, zumal da ja auch noch entsprechende Futterflächen dazu kämen. Und auf der anderen Seite muss eben ein höherer Eipreis realisiert werden, damit man die verringerte Leistung pro Henne kompensieren kann.
Es ist rein hypothetisch denkbar, dass man nur noch mit solchen Linien arbeitet. Das halte ich aber für völlig unrealistisch, denn gerade bei dieser Tierart haben wir wirklich global agierende Konzerne. Und es ist schwer vorstellbar, dass Deutschland sich da eine Insellösung schafft und völlig vom Weltmarkt abkoppelt. Das würde heißen, dass die komplette etablierte Produktion verschwinden und neu aufgebaut werden müsste.
Bei meinen Recherchen habe ich auch mit einem Hof gesprochen, der wegen des neuen Gesetzes eine vierte Option wählt – und die männlichen Küken jetzt einfach im Ausland töten lässt. Glauben Sie, dass viele Betriebe diesen Weg gehen werden?
Die Gefahr ist groß, dass Deutschland mit solchen Alleingängen in Richtung Tierschutz dafür sorgt, dass wir unsere Tierschutzprobleme nur exportieren. Und da würde ich gar nicht unbedingt an Polen denken oder an andere EU-Staaten. Die Ukraine wäre ein Gebiet, dort gilt kein EU-Recht und die sind heute auch schon stark auf dem Eiermarkt unterwegs. Insofern: Die Gefahr besteht. ich würde es aber nicht so dramatisch sehen, wie es von vielen Verbänden gemacht wird.
Da werden zu Beginn solcher Regelungen immer Extremszenarien aufgefahren von allen Seiten. Wir hatten das bereits beim Verbot der Käfighaltung, das hat Deutschland ja auch als Vorreiter vor den anderen EU-Staaten durchgezogen. Und da gabs auch den Aufschrei, dass sich das Land nur noch etwa zu 35 Prozent selbst versorgen kann. Die Realität war dann: Es ging bis auf 60 Prozent runter und hat sich trotz des Verbots der Käfighaltung wieder auf 70 bis 75 Prozent stabilisiert. Und so sehe ich das auch mit den Brütereien. Es wird eine Abwanderung ins Ausland geben, definitiv. Aber unterm Strich wird sich das auf lange Sicht wieder hier etablieren.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit Tierschutz und Betriebe zufrieden sind?
Eigentlich müsste man Kompromisse auf allen Gebieten treffen. Ich sehe hier aus meiner persönlichen Sicht auch den Handel in der Verantwortung. Der muss aufhören, tierische Lebensmittel mit ständig neuen Sonderaktionen zu verramschen – so wie man das im Radio und in der Werbung permanent hört. Es muss einen fairen Preis für die Landwirte geben. Denn das darf man auch immer nicht vergessen, bei aller Verklärung des Tierwohls: Die Landwirtschaft ist ein Erwerbszweig, von dem Menschen leben müssen und das muss immer garantiert werden. Und das wird nur über Kompromisse gehen, da kann keiner seine Linie komplett durchziehen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Daniel Tautz.
Quelle: MDR (Daniel Tautz)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. Januar 2022 | 19:00 Uhr
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